Japanische Fotografie in Frankfurt: Da hat sich Punk eingeschlichen | ABC-Z

Plakative Gegenüberstellungen wären bei den Schlagworten „Japanerinnen“ und „Fotografie“ nicht schwierig. Zum Beispiel so: Während einem schnell diejenigen berühmten Frauen in den Sinn kommen, die der nunmehr 85-jährige Nobuyoshi Araki auf seinen Bildern als gefesselte Objekte zeigt, findet man sie in einer Frankfurter Ausstellung jetzt mit Mittelfinger in die Kamera blickend.
Oder auf fantastischen Mutter-Tochter-Familienaufstellungen, die Protagonistinnen allesamt selbst entkleidet und natürlich auch hinter der Kamera stehend.
Ein solcher Empowermentjargon ist aber gar nicht nötig, um diese Schau herauszustellen. Hinter dem sanft anklingenden Titel „I’m So Happy You Are Here“ im Fotografie Forum Frankfurt verbergen sich Werke von über zwei Dutzend japanischen Fotografinnen, die ihre explosive Kraft schon ganz aus sich heraus entfalten. Die Ausstellung, kuratiert von Mariko Takeuchi, macht einen ganz großen Aufschlag.
Der Schwerpunkt liegt auf den 1950er Jahren bis heute, doch das früheste Bild dieser Schau stammt von 1864. Es zeigt Kakoku Shima, den Ehemann der Fotografin Ryu Shima; beide betrieben schon 20 Jahre nach Einführung der Fotografie im Land ein gemeinsames Fotostudio. Frauen haben die japanische Fotografiegeschichte offenbar von Anfang an mitgeschrieben.
„I’m so Happy You Are Here. Japanese Women Photographers from the 1950s to Now“. Im Fotografie Forum Frankfurt, Frankfurt am Main. Bis 7. September 2025. Der Katalog (Aperture Verlag) kostet 69 Euro
Erstaunlich generös
Wo sonst oft eine einzige fotografische Position Platz findet, sind es in dieser Frankfurter Schau 26. In ein Dilemma geraten Ausstellungen wie diese von gleich vielen Künstlerinnen, Architektinnen, hier nun Fotografinnen, immer schnell: Für die Ausnahme vom Kanon ist wenig Platz. Aber auf wundersame Weise wirkt die Ausstellungsfläche diesmal erstaunlich generös, als ob sich die 350 Quadratmeter mühelos mit den gezeigten Werken weiten könnten.
Beobachtungen aus dem japanischen Alltag, dokumentarische, poetische und ultraexperimentelle Ansätze, von Keramika aus verbrannter Fotografie bis zur XXL-Tapete aus selbst abgezogenen Fotopapierrollen, schaffen lose thematische oder formale Verknüpfungen. Die Geschlechterrollen im Land drängen bisweilen erstaunlich direkt durch.
Als „Girly Photos“ wurden die Arbeiten junger Fotografinnen der 1990er Jahre gern bezeichnet, Mika Ninagawa nutzte die angesammelte Wut über die Verhältnisse für einen Overkill an Niedlichkeit, Blumen, Frauen und gesättigter Farben. Ihre grell glänzende Vinylfotowand von 2002 entwickelt heute noch hypnotische Wirkung.
Zu den bekanntesten, weltweit ausgestellten Namen zählt Mari Katayama. Sie, der im Kindesalter die Beine und Teile einer Hand amputiert werden mussten, bearbeitet ihre Behinderung und ihr Frausein in inszenierten Selbstporträts. Hier fotografiert sich die 1987 geborene Katayama am Strand liegend, die selbst genähten Fantasieprothesen wie ein Tentakelwesen vor sich hertragend.
Umweg USA
Einige Fotografinnen fanden über den Umweg USA zu einem neuen, die Weltsphären verbindenden Ausdruck. So Yurie Nagashima, die ihren Master am California Institute of Arts machte. Von Anziehungskraft, lustig und schön sind ihre Familienselbstporträts, auf denen Mutter, Tochter, Vater und Sohn nackt in der eigenen Wohnung posieren.
Und immer scheint sich auch ein bisschen US-Westküsten-Punk in ihre abstehende Kurzhaarfrisur oder die burschikos ausgewaschenen Sweatshirts zu schleichen. Von der heute 51-jährigen Yurie Nagashima stammt übrigens die Fastnackte mit Mittelfinger. Ein Selbstporträt, hochschwanger, die Schambehaarung lugt unterm Höschen hervor, Lederjacke, Fluppe im Mund.
Die Notwendigkeit, eigene Bilder zu schaffen, befeuerte auch Tomoko Sawadas Arbeit. Ihre großformatigen Collagen aus aberhunderten Passbildern sind ein kaleidoskopartiges Paralleluniversum des Was-wäre-wenn der Selbst- und Fremdbildnisse.
Aus dem Fotoautomat
1995 ging die damals 18-Jährige aus der Großstadt Kobe regelmäßig zum Fotoautomaten im Parkhaus eines benachbarten Supermarkts, um sich in immer wieder neuen Personas ablichten zu lassen: alt, jung, mit Pferdezöpfen oder offenen Haar; geschminkt, lächelnd, streng, schüchtern, selbstbewusst; als Grunge-Fan oder Rave-Mädchen. Das Zeitkolorit jener Tage hat sich nebenbei ins Werk eingeschrieben.
Von vielen Fotografinnen hätte man gern noch viel mehr gesehen. So wie von Yamazawa Eiko, geboren 1899. Auch sie hatte nach ihrem Malereistudium in Japan den Weg nach Kalifornien gesucht. Zeit ihres Lebens förderte sie Frauen, stellte sie in ihrem Fotostudio an und verfolgte eigene Arbeiten.
Ihre leuchtenden Farbabstraktionen aus den 1980er Jahren der damals rund 80-jährigen Fotografin zeigen betörende Verwandtschaft zu den Fotografien von Jan Groover aus ähnlicher Zeit.
Woran es liegen mag, dass die Farben so leuchtend, die Schwarz-Weiß-Kontraste so gewaltig, die Perspektiven so ungewöhnlich, überhaupt die künstlerischen Handschriften so ausgeprägt vertreten sind in dieser Gruppenschau? Sollte man es einer genuin japanischen Sensibilität fürs Kunstwerk zuschreiben, oder dem Umstand, dass erkämpfte Freiräume besondere Energien freisetzen können? Es ist jedenfalls ein mitreißender Eigensinn, der sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Nicht vor allem motivisch, aber in der künstlerischen Konsequenz.