Jette Nietzard und Jakob Blasel zu neuen Sprechern gewählt | ABC-Z
Nach Wochen der Zerwürfnisse, Amtsniederlegungen und Austritte hat die Grüne Jugend am Samstag in Leipzig einen neuen Vorstand bestimmt, der sogleich der Bundespartei den Kampf angekündigte. Als neue Bundesprecher der politischen Jugendorganisation wählten die anwesenden Mitglieder Jette Nietzard und Jakob Blasel. Nietzard erhielt 84,47 Prozent der 573 gültigen Stimmen, Blasel 74,6 Prozent.
Der Klimaaktivist Blasel, der bei Kiel aufgewachsen ist und in Lüneburg lebt, hat bereits einige Bekanntheit als Mitbegründer der außerparlamentarischen Klimabewegung „Fridays for Future“. Nietzard, 25 Jahre alt, hat sich bislang vor allem für die sozialen Belange von Kindern und Jugendlichen engagiert und für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidiert. Dem Verband Grüne Jugend (GJ) gehören etwa 18.000 Jugendliche an. Sie engagieren sich oft neben Schule, Studium oder Berufsausbildung für Klimaschutz, Asyloffenheit, vor allem aber auch für soziale Fragen.
Nietzard hatte in ihrer Bewerbungsrede das Ende aller Abschiebungen und freieren Zuzug für Geflüchtete gefordert, sowie soziale Veränderungen – große Konzerne machten Rekordgewinne und Aktionäre würden mit den hart erarbeiteten Mieten anderer in den Urlaub fliegen. Aber auch die Grünen, die Mutterpartei, „bauten Scheiße“, sie erwarte, dass sie keine „faulen Kompromisse“ mehr machten. Sie wolle „den Grünen zeigen, wo links ist“, so Nietzard, die „Erziehung und Bildung in der Kindheit“ in Berlin studiert hat.
„Gottlose Kompromisse“ der Ampel
Jakob Blasel, 24 Jahre alt, ist Student der Rechts- und Umweltwissenschaften in Lüneburg. Der Ampelkoalition sagte er: „Ich hab’ keinen Bock mehr auf Eure Ausreden“, und die „gottlosen Kompromisse“, die dort gemacht würden. Die Regierung versage beim Ausgleich sozialer Lasten der Klimawende. Alle Menschen sollten ohne Sorgen in die Zukunft blicken können – sollten „weder vor dem Ende des Monats noch vor dem Ende der Welt“ Angst haben.
Die Wirtschaftspolitik von Robert Habeck attackierte Blasel scharf. Was er tue, sei „ein Angriff auf alle, die unter ausbeuterischen Bedingungen leiden“. Das sei mit der Grünen Jugend nicht zu machen. Zu den Turbulenzen in seinem Verband sagte Blasel: „Manche sagten, wir sind verloren, doch das stimmt nicht – der befürchtete Untergang bleibt nicht mehr als eine kleine Delle in unserem starken Verband.“ Und an die Adresse der Zurückgetretenen: „Politische Utopien erreicht man nicht durch Kapitulation.“
Die Ex-Bundessprecherin und Medizinstudentin Svenja Appuhn hatten die Ansicht vertreten, es gebe „mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt“. Zudem wurde die Asylpolitik der Ampel-Regierung als Grund für die Austritte genannt. Die Weggehenden planen einen weiteren linken Jugendverband zu gründen.
Die Mutterpartei war nach dem Abgang erleichtert
Bei Bündnis90/Die Grünen hatte der Weggang der jungen Funktionäre eher für Erleichterung als für Bedauern gesorgt. Man weine ihnen keinen Träne nach, habe ein Gläschen Sekt darauf getrunken – so äußerten sich Grünen-Politiker über eine Gruppe von Jung-Politikern, deren Radikalismus und organisiertes Dagegen bei Parteitagen zuletzt mehr für Ärger als Anregung gesorgt hatte.
Nach Auskunft von Felix Banaszak, der für die Nachfolge der ebenfalls zurückgetretenen Parteiführung bei Bündnis90/Die Grünen kandidiert, hätten lediglich etwa 100 Personen die Grüne Jugend verlassen. Beim Jugendverband selbst wurde allerdings ein „Rechtsruck“ befürchtet, wie es in Leipzig unter Mitgliedern hieß. Viele „Realos“ seien nach Leipzig angereist, um die Weichen neu zu stellen. Zugleich seien zurückgetretene linke Funktionäre gebeten oder aufgefordert worden, der Versammlung in Leipzig fernzubleiben, selbst wenn sie noch Mitglieder der Grünen Jugend seien. Die Nachwuchsorganisation hatte sich während der letzten Jahre stark sozialpolitisch ausgerichtet, nachdem ihr insbesondere die Fridays-Bewegung den Anspruch bestritten hatte, klimapolitisch noch richtungsweisend zu agieren.
Die Grüne Jugend positioniert sich links
Beim Bundeskongress wurde allerdings klar, dass Enteignungssozialismus, bedingungslose Asyloffenheit und radikale FDP-Kritik („neoliberaler Mist“) weiterhin zu den Fundamenten grüner Jugendpolitik gehören. Im Leitantrag „Schluss mit Krise – Holen wir uns die Zukunft zurück!“ heißt es dazu: „Für uns ist klar: Eine echte soziale Politik lässt sich nur realisieren, wenn endlich im großen Stil umverteilt und in unsere soziale Infrastruktur investiert wird.“ Die Gesellschaft sei, so sehen es die Jugendlichen bei den Grünen, „aktuell extrem ungerecht“.
Deutschland sei nach wie vor ein reiches Land, „aber Einkommen, Vermögen und Wohlstand sind ungleich verteilt. Die öffentliche Infrastruktur, auf die alle Menschen angewiesen sind, wird zu oft vernachlässigt. Inflation, aber auch die Profitgier der Wohnkonzerne, führen dazu, dass nicht nur die Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, kaum von ihrem Einkommen leben können“, so der Leitantrag. Sozialleistungen wie das Bürgergeld seien immer noch viel zu niedrig. Einige Rednerinnen und Redner forderten zudem eine Rückbesinnung auf den Klimaschutz als Kernthema grüner Politik. Ein Änderungsantrag, den Bundestagswahlkampf ganz auf den Klimaschutz zu konzentrieren, fand allerdings keine Mehrheit. Der Leitantrag wurde am Mittag bei wenigen Gegenstimmen beschlossen.
Die beiden neuen Sprecher der Grünen Jugend hatten sich kurzfristig zu Bewerbungen entschlossen, nachdem der bisherige Vorstand um die Sprecherinnen Svenja Appuhn und Katharina Stolla zurückgetreten war. Ihnen folgten Dutzende junge Grünen-Funktionäre, die für ihren klassenkämpferischen Sozialismus und vehementen Antikapitalismus bei den Grünen keine Zukunft sahen. Den Rücktritten im Bunde waren Vorstände in mehreren Ländern gefolgt, darunter Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Beim Jugendverband gab es neben Verständnis für den politischen Frust auch viel Kritik, die Funktionäre hätten die GJ-Plattform für ihre neuen anderweitigen Ambitionen missbraucht und die Mitglieder mit ihrem Schritt überrumpelt.
Nietzard schrieb dazu in ihrer Bewerbung: „Politik wird niemals ohne Frustmomente auskommen. Aber die Gemeinschaft der Grünen Jugend bietet jungen Menschen die Möglichkeit, nicht nur alleine frustriert zu sein, sondern gemeinsam diesen Frust in politische Veränderung zu investieren.“ Blasel schrieb in seiner Bewerbung: „Die letzten Wochen waren hart.“ Er bleibe bei der Grünen Jugend, weil es keinen anderen Ort gebe, „an dem sich so viele junge, stabile Menschen für linke Politik einsetzen – von Menschenrechten bis zu sozialer Gerechtigkeit.“ Er verstehe und teile aber auch die Kritik der Gehenden an den der Ampel und an den Grünen.
Umjubelter Gastredner bei der Tagung war der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer, Chef der SPD-Nachwuchsorganisation. Er lobte die Grüne Jugend als wichtige politische Weggefährten. Es gelte dem „ekelhaften Rechtsruck einen Linksruck entgegenzusetzen“. Es gehe nicht nur darum „ein bisschen auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren“, die Demokratie müsse liefern. Gemeinsam werde man Stimme der jungen Generation, Stimme einer linken Jugend sein.