Wirtschaft

„Genug geredet, Zeit zu handeln“: Das kann Europa gegen Trump und Putin tun | ABC-Z

Donald Trump schafft Fakten und paktiert mit Wladimir Putin, um einen Diktatfrieden für die Ukraine durchzudrücken. Doch Europa muss nicht zuschauen, während er mit dem Kreml-Chef die Welt aufteilt. Auch die EU-Länder haben Trümpfe im Ärmel.

Die neue Weltordnung, die Donald Trump seit seinem Amtsantritt in atemberaubender Geschwindigkeit schafft, zerstört jahrzehntelange Gewissheiten. Die historische außenpolitische Kehrtwende der USA und ihre bedingungslose Annäherung an Moskau bringt die Sicherheitsordnung Europas ins Wanken: Trump verhandelt mit Putin über die Köpfe der Europäer hinweg einen Diktatfrieden für die Ukraine. Er normalisiert die Kriegsverbrechen des Kremls, kehrt Täter und Opfer um, nennt den ukrainischen Präsidenten einen „Diktator“. Sein Vizepräsident sinniert offen darüber, die Gewaltenteilung in den USA abzuschaffen und verhöhnt Europas Demokratien. Und sein Verteidigungsminister droht den engsten Verbündeten unverhohlen mit dem Ende amerikanischer Sicherheitsgarantien.

Bisher schaut Europa wie gelähmt auf Trumps neo-imperiale Hinterhofpolitik. Als designierter Bundeskanzler macht sich Friedrich Merz keinerlei Illusionen über das, was auf Deutschland zukommt: Es sei „klar, dass den Amerikanern, jedenfalls diesem Teil der Amerikaner, das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig ist“, konstatierte der CDU-Chef schon am Wahlabend in der Elefantenrunde. Doch trotz seiner bisherigen Machtlosigkeit und Führungsschwäche ist Europa nicht zum Zuschauen verdammt. Es gibt Druckpunkte, an denen London, Paris und Berlin ansetzen können, ohne dass der Kreml-Chef oder der US-Präsident viel dagegen tun können.

Moskaus Schatzkiste könnte zum Trumpf der EU werden

Die Antwort auf Trumps Frontalangriff auf die westliche Wertegemeinschaft muss zuallererst finanziert werden: mit deutlich höheren Verteidigungsausgaben. Ein Teil des Geldes könnte Moskau unfreiwillig selbst beisteuern: Seit dem Überfall auf die Ukraine schlummern auf Konten der russischen Zentralbank in Belgien rund 210 Milliarden Euro, die Moskau als Sicherheiten im internationalen Zahlungsverkehr hinterlegt hat und im Zuge der Sanktionen gegen Russland eingefroren wurden. Das Geld steckt vor allem in Staatsanleihen der USA, Großbritanniens und der EU-Länder. Bislang werden lediglich die Zinsen aus den Papieren zur Unterstützung der Ukraine verwendet.

Besonders die baltischen und die osteuropäischen Staaten, die Putins nächste Ziele sein könnten, wollen nun Moskaus Schatzkiste vollständig plündern. „Die Zeit ist reif, den nächsten Schritt zu gehen“, sagt die estnische Außenministerin Margus Tsaschkna. Und Polens Präsident Donald Tusk forderte vergangene Woche auf X: „Genug geredet, es ist Zeit zu handeln. Lasst uns unsere Hilfe für die Ukraine mit dem eingefrorenen russischen Vermögen finanzieren.“

Doch die großen EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und auch die Europäische Zentralbank (EZB) sind bislang dagegen, aus Angst, das Ansehen des Euro könnte leiden. Zudem sind Vergeltungsmaßnahmen zu fürchten: Moskau könnte im Gegenzug den Besitz europäischer Konzerne in Russland verstaatlichen. Laut Eurostat liegen die EU-Direktinvestitionsbestände in Russland bei rund 220 Milliarden Euro, laut Bundesbank haben deutsche Firmen dort 22 Milliarden Euro investiert.

Dabei ist die Beschlagnahme westlichen Vermögens in Russland längst Realität: Schon seit 2023 macht Putin westliche Firmen zur Kriegsbeute und hat etwa Danone und Carlsberg faktisch über Nacht enteignet. Es kann für Firmen, die weiter in Russland aktiv sind, also kaum eine Überraschung sein, falls Putin sie als Pfand zur Vergeltung benutzt.

Gleichzeitig könnte das russische Vermögen einen erheblichen Beitrag zur Stärkung von Europas Verteidigungsfähigkeit leisten: Bislang hat Europa laut IfW Kiel seit Putins Überfall rund 132 Milliarden Euro an Militär- und Finanzhilfen an Kiew geleistet. Mit Putins eingefrorenem Vermögen von gut 210 Milliarden Euro könnte man die Unterstützung für Kiew also in den nächsten Jahren mehr als verdoppeln und parallel in Europas Rüstung investieren.

Das ist bitter nötig: Gemessen an der Wirtschaftsleistung sind die Ukrainehilfen bislang verschwindend gering. Weniger als 0,2 Prozent des BIP haben Deutschland, Großbritannien und die USA bislang pro Jahr mobilisiert. Selbst die deutschen Diesel-Subventionen kosten den Steuerzahler laut ifw Kiel dreimal mehr pro Jahr als die deutsche Militärhilfe für die Ukraine. Die Unterstützung für Kiew in den letzten drei Jahren erscheint „eher als kleines ‚Nebenprojekt‘, denn als große finanzielle Anstrengung“, sagt Christoph Trebesch vom IfW Kiel.

Ressourcen-Deal „von dem beide Seiten profitieren“

Angesichts der strategischen Wende der USA muss Europa zudem schleunigst eigene KI-Fähigkeiten und eine Hightech-Industrie aufbauen. Dafür sind Rohstoffe nötig, vor allem seltene Mineralien. Die gibt es in der Ukraine im Überfluss: Graphit, Uran, Titan und Lithium, das für die Batterieherstellung von E-Autos dringend benötigt wird.

Die USA sind deshalb auch hier längst auf dem Vormarsch: Donald Trump will dem vom Krieg geschundenen Land die Hälfte seiner Bodenschätze abpressen. Er fordert 500 Milliarden Dollar und verspricht im Gegenzug nicht etwa eine Sicherheitsgarantie, sondern verlangt von Kiew, so bereits geleistete Militärhilfe mit Zinsen abzustottern – obwohl Washington laut IfW Kiel gerade mal 114 Milliarden Euro überwiesen hat.

Wolodymyr Selenskyj hat den ersten Entwurf des unmoralischen Angebots abgelehnt. Inzwischen soll es unterschriftsreif sein und angeblich diese Woche unterzeichnet werden. Doch die Bedingungen sind völlig unklar, auch was Kiew überhaupt als Gegenleistung erhält. Zudem versucht Putin das Ressourcenabkommen längst zu torpedieren und hat Trump selbst vorgeschlagen, gemeinsam mit den USA die Lagerstätten im besetzten Donbass auszubeuten.

Womöglich besteht noch die Gelegenheit für Europa, Trump einen Strich durch die Rechnung zu machen und der Ukraine ein faireres Angebot vorzulegen – auch falls er später platzen sollte. Denn eigentlich hatte Kiew schon 2021, lange vor dem Krieg, einen strategischen Mineralien-Deal mit Brüssel abgeschlossen. EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné versuchte bereits offen, Kiew mit einer „Partnerschaft, bei der beide Seiten profitieren“ von Trump loszueisen. „Der Mehrwert Europas ist, dass wir niemals ein Abkommen verlangen werden, das nicht zum beiderseitigen Vorteil ist.“

Die Eato sichert künftig Europas Frieden

Und schließlich hat es Europa auch in der Hand, seine Verteidigung selbst neu zu organisieren. Mit Blick auf den Nato-Gipfel im Juni zweifelt Friedrich Merz bereits, „ob wir dann überhaupt noch über die Nato in ihrer gegenwärtigen Verfassung sprechen, oder ob wir hier nicht sehr viel schneller eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit herstellen müssen.“

Der britische Telegraph schreibt längst vom „Tod der Nato“: Die Trump-Administration verfolge einen „Revisionismus ähnlich Russlands und Chinas aggressivem Ansatz“, konstatiert dort etwa der britische Ex-Offizier Mike Martin, der für die Liberalen im Parlament sitzt. Er hat längst einen Plan für ein neues, eigenes Verteidigungsbündnis der Europäer entwickelt.

Martin nennt es „Eato“ (Euro-Atlantic Treaty Organisation), eine Art Nato ohne die USA. Gründungsmitglieder wären die verbliebenen EU-Staaten, die sich Putins Invasion widersetzen wollen: neben Deutschland, Frankreich und Großbritannien die baltischen und skandinavischen Länder sowie die Niederlande, Polen, Rumänien und die Türkei. Die Ukraine würde wie Deutschland im Kalten Krieg geteilt werden, der freie westliche Teil der Eato beitreten. Auch Kanada wäre dabei.

Großbritannien und Frankreich würden ihre nukleare Abschreckung auf alle Mitglieder ausweiten. Die beteiligten Länder würden ihre Verteidigungsindustrien zusammenlegen und nur noch europäische Waffen kaufen. Neben der deutlich effizienteren Produktion würden die höheren Verteidigungsausgaben zudem Europas Wirtschaft ankurbeln. Und Trump und Putin könnten auch dagegen kaum etwas tun.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"