Wirtschaft

Junge-Union-Chef Winkel kritisiert Rentenpaket: „Nicht enkelfähig“ | ABC-Z

Herr Winkel, finden Sie es richtig, in den nächsten 15 Jahren rund 200 Milliarden Euro für zusätzliche Rentenerhöhungen auszugeben, wie es das Bundeskabinett im August beschlossen hat?

Friedrich Merz spricht immer wieder davon, die Politik wieder „enkelfähig“ zu machen, da stimme ich ihm ausdrücklich zu. Wir sehen bis jetzt aber zu oft eine Art vorauseilenden Gehorsam gegenüber der sehr geburtenstarken älteren Generation. Es gibt eine politische Angst, notwendige Zumutungen auch mal ehrlich auf den Tisch zu legen. Die finanziellen Probleme werden schließlich nicht kleiner, sondern größer, wenn man Zumutungen einfach in die Zukunft verschiebt.

Lehnen Sie das vom Kabinett beschlossene Rentenpaket also ab?

In der Jungen Union und der CDU, aber auch in unserer Bundestagsfraktion fragen sich viele, ob diese Politik bei dieser Alterung der Gesellschaft finanziell verantwortungsvoll sein kann. Denn wie nachhaltig ist eine Politik, die den Nachhaltigkeitsfaktor abschafft? Wenn ich sehe, dass der Gesetzesentwurf zur sogenannten Rentenniveauhaltelinie sogar über den Koalitionsvertrag hinausgeht, muss ich sagen, dass das eine sehr, sehr schwierige Debatte wird. Diese Politik ist nicht „enkelfähig“. Stand jetzt.

Der Gesetzentwurf sieht vor, die Mütterrente erhöhen und den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel bis zum Jahr 2031 auszuschalten. Letzteres ist die sogenannte Haltelinie, die „das Rentenniveau bei 48 Prozent gesetzlich absichern“ soll, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Inwiefern geht der Entwurf darüber hinaus?

Es wurde sich darauf geeinigt, den Nachhaltigkeitsfaktor bis zum Jahr 2031 auszusetzen. Um das klar zu sagen: Ulla Schmidt, die frühere SPD-Sozialministerin, hat recht, wenn sie sagt, dass dies ein Fehler war. Jedenfalls sieht der Koalitionsvertrag genauso vor, dass wir im Grundsatz am Nachhaltigkeitsfaktor festhalten werden. Das bedeutet, dass er von 2032 an wieder uneingeschränkt greifen muss – und zwar in dem Umfang, wie er es getan hätte, wenn wir das heutige Recht beibehalten würden.

Inwiefern löst der vorliegende Gesetzentwurf das nicht ein?

Ohne das geplante Rentenpaket läge die Kenngröße Rentenniveau im Jahr 2032 laut Zahlen des Arbeitsministeriums bei etwas mehr als 46 Prozent. Und wenn wir dem Koalitionsvertrag folgen, wird das auch mit dem Rentenpaket so sein, da dieses nur für die Jahre bis 2031 gelten soll. Tatsächlich sieht der Gesetzentwurf aber vor, dass der Nachhaltigkeitsfaktor 2032 auf dem erhöhten Niveau von 48 Prozent wieder greifen soll. Damit würde die vermeintlich befristete Niveauschutzklausel dauerhafte Mehrbelastungen der jüngeren Generation auslösen. Das aber sieht der Koalitionsvertrag nicht vor. Diese Entscheidung ist über 100 Milliarden Euro wert.

Durch das Ausschalten des Faktors fallen die jährlichen Rentenerhöhungen bis 2031 um schätzungsweise zwei bis zweieinhalb Prozentpunkte höher aus. Verstehe ich es richtig, dass Sie diese anschließend wieder wegkürzen wollen?

Rentenkürzungen schließt das Gesetz aus gutem Grund aus, an diesem Bestandsschutz will und kann ich nichts ändern. Klar ist dennoch, dass diese befristete Regeländerung nicht zu dauerhaft höheren Rentenausgaben führt.

Und das ist Ihre Bedingung, im Bundestag dem Rentenpaket zuzustimmen?

Das ist ein wichtiger Teil einer großen Debatte. Im Kern müssen wir – gerade bei dieser Haushaltslage – darüber sprechen, wie wir die Grundidee des Nachhaltigkeitsfaktors, also die faire Verteilung der Lasten, die sich aus der Alterung ergeben, auf andere Politikfelder übertragen. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass das zu beschließende Gesamtpaket nicht nur aus den schon genannten zwei, sondern aus fünf Elementen bestehen wird.

Welche drei anderen Elemente gehören noch ins Paket?

Eines davon, das Gesetz zur Stärkung von Betriebsrenten, liegt als Entwurf ebenfalls schon vor. Außerdem, und das ist für uns als Union wichtig, gehören die Aktivrente und die Frühstartrente mit hinein. Zuständig für die Erarbeitung dieser beiden Gesetze ist der Bundesfinanzminister. Erst wenn auch sie vorliegen, haben wir alle Voraussetzungen beisammen, um das Gesamtpaket im parlamentarischen Verfahren genau zu bewerten. Wir stehen also noch am Anfang einer sicher noch kontroversen Debatte.

Die Aktivrente bezeichnet einen Steuerfreibetrag für Menschen, die auch im Rentenalter arbeiten, und die Frühstartrente ist ein Zuschuss von zehn Euro im Monat zum Aufbau einer Privatvorsorge für Kinder und Jugendliche. Richtig?

Ja. Menschen, die gesundheitlich fit sind, sollen es attraktiv finden, im Alter länger zu arbeiten. Außerdem tun wir mit der Frühstartrente endlich etwas dafür, die Säule der ergänzenden privaten Altersvorsorge auf ein stärkeres und breiteres Fundament zu stellen. Dieser Einstieg in die kapitalgedeckte Altersvorsorge ist überfällig.

Aber auch das belastet die Staatskasse erst mal noch mehr – neben dem Rentenpaket, dessen 200 Milliarden Euro in der Zeit bis 2040 aus dem Bundeshaushalt kommen sollen. Muss die Koalition bald schon deshalb die Steuern erhöhen, weil nur so ihre Rentenpolitik zu bezahlen ist?

Nein und noch mal nein. Erstens: Wenn wir mit dem Nachhaltigkeitsfaktor so umgehen, wie es im Koalitionsvertrag steht, stimmt die Zahl von 200 Milliarden Euro nicht . . .

. . . sie ergibt sich aus dem vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf.

Aber wenn der Faktor von 2032 an wieder voll wirkt, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, wird sich dieser Betrag mehr als halbieren. Außerdem, zweitens: Steuererhöhungen trotz Rekordsteuereinnahmen und Rekordschulden wären ein Offenbarungseid. Und sie mit höheren Rentenausgaben zu begründen, wäre ja noch abenteuerlicher. Ganz klar: Wer in der Regierung mehr Geld für Rente ausgeben will, muss es im notwendigen Umfang an anderer Stelle einsparen.

Wäre es nicht schlau, erst mal die Rentenausgaben nicht weiter zu erhöhen, bis das geklärt ist?

Ich hätte nichts gegen diese Reihenfolge einzuwenden. Aber wir sind eben in einer Koalition mit der SPD. Natürlich muss sich aber auch der Finanzminister fragen, wie er seine Haushaltslücken von 2027 an schließen will. Ich gehe davon aus, dass sich auch die Sozialdemokraten überlegen, ob es nicht besser wäre, nach Lösungen zu suchen, für die man auch in vier oder sechs Jahren noch politische Verantwortung übernehmen kann. Die Entwicklungen in Frankreich, also die in den letzten zehn Jahren explodierten Staatsschulden und die daraus folgende Staatskrise, sind auch für uns ein Alarmsignal.

Könnten Sie und die Union vielleicht noch überzeugender für Generationengerechtigkeit und nachhaltige Finanzen eintreten, wenn nicht die CSU die höhere Mütterrente durchgesetzt hätte?

Wir müssen dringend weg von einer Politik, die Sozialausgaben laufend weiter erhöht, ohne die wirtschaftliche Grundlage dafür zu haben. Und tatsächlich spiegeln uns im Rückblick auf die Koalitionsverhandlungen auch SPD-Politiker wider, dass wir mit dem Thema Mütterrente faktisch einen Verhandlungshebel aus der Hand gegeben haben. Natürlich konnte die SPD da immer zu uns sagen: Solange ihr solche Themen habt, müssen wir ja wohl nicht als Erstes Abstriche von unseren Forderungen machen. Deshalb müssen sich alle drei Partner jetzt fragen, was aus dem Koalitionsvertrag jetzt noch finanziell zu verantworten ist.

Falls Sie erreichen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor nach 2031 wieder ganz uneingeschränkt gilt, wäre die Mütterrente mit rund 65 Milliarden Euro bis 2040 das teuerste Element des Rentenpakets.

Wir müssen sehen, wie die Rechnung für den Haushalt aufgeht. Es kann jedenfalls nicht sein, dass wir den Koalitionsvertrag nur dort einhalten, wo es um höhere Rentenausgaben geht, und dann am Vertrag vorbei dafür Steuern erhöhen. Außerdem ist es ja so, wenn ich an die Reformen der „Agenda 2010“ vor 20 Jahren denke: Die standen auch in keinem Koalitionsvertrag. Sie waren eine Reaktion auf objektive ökonomische und fiskalische Notwendigkeiten, aufsteigende Arbeitslosigkeit und immer größere Lücken in Staats- und Sozialkassen.

Die Lücken in den Haushaltsjahren 2027 bis 2029 zwingen uns ohnehin zu klaren neuen Prioritäten. Das bedeutet, liebgewonnene Projekte zu überdenken, auch auf Unionsseite.

Es gibt auch Stimmen in der CDU, die das Rentenpaket mehr oder weniger offen ablehnen. Sie klingen da etwas moderater. Oder täuscht der Eindruck?

Wir müssen in der Koalition immer dialogbereit sein. Eine wirkliche Sozialstaatsreform auch für die wichtigen Bereiche Bürgergeld, Gesundheit und Pflege wird uns ja nur gemeinsam mit den Sozialdemokraten gelingen können. Eines ist aber auch klar: Zur Politik gehört nicht nur Kompromissbereitschaft, sondern auch Entschlossenheit.

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