Junge Frauen lieben den glamourösen Auftritt | ABC-Z

In den Umkleidekabinen liegt Glitzer auf dem Boden. An den Haken hängen zurückgelassene Kleider. Nebenan in der Kabine zieht eine junge Frau mit einem dunkelroten Kleid den Vorhang zu, ihre Freundin wartet draußen. „Das sitzt überhaupt nicht“, hört man den verzweifelten Ruf aus der Kabine. Die Freundin lüpft den Vorhang und bestätigt: „Stimmt, an der Hüfte trägt es auf. Probier doch mal das schwarze.“
Es ist Abiball-Zeit. Eine Verkäuferin schleppt einen ganzen Schwung von Abendkleidern am Bügel über den ersten Stock des Frankfurter Modekaufhauses Peek & Cloppenburg. Die Hälfte der Etage ist in diesen Tagen mit Massen an Abendkleidern zugehängt. Es gibt Mega-Ballkleider mit strassbesetzten Korsagen und Tüllröcken, schlichte Seidenkleider mit Spaghettiträgern und kunstvoll drapierte One-Shoulder-Modelle in Bonbonfarben. Die Verkäuferin erklärt, dass es im Moment vor allem Schülerinnen seien, die hier nach Kleidern für den Abiball suchen.
So lange ist es nicht her, dass große festliche Anlässe unter Jugendlichen eher verpönt waren. „Zieh dir was Schönes an, Tante Sabine hat Geburtstag.“ Schon diese mütterliche Anweisung rief bei Teenagern lange Aggressionen hervor. Es galt als uncool, sich schick zu machen. Zur Opernpremiere in Jeans? Das ist heute kein Fauxpas mehr. Das Leben ist informell geworden, auch bei Erwachsenen, wo Krawatte tragen nur noch eine Ausnahmeerscheinung ist. Weite Jeans, Hoodie und Sneaker ist die Alltagsuniform von Teenagern. Manche laufen nicht nur zu Hause in Jogginghose herum, sondern gehen damit in die Schule. Eltern wundern sich allerdings mitunter, in welch seltsamem Kontrast dazu das „Auftakeln“ am Wochenende steht. Teenager-Mädchen verbringen Stunden vor dem Spiegel, um später in bauchfreien Tops, Miniröcken und einem hollywoodreifen Make-up in den Abend zu ziehen. Und auch das ganz große Besteck ist wieder gefragt: Abendkleid plus Abendtasche plus Abendschuhe.
So war es bei Pauline. In der Corona-Zeit bestritt sie zwar das Homeschooling auch in Jogginghose und Schlabber-Shirt, aber an den Nachmittagen schaute sie Make-up-Tutorials und fing an, sich vorm Spiegel aufzuhübschen und Selfies von sich an ihre Freundinnen zu schicken. Nach Aufhebung der Corona-Regeln besuchte sie einen Tanzkurs und freute sich, für den Abschlussball im Frankfurter Palmengarten ein Event zu haben, bei dem sie so aussehen konnte wie ein Hollywoodstar auf dem roten Teppich: mit schwarzem langen Kleid, hochgesteckten Haaren und Schuhen mit Absätzen. „Das war ein echtes Gegenprogramm zur tristen Corona-Zeit“, sagt die 17-Jährige heute.
Defilees vorm Spiegel
Ähnlich hoch im Kurs sind mittlerweile die Abibälle, die in diesen Wochen überall in Deutschland stattfinden. Zog man sich in der Generation der Mütter noch ein kurzes Kleid an zur letzten Party, bevor das Leben losging, nähert man sich dem Thema heute anders. Was wer trägt, hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine große Bedeutung bekommen.
Mara hat sich schon mit dem Thema Abikleid beschäftigt, lange bevor die Prüfungen anstanden, was ihre Eltern regelmäßig zu Aussagen wie dieser veranlasste: Musst du nicht lernen? Sie ging in Bekleidungsgeschäfte und bestellte eine Auswahl an Kleidern online. Zahlreiche Defilees vor dem Spiegel zu Hause oder vor der Umkleidekabine im Modeladen bestimmten die Wochen vor dem Abi. Freundinnen, Mama, Papa, Schwester – alle wurden einbezogen bei der Qual der Wahl: das mintfarbene Kleid mit den Spaghettiträgern oder doch lieber das schulterfreie rote mit dem Extraschal? Mara blieb dabei noch bodenständig. Eine Freundin von ihr fuhr in den nächsten Luxus-Outlet 200 Kilometer entfernt, um nach einem Kleid zu suchen. Eine andere flog gar mit ihrer Mutter nach London, um die Garantie zu haben, dass niemand mit dem gleichen Kleid beim Abiball aufschlägt. Manche Luxus-Boutiquen in den Großstädten führen deshalb wie bei der Oscar-Verleihung Buch darüber, wer bei welchem Abiball welches Kleid trägt.

Für den Düsseldorfer Modehändler Peek & Cloppenburg sind die Abiturienten und Tanzschüler eine wichtige Klientel. „Zufriedene Kundinnen, die einmal bei uns ihr Traumkleid gefunden haben, kommen später für andere Anlässe wieder zu uns in die Filialen“, sagt Sandra Meßner, Senior Buyer und Collection Manager Women’s Wear Cocktail. Viele Kundinnen kämen schon zu Beginn des Jahres in die P&C-Häuser, um die Kleider zu sondieren. Im Sortiment gebe es außerdem Taschen, Stolas, Jacken „und inzwischen auch passende Shapewear“. Die Buchungen bei dem Personal Shopping Service zeigten zudem, dass vielen Kundinnen die persönliche Beratung wichtig sei, sagt Meßner.
Der Hype kommt von den Teenagerserien
Der plötzliche Hype um den Abiball hat auch mit amerikanischen Teenagerserien zu tun, die erfolgreich auf den Streamingdiensten laufen. Dort sind die „Proms“ regelmäßig ein Thema. „Prom“, die Kurzform für „Promenade“, ist der Abschlussball am Ende der High-School-Zeit – und traditionell wird bei den Absolventinnen viel Trubel darum gemacht, wer mit wem hingeht und wer welches Kleid trägt. In „Der Sommer, als ich schön wurde“, einer der erfolgreichsten Teenieserien der letzten Jahre, geht die Hauptfigur Belly in Staffel 1 zu einem Debütantinnenball in einem exklusiven Countryclub. Ihre Mutter ist skeptisch. Ist das nicht altmodisch und antifeministisch? Tatsächlich ist der Deb-Ball eigentlich eine Tradition aus Good old Europe, wo vor allem in Großbritannien auf diese Weise die Töchter aus gutem Hause in die Gesellschaft eingeführt wurden und idealerweise schon mal nach einem Mann Ausschau hielten. Das ist heute nicht mehr so, aber viele rieben sich dennoch die Augen, als im letzten Jahr ausgerechnet Apple Martin, Tochter von Rockstar Chris Martin und Schauspielerin Gwyneth Paltrow, beim Debütantinnenball im Pariser Hotel Ritz aufschlug. Ist sie nicht zu cool dafür?
Mara hat zwei Wochen vor ihrem Abiball endlich ein Kleid gefunden. Es ist das rote schulterfreie, dessen Saum leicht über den Boden streift. Der Preis ist okay. Ein Stück Hollywood für schlappe 109 Euro.