Junger uckermärkischer Rathaus-Chef: “Als 25-Jähriger Bürgermeister zu werden, war schon krass” | ABC-Z

Lucas Piwodda in Gartz ein Jahr im Amt
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“Als 25-Jähriger Bürgermeister zu werden, war schon krass”
Mit nur 25 Jahren ist Luca Piwodda seit rund einem Jahr politisches Oberhaupt der uckermärkischen Kommune Gartz. Beim Fußball wird er nur noch “Herr Bürgermeister” genannt – und trotzdem weiterhin gefoult.
Luca Piwodda hat in Gartz eine glückliche Kindheit verbracht, mag Hip-Hop aus den 2000er Jahren und Spaziergänge am Oder-Deich. So weit, so normal. Im Gegensatz zu anderen Altersgenossen hat er aber mit der Freiparlamentarischen Allianz (FPA) eine eigene Partei gegründet – und hat seit der Kommunalwahl im vergangenen Jahr den Posten des ehrenamtlichen Bürgermeisters in der rund 2.500 Einwohner zählenden Kommune inne. Und das mit gerade einmal 25 Jahren. Leicht sei die Aufgabe neben einem Vollzeitjob als Projektentwickler für Erneuerbare Energien nicht. Doch wolle Piwodda gestalten und vor allem der Jugend eine Stimme geben, berichtet er im Interview.
rbb|24: Herr Piwodda, wie kam es dazu, dass Sie mit nur 25 Jahren Bürgermeister geworden sind?
Luca Piwodda: Ich komme aus einer durch und durch politischen Familie. Mein Vater und mein Großvater waren in der SPD aktiv. Entsprechend habe ich auch erst bei der SPD angefangen, dann schnell gemerkt, dass das nicht das Richtige für mich ist und ich Politik für junge Menschen machen will. Dann habe ich eine eigene Partei gegründet und einen eigenen Kulturverein mit aufgebaut und dann gemerkt, dass der ländlich Raum viel Engagement braucht und den Entschluss gefasst, dass man mit anpacken muss, und meine Kandidatur bekannt gegeben.
Und dann gleich als Bürgermeister?
Ich wollte schon eine verantwortungsvolle Position übernehmen, weil mir wichtig war zu zeigen, dass auch junge Menschen Verantwortung übernehmen wollen und nicht faul sind oder sich nicht für die Region interessieren, aus der sie kommen.
Für mich war klar, dass auch ein junger Mensch da sein muss. In Gartz ist jeder zweite Mensch über 65 Jahre alt. Wir haben viele Strukturprobleme. In den letzten Jahren wurde viel vernachlässigt. Das tut mir im Herzen weh. Dementsprechend habe ich auch im Wahlkampf immer gesagt: Ich habe keine politische Erfahrung, noch nie ein öffentliches Amt innegehabt. Ich werde bestimmt Fehler machen und das alles nicht allein schaffen. Ihr müsst alle mit anpacken. Die Stadtkassen sind klamm. Wir brauchen viel Ehrenamt. Mit dieser Erwartungshaltung bin ich reingegangen und wollte einen Aufbruch erzeugen, der auch dankenswerterweise gekommen ist.
Gab es für Sie ein konkretes Schlüsselerlebnis zum Gang in die Politik?
Ich war zwei Jahre bei der SPD aktiv, habe die Kreisparteitage durchlaufen, Wahlkampfstände, Fußgängerzone und so weiter. 2017 habe ich dann ein Praktikum im Bundestag gemacht, parallel zur Bundestagswahl. Spätestens da war für mich klar, dass ich mich politisch einbringen will, es aber in diesen alten Strukturen nicht klappt. Viel zu träge, langweilig, bürokratisch. Das muss man neu und spannender gestalten.
Was reizt Sie daran, Politiker zu sein?
Ich fühle mich eigentlich nicht als Politiker, dadurch, dass es ein Ehrenamt ist. Ich mache es trotzdem 30 Stunden pro Woche. Es ist unheimlich cool, dass man gerade im ländlichen Raum sehr viel Vakuum hat und dadurch viel politisches Leben auffüllen und Ideen direkt umsetzen kann. Das ist das Faszinierende an Kommunalpolitik. Man hat eine Idee, kann es mit den Leuten vor Ort abstimmen und einfach umsetzen. Man hat sofort Erfolgserlebnisse.
Die Menschen sehnen sich auch danach, dass wieder eine aktive Politik da ist. Der Frust über Landes- und Bundespolitik ist im ländlichen Raum sehr groß. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Präsenz nicht da ist. Politikerinnen und Politiker sind nicht vor Ort. Deshalb diese Lücke und dass die Leute anpacken, weil sie sich danach sehnen.
Wie fühlt es sich an, als so junger Mensch politische Verantwortung zu haben?
Als 25-Jähriger Bürgermeister zu werden, war schon krass. Ich habe auch echt ein paar Wochen gebraucht, um das zu verdauen, weil man es im Außenauftritt total merkt. Ich habe von vielen älteren Menschen zu hören bekommen, dass ich natürlich immer ein Hemd und Anzug tragen muss. Das ist nicht unbedingt mein Naturell. Ich merke ehrlich gesagt, dass ich mich dem immer mehr anpasse.
Aber es kommen viele kleine Dinge dazu. Auf Karnevalsveranstaltungen bewege ich mich nicht als Privatperson, auch wenn ich da privat feiern will, sondern als Bürgermeister wahrgenommen werde. Das bedeutet schon eine Einschränkung der eigenen Freiheit – obwohl man gerade als junger Mensch möglichst viel Freiheit und Erlebnis haben will. Da muss man sich anpassen, was nicht immer schön ist. Aber ansonsten finde ich es mega gut.
Das Bürgermeister-Wahlergebnis – ich habe 74 Prozent bekommen und bin ja deutlich gewählt worden – zeigt mir auch, wie mutig die Gartzer sind und sie es einem jungen Menschen zutrauen die Geschicke der Stadt zu leiten. Das ist ein Zeichen, dass sie total offen und auch modern denken können. Und mir anscheinend das Vertrauen geben. Das nehme ich vor allem daraus mit.
Gibt es denn auch negative Aspekte oder Herausforderungen?
Sehr viele. Die Stadt Gartz ist im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört worden. Das merken wir auch heute noch an vielen Bau-Lücken, brachliegenden Flächen. Das ist eine riesige Aufgabe. Dann haben wir die Strukturschwäche an sich, weil wir in der ländlichen Uckermark liegen. Und wir haben jeden zweiten Einwohner über 65 Jahre, was auch für Kita-Entwicklung, Schule oder das kulturelle Leben viele Herausforderungen mit sich bringt. Zu organisieren, dass es trotzdem zukunftsfähig ist und mit Mut angeht, ist natürlich eine immense Herausforderung. Auch der Druck, dass viele Menschen jetzt im Aufbruch sind, projiziert man automatisch auf meine Person als Bürgermeister. Diesen fernzuhalten und einfach Mensch zu bleiben, diese Balance zu schaffen, ist schwierig.
Schlägt Ihnen auch Ablehnung entgegen?
Ja. Hass, Hetze, Lügen hatte ich in meinem gut einem Jahr als Bürgermeister schon häufig. Gerade in den ersten Gesprächen oder in Sitzungen hatte ich es ganz oft, dass viele ältere Menschen mich nicht ernst genommen haben oder mir das Gefühl gegeben haben: was du sagst, ist nicht wichtig.
Aber auch das Anfassen von Traditionen, was im ländlichen Raum sehr wichtig ist, und diese neu interpretieren zu wollen, dort merkt man schon, dass einige nicht mitziehen wollen, sich dagegen wehren oder einfach das erhalten wollen, was da ist. Das will ich auch, aber mit neuen Akzenten. Da kochen die Emotionen schon manchmal hoch. Ich habe auch schon Beleidigungen erfahren. Man ist feige, führt die Region den Bach runter. Das kriege ich immer mal wieder. Das muss aber auch mal ins linke Ohr rein und aus dem rechten wieder raus, sonst kann man nicht schlafen.
Wie stressig ist der Job?
Der Job ist mehr als stressig und darauf angelegt, dass man nicht alles schaffen kann. Als Ehrenamt bekommt man eine Aufwandsentschädigung von 900 Euro im Monat. Davon muss man auch Fahrtkosten und Büromaterialien bezahlen.
Der Job selbst definiert sich vor allem durch Sitzungen. Als Bürgermeister leitet man die Stadtverordnetenversammlung, man ist in Ortsbeiräten, Ausschüssen, Bürgersprechstunden, dem wöchentlichen Kaffeeklatsch vor allem für die Älteren. Ich bin bei vielen Vereinsbesuchen. Es gibt Absprachen dazu, wie wir Kulturveranstaltungen organisieren. Es geht darum, Fördermittel für Straßenprojekte zu finden. Man versucht Netzwerke zu Land und Bund aufzubauen oder Alters- und Ehejubiläen zu besuchen. Ab 75 bin ich bei jedem runden Geburtstag und ab 50 Jahren bei jedem runden Hochzeitstag. Ich mache jeden Sonntag ein Video zum Wochenrückblick. Der Job ist so abwechslungsreich, wie nur irgend möglich, stressig, fordernd, Opfer verlangend – aber total erfüllend.
Ist bei diesem Pensum ein Privatleben möglich?
Ich bin bei der Arbeitslast auch auf Familie und Freunde angewiesen, die das verstehen und Rücksicht nehmen. Das klappt ganz gut und ich habe mit meiner Freundin einen guten Modus gefunden, den Alltagswahnsinn zu bewältigen und trotzdem Ruhephasen zu haben. Die Freunde sind meistens auch die engsten politischen oder kulturellen Unterstützer. Aber es muss auf Augenhöhe funktionieren und ich versuche, Zeit oder Aufmerksamkeit zurückzugeben.
Der einzige Ort, wo ich wirklich noch Mensch sein kann, ist auf dem Sportplatz. Wenn ich im öffentlichen Leben bin, wird man immer irgendwie als Bürgermeister wahrgenommen und gleich mit Anliegen der Bürger konfrontiert. Selbst wenn ich einfach mal auf der Straße oder an der Kasse im Supermarkt bin.
Beim Fußball habe ich das Gefühl, dass ich einfach noch der Mannschaftskamerad in der Kabine bin. Auch da werde ich scherzhaft als “Herr Bürgermeister” angesprochen. Aber es ist ein anderer Vibe – und ich werde auch immer noch gefoult.
Was war der bisher schlimmste und was der schönste Moment als Bürgermeister?
Der herausforderndste Moment war, als wir einen leitenden Verwaltungsmitarbeiter entlassen haben. Das war notwendig. Er hat all das alte Netzwerk verkörpert, was wir eben nicht mehr sein wollen.
Der schönste Moment war zweifelsohne, dass wir die BMX-Strecken in Gartz wieder belebt haben. Die war seit 20 Jahren verwildert. Mein Ziel ist es, dass wir eine Stadt für junge Menschen werden und wir für sie Räume haben. Die BMX-Strecke wird jetzt mit einem großen Fest wieder eingeweiht. Da waren so viele Menschen aktiv, komplett ehrenamtlich. Die jungen Menschen haben mit angepackt, kamen mit so vielen Ideen, wo sie sich in Gartz auch weiterhin engagieren wollen. Es gibt einfach so viel Kraft zu sehen, wie junge Menschen im Zentrum stehen und auf Augenhöhe mitkommunizieren können. Das erfüllt mich mit Glück und Stolz. Die Jugendbeteiligung wird für die nächsten Jahre strukturell gestärkt, weil sie einfach einen Ort haben, wo sie hingehen können.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft in Gartz?
Meine Ziele bis zum Ende der Legislatur 2029 sind drei Themen: Bürgerbeteiligung, Tourismus und Erneuerbare Energie. Gerade beim Tourismus, dass man ein einheitliches Konzept für die Stadt macht und viele Touristen hierherbekommen, weil wir vor Ort so unglaublich schöne Landschaften mit dem Nationalpark und der Oder haben. Da haben wir viele Konzepte, wie wir das wiederbeleben wollen.
Auch bei der Bürgerbeteiligung gibt es viele Formate, die ich aufbaue, ausbaue und auch vervielfältige.
Und meine privaten Pläne: die stehen nicht. Ich plane bis 2029. Bis dahin bin ich als Bürgermeister gewählt und Kreistagsmitglied und mit vollem Engagement dabei. Ich liebe die Region. Ob wir danach hier weitermachen, ich nochmal als Bürgermeister oder zu den Landtagswahlen antrete, weiß ich noch nicht.
Ich bin nicht der Karrierist, der denkt, die guten Aktionen in Gartz zu machen um sich damit für die Landesebene zu empfehlen, unbedingt im Landtag oder Bundestag landen muss. Ich fühle mich einfach so wohl hier, finde es gut, dass alle mit anpacken. Und was danach kommt – keine Ahnung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Das Interview führte Valentin Brückner für Fritz.
Sendung: Antenne Brandenburg, 07.07.2025, 16:12 Uhr