Kultur

Joan As Police Woman über neues Album: „Es braucht mehr kritisches Denken“ | ABC-Z

Die US-Künstlerin Joan As Police Woman spricht über Liebe, Optimismus und die Kraft, die es kostet, den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren.

Hier kommt Joan As Police Woman mit ihrem neuen Album „Lemon, Limes and Orchids“ Foto: Paola Kudacki

taz: Joan As Police Woman, was sind die zentralen Themen Ihres neuen Albums?

wurde als Joan Wasser am 26. Juli 1970 in Biddeford im US-Bundesstaat Maine geboren. Sie wuchs bei Adoptiveltern auf. Die US-Künstlerin, die mit dem Kollegen Jeff Buckley liiert war, ist eine klassisch ausgebildete Violinistin und spielte zunächst im Sinfonieorchester der Universität Boston, bevor sie als Geigerin mit Indie-Rockbands arbeitete. Ihren Künstlernamen wählte sie, weil Freun­d:in­nen meinten, sie sehe Angie Dickinson, Hauptdarstellerin der Serie „Police Woman“, ähnlich.

Joan Wasser: Liebe spielt in allen meinen neuen Songs eine wesentliche Rolle. Sie schließt für mich verschiedene Aspekte in verschiedenen Phasen ein – etwa das Frisch-Verliebtsein oder die Verlustgefühle. Darüber hinaus habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir Menschen uns immer mehr von uns selbst entfremden. In meine Songtexte fließen oft Alltagsbeobachtungen mit ein. In Bezug auf den momentanen Zustand der Welt ist mir eins besonders aufgefallen: Die Welt kann grausam-verstörend sein und zugleich wunderschön.

taz: Handelt „Longing for Ruin“ davon, dass sich die Menschheit von selbst zerstört?

Wasser: Ja. Menschen sind merkwürdig. Auf der einen Seite bemühen wir uns um gegenseitigen Respekt. Wir versuchen, unseren Planeten zu schützen. Andererseits machen wir aber viel zu oft einfach weiter so wie bisher und ruinieren damit unsere Umwelt. Wir können im Grunde kaum in die Zukunft schauen oder vorausschauend denken.

taz: Warum denn nicht?

Wasser: Weil wir uns sonst fragen müssten: Was tut uns wirklich gut. Wir entfremden uns zu oft voneinander. Und vergessen dabei, wie wichtig Empathie, Liebe und Kommunikation sind.

taz: Wer soll denn vernünftiger Zukunftsvisionen anstoßen, die PolitikerInnen?

Wasser: Politik ist inzwischen zu einer befremdlichen Reality-TV-Show verkommen, die viele Leute nicht mehr ernst nehmen. Im Grunde müssten wir nicht einmal wissen, wie Po­li­ti­ke­r:in­nen aussehen. Idealerweise könnten sie sogar Langweiler sein. Denn nicht ihre Persönlichkeit sollte im Vordergrund stehen, sondern ihr Handeln. Überhaupt müssten Po­li­ti­ke­r:in­nen den Bür­ge­r:in­nen ihres jeweiligen Landes besser zuhören. Das passiert viel zu selten …

Wie empfinden Sie den Wahlkampf in den USA?

Wasser: In den USA sind wir jetzt in der Situation, wo Trump zurück an die Macht kommen kann. Immerhin zieht diese schlechte Option einiges an Aufmerksamkeit auf sich. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

taz: Also beunruhigt Sie die Aussicht auf eine mögliche zweite Trump-Amtszeit?

Wasser: Ich glaube nicht, dass Trump die Wahl gewinnen wird. Allerdings habe ich auch vor seiner ersten Amtsperiode noch im Wahlkampf gedacht, er hätte keine Chance, er könne den Sprung ins Weiße Haus niemals schaffen. Und dann ist er doch US-Präsident geworden. Was soll ich sagen? Ich lebe halt in New York, einer liberale Stadt, die nicht repräsentativ für die gesamten Vereinigten Staaten ist.

taz: Dennoch beschwören Sie in dem Stück „Oh Joan“ in einem Gespräch eine ziemlich düstere Zukunftsvision herauf.

Wasser: Als ich mich mit einem Freund über den traurigen Zustand unserer Welt unterhalten habe, sagte er zu mir: „Oh Joan, what is there to be done?“ Das hat für mich die Sache einfach auf den Punkt gebracht, deswegen wollte ich genau diesen Satz in meinem Lied haben.

taz: Heißt das, Sie blicken recht pessimistisch in die Zukunft?

Wasser: Meiner Ansicht nach können sich Dinge durchaus wieder zum Positiven wenden. Vor allem, wenn Bür­ge­r:in­nen aufstehen und sich Po­li­ti­ke­r:in­nen in den Weg stellen – so wie es gerade in Israel passiert. Dort protestieren Hunderttausende gegen Netanjahus Kurs. Korrupte Staatschefs wie er müssen gestoppt werden.

taz: Wie gehen Sie mit den zahlreichen Horrormeldungen in den Nachrichten um?

Wasser: Ich nehme sie wahr und mache mir deshalb Sorgen. Natürlich bin ich keine Politikerin, ich bin Musikerin. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Künst­le­r:in­nen wie ich etwas bewegen können. Wenn ich im Radio all diese Songs aus den 1970ern höre, mit denen ich aufgewachsen bin, dann kenne ich jede Textzeile. Von Bob Marley habe ich gelernt: Man kann seine Botschaft in die Welt hinaus tragen, indem man Kunst macht, die bei den Zu­hö­re­r:in­nen nachhallt.

taz: Welche Kraft beziehen wir aus Musik?

Wasser: Wir haben viel um die Ohren, gar nicht mal so selten ist unser Alltag hart. Menschen sind damit beschäftigt, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen, ziehen Kinder groß, kümmern sich um ihre Freund:innen, um die Nachbarschaft. Musik kann ihnen dabei Trost spenden. Vielleicht erinnern manche Songs uns sogar daran, dass wir die Macht haben, Veränderungen voranzubringen.

taz: Dient Musik nicht manchmal lediglich als Eskapismus?

Wasser: Tatsächlich kann sie uns beim Entspannen behilflich sein, sie sorgt dafür, dass wir uns wieder als Menschen fühlen. Das ist gerade dann wichtig, wenn uns Negativschlagzeilen zu überwältigen drohen. Ich selbst habe weder Kinder noch Haustiere. Zu Hause umgeben mich Pflanzen und Ins­tru­mente. Insofern bin ich in einer privilegierteren Situation als diejenigen, die zusätzlich die Verantwortung für andere, die von ihnen abhängig sind, tragen müssen.

taz: Nicht alle reagieren so besonnen, wenn ich an die prahlerischen In­flu­en­ce­r:in­nen in „Full Time Heist“ denke.

Wasser: Im Song denke ich laut darüber nach, warum man Bestätigung von außen sucht. Mit Sicherheit fügen sich In­flu­en­ce­r:in­nen in diesen Personenkreis ein, zu dem man aufschaut.

taz: Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit In­flu­en­ce­r:in­nen und Social Media gesammelt?

Wasser: Ich verbinde mich in den sozialen Medien durch Musik mit anderen, das ist meist ein schönes Erlebnis. Ansonsten lasse ich In­flu­en­ce­r:in­nen nicht großartig mein Leben beeinflussen. Sogenannte schöne, interessante Menschen wurden schon immer dafür bezahlt, irgendwelche Produkte zu bewerben. Was wir viel mehr brauchen, ist kritisches Denken. Wir müssen analysieren, was wahr beziehungsweise unwahr ist. Ich würde mir wünschen, dass kritisches Denken in Schulen und in unserer Kultur insgesamt wieder stärker gefördert wird. Dann würde es allen definitiv besser gehen.

taz: Sie selbst geben zum Beispiel in „Help Is on Its Way“ Denkanstöße. Hat dieser Titel verschiedene Ebenen?

Wasser: Er lässt sich als Liebeslied lesen, genauso thematisiere ich damit Umweltverschmutzung und Klimawandel. Ich versuche Mut zu machen. Dahinter steckt auch der Gedanke: Sobald ich Musik veröffentliche, gehört sie mir nicht mehr. Im Grunde genommen ist sie dann Teil des Universums geworden. Meine Musik gehört allen.

taz: Das klingt nach einem konzeptuellen Ansatz.

Wasser: Mit solch einer konkreten Intention gehe ich eigentlich nie an die Musik eines neuen Albums heran. Ich denke nie, die neuen Songs müssen jazziger klingen. Jazz begleitet mich seit der Kindheit. Offensichtlich spiegelt sich das in meinen neuen Stücken wider – zumal wir sie in einem Studio in Woodstock wie mit einer Jazzband beim Jammen aufgenommen haben. Das Schöne ist: Man kann unmittelbar auf das reagieren, was die anderen Mu­si­ke­r:in­nen machen.

taz: Unter anderen hat die Bassistin Meshell Ndegeocello Ihre Produktion unterstützt. Welche Impulse hat sie gegeben?

Wasser: Meshell entlockt ihrem Instrument einen einzigartigen Klang, ihr Stil ist unverkennbar. Ich würde ihr Bassspiel als sehr melodisch und ebenso rhythmisch beschreiben. Sie versteht es, einen Song lebhaft zu gestalten. Und mit sehr viel Soul.

taz: Und wie verträgt sich der Soul mit Ihrer Stimme?

Wasser: Der Fokus beim Komponieren liegt grundsätzlich auf meinem Gesang. Nur war bei meinem letzten Album „The Solution Is Restless“ die Musik sehr dicht. Das Album war während der Pandemie aus Improvisationsessions mit Tony Allen und Dave Okumu entstanden. Anschließend habe ich sehr viel Zeit damit verbracht, in meinem Heimstudio das entstandene Material zu editieren. Ich brauchte neue Arrangements, musste die Musik mehr mit meinem Gesang zusammenbringen. Das war sehr auf­wendig. Aus diesem Grund sollte der Produktionsprozess diesmal weniger kompliziert sein. Ich wollte schlichtere Songs, um meiner Stimme wieder mehr Raum in diesen zu gewähren.

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