Berlin

Jeff Tomlinson wurde nahezu blind: “Wollte als Coach gemessen werden, nicht als blinder Coach” | ABC-Z

Interview mit Jeff Tomlinson

“Ich wollte als Coach gemessen werden, nicht als blinder Coach”


Bild: imago images/Just Pictures

Eishockey-Trainer Jeff Tomlinson konnte plötzlich fast nichts mehr sehen. Seinen Spielern sagte er nichts – und blieb erfolgreich. Im Interview schildert der frühere Eisbären-Spieler und -Coach, wie er zurecht kam und sich als Trainer neu erfand.

Viele Jahre war Jeff Tomlinson für die Berliner Eisbären aktiv – zunächst als Spieler, später als Chefcoach. Im Jahr 2015 wechselte er in die Schweiz. Als Trainer des Schweizer Eishockey-Erstligisten Rapperswil-Jona Lakers erlitt er 2020 und 2021 zwei Sehnervinfarkte, wodurch er fast vollständig erblindete. Nur seiner Familie und den Assiszenztrainern erzählte er davon – vor seinen Spielern hielt er das Ausmaß seiner Einschränkung allerdings geheim. Erst vor Kurzem machte der 55-Jährige seine Geschichte öffentlich.

rbb|24: Herr Tomlinson, wie viel Prozent Sehvermögen haben Sie?

Jeff Tomlinson: Es hängt von vielen Faktoren ab – das Licht, der Kontrast, ob ich müde bin. Es bewegt sich zwischen 10 und 15 Prozent. Ich habe komplett blinde Stellen im Auge, im unteren Sichtfeld. Oben kann ich ein bisschen sehen. Meinen Kopf muss ich die ganze Zeit bewegen, um ein größeres Sichtfeld zu haben. Wenn ich das nicht tue, dann kann meine Tochter direkt vor mir stehen, und ich erkenne sie nicht.

Zur Person

Jeff Tomlinson

IMAGO/Sergio Brunetti

Jeff Tomlinson, geboren 1970 in Winnipeg, Kanada, war viele Jahre als Eishockey-Profi aktiv, unter anderem von 2000 bis 2004 bei den Eisbären Berlin. Nach seinem Karriere-Ende blieb er dem Verein treu: zunächst als Jugendtainer (2004–2007), später als Co-Trainer (2007–2010) und schließlich als Cheftrainer (2013–2014).

2021 und 2022 erlitt Tomlinson zwei Sehnervinfarkte, die seine Sehfähigkeit auf wenige Prozent reduzierten. Trotz dieser Einschränkung setzte er seine Arbeit als Profitrainer fort, zuletzt beim EHC Kloten in der Schweiz. Gemeinsam mit Journalist Kristian Kamp veröffentlichte er das Buch “Jeff Tomlinson. Blindes Vertrauen”, in dem er offen über seine Erfahrungen spricht. Mittlerweile arbeitet er als Berater beim EHC Kloten.

Eishockey ist vielen Zuschauern selbst mit zwei gesunden Augen zu rasant. Wie ging es Ihnen als nahezu erblindeter Trainer?

Die Spiele konnte ich nur grob verfolgen. Wenn sich das Geschehen direkt vor mir abspielte, konnte ich zumindest die Laufwege erkennen. Meine Co-Trainer versorgten mich mit den nötigen Informationen, im Ohr hatte ich einen Stöpsel. Nach den Partien saß ich an einem großen Bildschirm, wo ich die Spiele mit einer digitalen Lupe nachschauen konnte.

Ihren ersten von zwei Sehnerv-Infarkten hatten Sie 2020, plötzlich war Ihre Sehfähigkeit stark eingeschränkt. Wie war Ihre Reaktion?

Das war ein Schlag. Aber immerhin hatte ich ja noch ein gesundes Auge. Und ich dachte, vielleicht können die Ärzte noch etwas korrigieren. Aber alle sagten mir, dass es nicht besser werden kann. Einen kaputten Sehnerv kann man nicht reparieren, zumindest ist das momentan noch so. Aber wie gesagt, ein Auge hatte ich ja noch und die Hoffnung, dass sich das Ganze beim zweiten Auge nicht wiederholt. Aber genauso kam es im Jahr darauf.

Sie trainierten zu der Zeit die Rapperswil-Jona Lakers in der ersten Schweizer Liga. Wie war Ihre Überlebensstrategie?

Der Sport erschien mir in dem Moment als das einzige, was ein Stück Normalität in meinem Leben war. Deswegen habe ich mich noch mehr ins Trainer-Amt reingeschmissen. Dabei hatte ich natürlich Hilfe, alleine wäre es nicht gegangen. Ich musste mit Menschen zusammen sein. Alleine zu Hause war es ganz schön dunkel, da kamen schlechte Gedanken in den Kopf. Die Halle war ein Ausgleich.

Hebt da gerade jemand seine Hand zum High-Five, oder doch nicht? Das war eine tägliche Herausforderung.

Jeff Tomlinson

Wem erzählten Sie davon?

Dem Coaching-Staff und meiner Familie. Die Spieler wussten, dass ich Augenprobleme habe, aber sie hatten keine Ahnung, wie schlimm es ist.

Warum wollten Sie die Erkrankung vor anderen möglichst geheim halten?

Ich war zu beschäftigt mit mir selber, hatte nicht die Kraft, um mit allen darüber zu sprechen. Ich wollte mich und den Klub schützen. Stell dir mal vor, man verliert zwei, drei Spiele hintereinander mit einem blinden Trainer auf der Bank! Ich wollte auch kein Mitleid, ich wollte als Coach gemessen werden und nicht als blinder Coach. Ich wollte nicht, dass es zum Thema wird.

Was war besonders herausfordernd in der täglichen Trainerarbeit?

Es fiel mir schwer, die Spieler zu erkennen, sie mit dem richtigen Namen zu begrüßen. Es war auch nicht einfach zu erkennen, ob mir jemand die Hand zur Begrüßung ausgestreckt hatte. Hebt da gerade jemand seine Hand zum High-Five, oder doch nicht? Das war eine tägliche Herausforderung.

Gab es einen Moment, an dem Sie aufzufliegen drohten?

Mehrere. Einer unserer Sponsoren stand vor mir, begleitet von einer Person – und ich dachte, es sei seine Frau. Aber es war eine viel, viel ältere Dame. Ich hatte sie verwechselt, obwohl ich die Ehefrau des Sponsors eigentlich vorher schon kennengelernt hatte. Und ein paar Mal bin ich die Treppe hinuntergestürzt oder einfach gegen einen Pfosten gelaufen. Ich dachte nur: Was müssen die Leute hier von mir denken?

Trotzdem führten Sie Rapperswill-Jona noch ins Halbfinale um die Meisterschaft. Später schafften Sie mit Ihrem Folge-Team EHC Kloten sensationell den Aufstieg. Wirkte Ihre Einschränkung hier und da vielleicht auch als Vorteil?

Ja, ich habe mehr mit den Menschen gearbeitet und mich nicht nur mit der Taktik beschäftigt. In vielen Sportarten nehmen die Trainer die Taktik zu ernst. Für mich hatte das damals keine Priorität. Es ging eher um die Leidenschaft fürs Spiel.

Für ihre Geschichte soll sich mittlerweile auch die Filmindustrie interessieren. Wissen Sie Genaueres?

Ich habe etwas gehört in diese Richtung, aber nichts Konkretes.

Welcher Schauspieler sollte Sie denn verkörpern, wenn Sie die Wahl hätten? Mit Kevin Costner haben Sie eine gewisse Ähnlichkeit…

Der käme in Frage (lacht). Oder auch Owen Wilson, weil er eine etwas schräge Nase hat. Als Eishockey-Spieler passt das.

Es war eine sehr schöne Zeit in Berlin, zwölf Jahre war ich dort und habe alles erleben dürfen.

Tomlinson über seine Zeit bei den Eisbären

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Zeit bei den Eisbären Berlin?

Es war eine sehr schöne Zeit in Berlin, fast zwölf Jahre war ich dort und habe alles erleben dürfen, konnte als Jugendtrainer mit dem Goldenen Jahrgang arbeiten [u.a. André Rankel, Frank Hördler, Anm.d.Red.], als die Jungs Nationalspieler wurden. Vor allem konnte ich miterleben, wie Peter Lee diesen Klub weitergebracht hat [Lee ist ehemaliger Spieler, Trainer und Manager der Eisbären, Anm.d.Red.]. Als ich als Spieler ankam, waren die Eisbären, glaube ich, Vorletzter. Wo der Klub jetzt steht, daran hat er einen Riesenanteil.

Gab es während der Zeit als Spieler oder Trainer bei den Eisbären Anzeichen für gesundheitliche Probleme?

Ja. Von meinem Nierenleiden wusste ich schon [Bei Tomlinson wurde eine eingeschränkte Tätigkeit seiner Nieren festgestellt, er musste regelmäßig Dialysen durchführen, Anm.d.Red.]. Einmal fiel ich eine ganze Woche als Eisbären-Headcoach aus, musste ins Krankenhaus, weil meine Nieren geschwächt waren.

Wenn Sie heute auf Ihre Karriere und Ihre persönliche Reise zurückblicken – was möchten Sie, dass die Menschen aus Ihrer Geschichte mitnehmen?

Jeder hat schlechte Phasen und Rückschläge, das betrifft uns alle. Aber das wird vorbeigehen. Es geht darum, stark zu bleiben. Und dann kommen wieder die schönen Zeiten.

Herr Tomlinson, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Shea Westhoff, rbb-Sportredaktion.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.10.2025, 16:15 Uhr


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