Jetzt hängt alles an den Grünen: Scheitert Merz‘ Regierungsbildung noch diese Woche? | ABC-Z

Die Kanzlerschaft von Friedrich Merz hängt an einem grün-seidenen Faden: Die Grünen wollen den Schuldenplänen von Union und SPD so nicht zustimmen. Bleiben sie dabei, stehen die erst am Donnerstag beginnenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD jetzt schon vor dem Aus.
Montagmittag trat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit der Botschaft vor die Presse, auf die alle gewartet hatten. Nach den Spitzen von CSU und SPD stimmt auch das CDU-Präsidium der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu. Blöd: Zeitgleich entzogen die Vorsitzenden der grünen Partei und Fraktion ebenjenen Koalitionsgesprächen die Grundlage. Vorerst zumindest. Der weitgehenden Ausnahme von Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse und der Schaffung eines Sondervermögens für Infrastrukturinvestitionen, die der schon abgewählte Bundestag beschließen soll, wollen die Grünen nicht zustimmen. Bleibt es dabei, wackelt auch das nach den Sondierungsgesprächen avisierte Bündnis aus Union und Sozialdemokraten.
Am Montagabend soll es erneut Gespräche zwischen Grünen einerseits und Union und SPD andererseits geben, die CDU-Chef Friedrich Merz persönlich führt. Bis Donnerstagmorgen muss man sich irgendwie einigen. Dann soll der alte Bundestag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Doch die von den Grünen angedeutete Kompromisslinie dürfte den Regierungsparteien in spe nicht reichen: Einer Öffnung der Schuldenbremse für Verteidigung könnten die Grünen zustimmen, wenn der zugrunde liegende Sicherheitsbegriff erweitert wird, ließ die Parteispitze erkennen. Bislang sind laut Gesetzentwurf nur Ausgaben für die Bundeswehr gemeint. Die Grünen fordern jedoch einen weiter gefassten Sicherheitsbegriff. Sie bestehen etwa auf Investitionen in Cybersicherheit und Spionageabwehr.
Knackpunkt Sondervermögen
Schwieriger sind die Grünen dagegen für das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen zu gewinnen, das Bund, Ländern und Kommunen über zehn Jahre gewährt werden soll. Die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner forderte stattdessen „eine nachhaltige, eine wirkliche Reform der Schuldenbremse“. Fraktionschefin Katharina Dröge sagte: „Der neue Bundestag hat Möglichkeiten, die Schuldenbremse zu reformieren.“ Sie forderte, dass Union und SPD hierüber „auch mit der Linken verhandeln“ sollten. Die ist im neuen Bundestag überraschend stark vertreten und könnte zusammen mit Union, SPD und Grünen eine Zweidrittelmehrheit für die entsprechende Grundgesetzreform zustande bringen.
Doch eigentlich will die Union die Schuldenbremse im Kern gar nicht anrühren, wie Linnemann am Montag versicherte. Und mit der Linken verhandeln Christdemokraten eigentlich auch nur höchst ungern. Wer „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit der Linken qua Parteitagsbeschluss ausschließt, redet auch nur mit Bauchschmerzen mit ihr über Grundgesetzänderungen.
SPD- und CSU-Erfolge hängen am Sondervermögen
Auch die SPD hat kein Interesse an einer Auftrennung der drei geplanten Grundgesetzänderungen – Verteidigung, Sondervermögen und eine Lockerung der Schuldenbremse für die Bundesländer. „Alle drei Dinge hängen unmittelbar miteinander zusammen“, sagte Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil nach der Absage der Grünen. Klingbeil hatte zuvor schon deutlich gemacht, dass das in den Sondierungsgesprächen mit der Union vereinbarte Sondervermögen eine Art Grundvoraussetzung für das Zustandekommen der Koalition ist. Aus Sicht der Sozialdemokraten dürfen die anstehenden Ausgaben für die Aufrüstung Deutschlands keinesfalls zulasten des Sozialstaats gehen. Zudem gilt es, den Industriestandort Deutschland zu sichern, etwa durch günstigere Strompreise.
Ähnlich die CSU: Explizit nannte Parteichef Markus Söder die Ausweitung der Mütterrente, die Subventionierung des Agrardiesels, die reduzierte Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie und eine harte Migrationspolitik als Verhandlungserfolge der CSU in den Sondierungsgesprächen. Letzterem konnte die SPD nur zustimmen, weil die geplanten Grundgesetzänderungen im Gegenzug die eigenen Wünsche erfüllen. Für alle übrigen CSU-Erfolge braucht es ebenfalls finanzielle Spielräume, die erst durch die Grundgesetzänderungen möglich werden. Aus Sicht der angehenden Regierungsparteien hängt alles mit allem zusammen, für die Grünen gilt das nicht unbedingt – auch wenn diese bislang ebenfalls mit Verve mehr Investitionen gefordert haben.
Lange Liste an Verletzungen
Die Grünen stünden „nicht für Spielgeld zur Verfügung“, ließ Fraktionschefin Dröge wissen. Aus Sicht ihrer Partei plant Schwarz-Rot teure „Wahlgeschenke“, die nur dann aus dem Regelhaushalt finanziert werden können, wenn Investitionen via Grundgesetzänderungen in Schulden ausgelagert werden. Seine Partei sei nicht „zu einer Zustimmung zu falschem zu erpressen“, sagte der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak. Aus Sicht seiner Partei ist da nämlich noch die Stilfrage. „Union und SPD haben sich ihre Einigung auf Kosten eines Finanzpakets erarbeitet, das ohne Zustimmung der Grünen nicht umsetzbar ist“, so Banaszaks Co-Chefin Brantner.
Die Grünen pochen auf Mitsprache und Verhandlungen auf Augenhöhe. Das Angebot, einfach den Begriff „Klima“ in die Zweckliste des Sondervermögens aufzunehmen, reicht ihnen nicht. So aber soll es CDU-Chef Merz der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann auf den Anrufbeantworter gesprochen haben. Das Vorgehen reiht sich aus Grünen-Sicht ein in eine lange Liste: das Lächerlichmachen der Grünen-Pläne für ein Infrastruktursondervermögen während des Wahlkampfes, die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD in der Asylpolitik, die persönlichen Attacken insbesondere aus der CSU gegen die Grünen und ihren Spitzenkandidaten Robert Habeck und nun die Kehrtwende der Union in der Schuldenbremsenfrage, der die Grünen mal ebenso aus „staatspolitischer Verantwortung“ zustimmen sollen. Diesbezüglich brauche man sich von der Union nun wirklich nicht belehren lassen, so Haßelmann.
Eine Woche nach Bekanntgabe der Schuldenpläne von Schwarz-Rot ist der Union noch nicht einmal eine atmosphärische Annäherung an die Grünen gelungen. Inhaltlich wiederum geht ihr dafür die Zeit aus. CDU, CSU und SPD könnten theoretisch den Beweis erbringen, dass sie ihre „Wahlgeschenke“ über Einsparungen im Regelhaushalt finanzieren und so der Investitionsetat im Regelhaushalt unangetastet bleibt. Wo aber künftig eingespart werden soll, wird erst in den am Donnerstag beginnenden Koalitionsgesprächen Thema – und Gegenstand harter Debatten – sein.
SPD und Union haben daher nichts in der Hand, um die Grünen zu beschwichtigen. Die fahren derweil großes Geschütz auf: „Wolfgang Schäuble würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen würde, wie seine Partei die Schuldenbremse reformieren will, um Steuergeschenke damit zu finanzieren“, sagte Brantner mit Blick auf den verstorbenen CDU-Politiker und Architekten der Schuldenbremse. Sie weiß: Auch in der Union rumort es, weil Merz plötzlich den Schuldenhahn aufdrehen will, den er noch bis zum Wahltag angeblich so fest geschlossen halten wollte. Der „stern“ zeichnet indes nach, dass Merz schon lange vor dem 23. Februar wusste, dass er die Schuldenbremse nicht unangetastet lassen können wird.
Die Grünen sind mehr als nur Opposition
So wird denkbar, dass es am Ende nicht für eine schwarz-rote Regierungsbildung reicht. Ohne Sondervermögen fehlt es an der entscheidenden Verhandlungsgrundlage zwischen Union und Sozialdemokratie. Die Schuldenbremse im neuen Bundestag zu reformieren, kann die Union der SPD wiederum kaum versprechen. Wenn nämlich die Zustimmung der Linken für eine Zweidrittelmehrheit gebraucht wird, wird diese auf eine umfassende Schuldenbremsenreform pochen. Die wäre erst recht nicht im Sinne Wolfgang Schäubles. Dann würde Merz aus Sicht vieler Konservativer endgültig zum ganz großen Umfaller in Fragen solider Haushaltsführung.
Eine Alternative bliebe Schwarz-Rot noch: Die Parteien könnten mit einfacher Mehrheit die Schuldenbremse qua Notlage-Erklärung aussetzen. Verfassungsrechtlich ist dies aber ein Weg mit vielen Unwägbarkeiten und damit eine wacklige Grundlage für eine Regierungsbildung.
Hinter den Kulissen zeigten sich Vertreter von CDU und SPD am Montagnachmittag optimistisch, dass man die Grünen noch herumbekommen würde. Was ihnen in die Hände spielt: Im Bund mögen die Grünen gerade Opposition sein, in sieben Bundesländern aber regieren sie mit. Nordrhein-Westfalens-Vizeministerpräsidentin Mona Neubaur, der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz und der Bremer Finanzsenator Björn Fecker – allesamt Grüne – veröfffentlichten am Sonntag einen eigenen Forderungskatalog an Schwarz-Rot: Sie wollen mehr Geld aus dem Sondervermögen für Länder und Kommunen. Zudem sollen Verteidigungsausgaben stärker in die für die Schuldenbremse relevante Gesamtverschuldung einberechnet werden.
Was auf den ersten Blick Kritik war, ist auf den zweiten Blick eine Gesprächseinladung: In den Ländern herrscht reges Interesse an einem Gelingen der Schuldenpläne von Union und SPD. Und im Kern haben auch die Grünen im Bund kein Interesse daran, dass Deutschland womöglich noch auf Monate hinaus ohne handlungsfähige Regierung bleibt. Stichwort: staatspolitische Verantwortung. Verdammt knapp wird es dennoch. Kurz vor Erreichen seines großen Ziels Bundeskanzleramt ist Friedrich Merz auf den guten Willen der Grünen angewiesen. Wer hätte das kommen sehen?