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Jemenitische Zwangsrekrutierte in Putins Streitkräften | ABC-Z


exklusiv

Stand: 23.01.2025 06:20 Uhr

Die russischen Streitkräfte setzen zunehmend auf ausländische Soldaten im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Monitor-Recherchen zeigen, wie ein internationales Netzwerk jemenitische Zivilisten als Kämpfer an die Front gelockt hat.

Von Andreas Spinrath, Mutasem Al-Hetari, Tobias Dammers, WDR

Für das Interview hat sich der Mann einen grauen Schal über das Gesicht gezogen, nur seine Augen sind zu erkennen. Er stammt aus dem Jemen und will nicht erkannt werden. Denn das ARD-Politikmagazin Monitor erreicht ihn heimlich, per Videoanruf, in einer Stellung der russischen Armee an der Front in der Ukraine.

Wie mindestens 150 andere jemenitische Männer sei er gegen seinen Willen für die russische Armee rekrutiert worden. „Wir sind Zivilisten“, sagt der Mann. Mit falschen Versprechen seien sie nach Russland gelockt und anschließend an die Front gebracht worden.

Nun müssten sie „mit Gewehren an Kampfeinsätzen“ teilnehmen. Teils würden sie allein vorgeschickt. Durch Anweisungen über Funk seien sie quasi ferngesteuert worden. Rund zwei Dutzend von ihnen seien bereits verwundet oder getötet worden, berichtet der Mann. „Wir wollen zurück“, fleht ein anderer jemenitischer Zwangsrekrutierter.

Gelockt mit 3.000 Dollar Monatsgehalt

Anhand von Verträgen, Militärdokumenten und Fotos konnte Monitor den Weg der Jemeniten bis an die ukrainische Front rekonstruieren. Er beginnt Tausende Kilometer entfernt im Oman, einem Nachbarland des Jemen. Dorthin sind viele Jemeniten geflogen, um dem Bürgerkrieg in ihrem eigenen Land zu entkommen. „Wir hatten keine festen Jobs und waren einfache Arbeiter in Restaurants oder Geschäften“, erzählt einer der Männer.

In dieser Situation erhielten er und die anderen ein vielversprechendes Angebot: Mehreren Verträgen zufolge, die Monitor vorliegen, bietet die Firma „Al Jabri General Trading and Invest Co“ eine Vermittlung von Jobs „auf russischem Gebiet“ gemäß „Qualifikation“ und „Erfahrung“ an.

Von einem Fronteinsatz ist in den Verträgen keine Rede. Den Jemeniten zufolge ging es beispielsweise um Jobs bei einer zivilen Sicherheitsfirma. Man habe ihnen sogar eine russische Staatsbürgerschaft versprochen, sowie einen Vorschuss von 10.000 Dollar und ein monatliches Gehalt von 3.000 Dollar, berichten die Männer. Das ist ein Vielfaches des jemenitischen Durchschnittslohns. Im Gegenzug sollte die Vermittlungsfirma mehrere Tausend Dollar Provision pro Kopf erhalten.

Fronteinsatz statt zivile Jobs

Über Dubai flogen die Jemeniten nach Moskau. Dort seien sie überraschend von Vertretern des russischen Verteidigungsministeriums und Soldaten erwartet worden. Diese hätten ihnen offenbar Militärverträge auf Russisch vorgelegt. „Niemand von uns konnte sie verstehen“, schildert ein Jemenit die Situation.

Man habe sie mit Waffen eingeschüchtert und zur Unterschrift gezwungen. Noch immer war den Jemeniten nach übereinstimmenden Aussagen aber nicht klar, dass sie für einen Einsatz im Kriegsgebiet vorgesehen waren.

Über die Millionenstadt Nischni Nowgorod wurden die Jemeniten dann in Ausbildungslager im Süden Russlands gebracht, unweit der ukrainischen Grenze. Nur wenige Wochen später ging es an die Front in der Ukraine.

Hintermänner in Jemen und Russland

Hinter der Rekrutierung der Jemeniten steckt offenbar ein Netzwerk mit russischen und jemenitischen Hintermännern. Im Zentrum steht der jemenitische Geschäftsmann Abdul Wali Al-Jabri. Er kümmerte sich vor allem um die Vermittlung der Männer nach Moskau, ihm gehört offenbar auch die Vermittlungsfirma. Im omanischen Handelsregister ist sie unscheinbar als „Tour Operator“ und „Import Export Büro“ registriert.

Monitor konnte exklusiv mit Al-Jabri sprechen: Er weist die Vorwürfe zurück, die jemenitischen Männer getäuscht und mit falschen Versprechen nach Russland gelockt zu haben. „Sie reisten freiwillig, um sich zu verpflichten“, sagt Al-Jabri. Auch ihre Familien seien sich dessen bewusst gewesen. Die Vermittlung sei das Geschäft eines „normalen Reisebüros“ gewesen.

Doch Al-Jabri ist nicht nur einfacher Geschäftsmann, sondern auch Politiker in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, die von der Rebellen-Miliz der Huthis kontrolliert wird. Dort sitzt er im parlamentarischen Repräsentantenhaus. In einem Dokument der Vereinten Nationen ist Al-Jabri zudem als „Brigade-General“ der Huthi-Miliz und als „Huthi De-Facto Authority“ verzeichnet.

Russischer Gouverneur

Dass es offenbar um viel mehr als ein privates „Reisebüro“ ging, zeigt ein weiterer Mann im Rekrutierungsnetzwerk. Er ist russischer Staatsbürger und begleitete die jemenitischen Männer persönlich auf ihrer Flugreise nach Russland. Ein vertrauliches Dokument der jemenitischen Sicherheitsbehörden führt ihn als „Dmytri“ und als „Repräsentanten“ der Vermittlungsfirma Al-Jabri.

Tatsächlich ist Dmytri allerdings seit Mai 2024 stellvertretender Gouverneur der russischen Region Nischni Nowgorod und erfolgreicher Karrierediplomat des russischen Außenministeriums. Auf Fragen zum Transport und zur Rekrutierung der Jemeniten reagierte er nicht. Auch das russische Verteidigungsministerium reagierte nicht auf Anfragen.

Zweckbündnis zwischen Huthis und russischer Führung

Fachleute wie die Politologin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik sehen die Rekrutierung der jemenitischen Kämpfer im Kontext einer strategischen „Zweckverbindung“ zwischen den Huthi-Rebellen und der russischen Führung. Laut Medienberichten hat Russland den Huthis Kleinwaffen geliefert.

Im vergangenen Jahr sollen Huthi-Delegationen Moskau besucht haben. Beide Seiten vereine eine enge Partnerschaft mit dem Iran sowie die USA als Hauptgegner, so Klein. In den USA ist die Huthi-Miliz als Terrorgruppe gelistet. Sie hatte zuletzt immer wieder Raketen auf Israel und internationale Handelsschiffe abgefeuert.

Klein sieht in der Rekrutierung ausländischer Söldner das innenpolitische Motiv, „nicht bei russischen Männern zwangsmobilisieren zu müssen“. Für die russische Angriffstaktik der „menschlichen Wellen“ seien viele, aber keine erfahrenen und geschulten Soldaten nötig. Die hohe Zahl an Opfern dieses Vorgehens sei in Russland leichter zu vermitteln, wenn die Getöteten keine russischen Staatsbürger seien.

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