Jannik Sinner: Der perfekte Deal | ABC-Z

Social-Media-Auftritte von offiziellen ATP-Turnieren haben – wie die meisten PR-Seiten dieser Welt – eine Hauptaufgabe: positive Stimmung verbreiten und das Turnier bewerben. Die Social-Media-Manager des Tennisturniers in Katar aber konnten diese Aufgabe am Samstag nur bedingt erfüllen. Das lag an der publik gewordenen außergerichtlichen Einigung zwischen Jannik Sinner und der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Sinner wurde wegen eines Verstoßes gegen die Dopingregeln sofort für drei Monate gesperrt.
Alsbald erschien auf dem Turnieraccount ein Video. Darauf zu sehen: Sinner, der einen der Trainingsplätze auf dem Turniergelände in der Wüste verlässt. Dazu heißt es: „Jannik Sinner wurde gezwungen, seine Turnierteilnahme in Katar wegen einer Sperre zurückzuziehen.“ Es ist das Video mit der größten Reichweite des Turniers, hat mit Abstand die meisten Kommentare. Viele sind negativ, womit es symbolisch für die Causa Sinner in der Tenniswelt steht. Und ein weiteres Video aus Katar könnte Sinner gar bald in Schwierigkeiten bringen.
Die Entscheidung der Wada, sich mit Sinner auf eine dreimonatige Sperre zu einigen, ist die erste dieser Art im Tennis. In anderen Sportarten soll das, so schreibt die Wada, schon Dutzende Male vorgekommen sein, nennt aber kein Beispiel. Der Fall polarisiert nicht nur die Tenniswelt. Auch fernab von den Courts wird seit Samstag kontrovers über Regeln, Strafen diskutiert. Und darüber, ob Jannik Sinner, das Aushängeschild seines Sports, bevorzugt behandelt wurde.
Der Fall ist komplex: Sinner war im März 2024 zweimal positiv auf das verbotene anabole Steroid Clostebol getestet worden. Eine Sperre bekam er nicht, weil ihm laut der verantwortlichen Tennisagentur Itia kein vorsätzliches Verschulden und keine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden konnte. Sinner spielte weiter. Publik wurde der Fall erst ein halbes Jahr später vor den US Open im August.
Einige Spieler kritisierten daraufhin, dass viele Profis Monate, gar Jahre auf eine Anhörung warten müssten und legten eine Ungleichbehandlung nahe. Sinner hatte durch seine Anwälte in den ersten zehn Tagen bewirkt, dass seine vorläufige Sperre aufgehoben und nicht öffentlich wurde. Sinners Team hatte erklärt, dass die Substanz bei mehreren Massagen während eines Turniers über die Hände seines Physiotherapeuten in Sinners Körper gelangt sei. Dieser Physiotherapeut hatte demnach ein Spray vom Fitnesstrainer Sinners erhalten, um eine Wunde zu behandeln. Das Mitführen des Sprays mit der verbotenen Substanz bei einem Profiturnier ist unter dem Wada-Code allerdings verboten.
Die Wada hatte damals Einspruch gegen den Freispruch erhoben und zunächst eine Sperre von ein bis zwei Jahren gefordert. In einer zweitägigen Anhörung im April dieses Jahres vor dem obersten Sportgerichtshof (CAS) sollte unter anderem geklärt werden, welche Verantwortung Sinner für seine Teammitglieder hat.
Nun teilte die Antidopingagentur mit, dass sie sich mit Sinner geeinigt habe. Sie akzeptiere die Erklärung Sinners für den Clostebol-Nachweis, zumal es keine leistungssteigernde Wirkung gegeben habe. Allerdings seien Athleten auch für fahrlässiges Handeln ihrer Betreuer verantwortlich. „Aufgrund der besonderen Sachlage dieses Falles wird eine dreimonatige Sperre als angemessenes Ergebnis erachtet“, hieß es.
Sinner ist nun also vom 9. Februar bis zum 4. Mai gesperrt. Das sind 85 Tage. Die Wada rechnet ihm zusätzlich vier Tage an, die er im vergangenen Jahr vorläufig gesperrt war. Damit darf Sinner pünktlich zum Heimturnier in Rom ab dem 7. Mai wieder aufschlagen und um den French-Open-Titel zwei Wochen später kämpfen.
Zeitpunkt und Dauer der Sperre kommen ihm also höchst gelegen. Eine längere oder zeitlich anders gelegene Sperre hätte ihn mindestens einen Grand Slam kosten können, also eines der Turniere in Paris, Wimbledon oder New York. Nur diese Events bringen die ganz große Aufmerksamkeit, das meiste Preisgeld, die meisten Punkte und natürlich Ruhm für die Tennishistorie.
Insofern wirkt es auf den ersten Blick, als wäre die schnelle, vorzeitige Einigung der bestmögliche Ausgang für Sinner, der gegenüber der Nachrichtenagentur Ansa sagte: „Ich habe immer akzeptiert, dass ich für mein Team verantwortlich bin und ich glaube, dass die strengen Wada-Regeln wichtig für den Sport sind, den ich liebe.“
Der Deal kam wohl sehr kurzfristig zustande. Erst im Laufe des Freitags sickerte durch, dass es eine Einigung geben könnte. Auch Sinner selbst wurde von der offenbar überrascht. Sinner war bereits in Doha, um für das diese Woche stattfindende ATP-Turnier zu trainieren. Nach Informationen von ZEIT ONLINE soll Sinner persönlich zum Turnierdirektor gegangen sein, um ihn über die Einigung und seine Abreise zu informieren.
Ein pikantes Detail stellt ein weiteres Video dar: Der tschechische Profikollege Jiří Lehečka postete am Freitag, dem 14. Februar, ein Trainingsvideo mit Jannik Sinner. In der Pressemitteilung einen Tag später, am 15. Februar, erklärte die Wada aber, Sinner sei ab dem 9. Februar gesperrt.
Unter dem Punkt 10.14.1 heißt es aber, dass ein gesperrter Spieler nicht an einem offiziellen Turnier partizipieren und auch anderen Spielern nicht assistieren, also folglich auch nicht mit ihnen trainieren darf. Das veröffentlichte Trainingsvideo vom 14. Februar legt nahe, dass Sinner diese Regel missachtet hat. Oder noch nichts von der Einigung wusste. Die Rückdatierung der Sperre auf den 9. Februar würde jedenfalls helfen, dass Sinner pünktlich zum Heimturnier in Rom wieder aufschlagen darf.