Judi Dench wird 90: Königin der kleinsten Gesten | ABC-Z
Schlagfertig war sie immer. Als Judi Dench für ihre erste Filmrolle vorsprach, bescheinigte ihr der Regisseur, dessen Namen sie in britischer Zurückhaltung bis heute nicht verraten hat, dass sie nicht das Aussehen fürs Kino habe. „In Ordnung, ich mag Film sowieso nicht“, antwortete sie. Dench, die 1934 als Tochter eines laienspielbegeisterten Paares in York geboren wurde, hatte ihr Herz längst ans Theater gehängt. Auf der Bühne feierte sie mit der Royal Shakespeare Company ihre größten Erfolge; bis heute gelten ihre Interpretationen als Maßstab für die zeitgemäße Auslegung von Shakespeares Figuren.
Die Ernsthaftigkeit großer Dramen brachte sie schließlich auch zum Film, denn natürlich ließ sie sich von einem Ignoranten nicht abschrecken. Wie sehr sie sich eine Rolle zu eigen machen konnte, zeigt sich an ihren Auftritten als James Bonds Chefin „M“. In „Golden Eye“ (1995) sollte der Spion aus dem Kalten Krieg in die neue Weltordnung überführt werden. Dench nahm den zuvor männlich besetzten Chefsessel mit kompetenter Strenge ein. Vorurteile parierte sie mit trockenstem Humor.
Beliebter als die Queen
In ihrem zweiten Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ zweifelt ein alter Navy-Admiral ihre Entscheidungen an: „Ich glaube, Ihnen fehlt das, was ein Mann hat für den Job!“, worauf sie ruhig antwortet: „Aber dafür muss ich nicht dauernd mit dem, was mir fehlt, denken.“ Das Publikum liebte sie, in Umfragen überholte sie an Beliebtheit selbst die Queen.
Regisseur Sam Mendes gab ihr in „Skyfall“ (2012), dem Film zum fünfzigsten Jubiläum der Serie, eine Hauptrolle neben Daniel Craig. In einer der stärksten Szenen muss sie sich vor einer Parlamentsanhörung verantworten, denn die Welt hat sich politisch weitergedreht, man erwartet von ihr demütigen Rückzug. Sie antwortet mit Versen aus Alfred Tennysons „Ulysses“ („Made weak by time and fate, but strong in will to strive, to seek, to find, and not to yield“). Ihr Monolog umfasst nur elf Zeilen – eine Ewigkeit. Auch das hat sie bei Shakespeare gelernt, der mit größter Eleganz in kürzester Form jede menschliche Emotion zu bündeln wusste, wie sie es einmal ausdrückte.
Ihr genügen auch ein paar Minuten
Dass es nicht auf Quantität, sondern auf Qualität ankommt, bewies jene Rolle, für die sie einen Oscar erhielt. Sechs Mal hatte die Academy sie nominiert, unter anderem für die sensible Darstellung der an Demenz erkrankten Schriftstellerin Iris Murdoch im Drama „Iris“ (2001) und für ihre Rolle als Königin Victoria in „Mrs. Brown“ (1997), die nach dem Tod ihres Mannes neuen Lebensmut in der Begegnung mit einem Schotten findet. Der Auftritt, der ihr endlich die Trophäe bescherte, umfasste nur acht Minuten, aber die hinterließen Eindruck: In der Komödie „Shakespeare in Love“ löst sie Kunst- und Liebesfragen mit kluger Weitsicht als Königin Elisabeth I.
Sie nutzt vor der Kamera kleinste Mittel, um die Figur zu gestalten: einen Seitenblick, die Bewegung des Mundwinkels oder eine Anspannung der Schultern. Notfalls kann sie sich allein auf ihre Stimme verlassen. So erzählt es Kenneth Branagh, der Dench 2017 für seine Agatha-Christie-Neuverfilmung „Mord im Orientexpress“ begeistern konnte, weil er mit ihr mehrfach Shakespeare auf die Bühne gebracht hatte. Bei einer Aufführung von „Das Wintermärchen“ verquatschte er sich mit ihr während einer Umbaupause, kurz bevor der Vorhang sich hob, fiel ihr auf, dass sie ihren Rock in der Garderobe vergessen hatte. Sie rannte zurück, schaffte ihren Einsatz, musste das widerspenstige Stück hinten zusammenraffen. „Den Rest des Stücks spielte sie mit den Händen hinter dem Rücken“, so Branagh – wer seine Rollen kennt, braucht keine Gestik. Heute wird Dame Judi Dench neunzig Jahre alt.