Jachenau: Susanne Williams hat ihre Heimat gefunden – und bleibt doch eine Exotin – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Die blaue Holzbank auf der Terrasse ihres Hauses in der Jachenau ist der Lieblingsplatz von Susanne Williams. Wenn die Mittfünfzigerin darauf sitzt, schaut sie Richtung Westen auf den 1532 Meter hohen Staffel. Dreht sie sich um, steht der Gebirgszug um Seekarkreuz und Schönberg am östlichen Horizont. Direkt daneben steht ein kleiner Ofen. Williams hat hier Kräuter angepflanzt und einen Kompass griffbereit. „Das ist Heimat“, sagt sie.
In der Jachenau lebt die Tochter einer deutschen Mutter und eines britischen Vaters mit ihrem Mann seit 13 Jahren. Als Unternehmensberaterin bewegt sich Williams in einem internationalen Umfeld, kann sich einen Lebensmittelpunkt außerhalb des noch weitgehend bäuerlich geprägten, etwas abgeschieden im Süden des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen gelegenen Tals aber kaum mehr vorstellen. Sie spricht von einem großen Zugehörigkeitsgefühl mit den alteingesessenen Einheimischen, für die sie inzwischen nur noch die „Susi“ sei.
Genau dieses Zeichen des Vertrauens macht für Williams die Jachenau zu ihrer Heimat. Hier, so sagt sie, kann sie ihre verschiedenen Identitäten als Geschäftsfrau, Bergsteigerin, Boots- und Wildnisführerin ausleben. Denn neben ihrem Beruf als Unternehmensberaterin ist Williams in der sogenannten Bushcraft-Szene unterwegs, zeigt etwa Gruppen, wie sie in der Natur bestehen und sich mit einfachen Mitteln versorgen können. Sie organisiert Unternehmungen in der Arktis oder ein Treffen für Stand-up-Paddler auf Wildwasserflüssen in der Region. Ebenso war Williams etwa bei der Midgard-Expedition auf einem nachgebauten Wikingerschiff am Ozean unterwegs.
„Jede Umgebung ist wie ein Akkord, spielt seine eigene Musik. Da musst du mitspielen“, sagt sie. Auf einem Boot am Ozean müsse ein kleines Team ein Gemeinschaftsgefühl haben, um zurande zu kommen. Es gehe darum, eine verbindende Identität durch gemeinsam erlebte Geschichten und Rituale aufzubauen. Identität entstehe in der Auseinandersetzung zwischen einem selbst und den Mitmenschen an einem bestimmten Ort, so Williams.
Genauso hat sie sich auf die Jachenauer mit ihrer von Traditionen geprägten Werthaltung eingelassen. Das ließ sie heimisch werden, auch weil sie, wie sie sagt, nie belehrend auf die Talbewohner zugegangen sei. Vielmehr versuchte sie, sich auf die Muster des Zusammenlebens einzulassen. Eine Lebenseinstellung, die half, Nähe aufzubauen. So erzählt sie etwa, dass der Bürgermeister eigens geübt habe, um den polnischen Namen ihres Mannes richtig auszusprechen, als sie in der Jachenau heirateten.
Williams hatte bislang mehr als zwei Dutzend Hauptwohnsitze
In der Jachenau genießt Williams, ohne Reizüberflutung und nicht mehr so wie früher hauptsächlich aus dem Koffer zu leben. Auch deshalb fühlt sie sich dort heimisch. Bevor sie so sesshaft wurde, hielt es sie nie lange an einem Ort. So hatte das Multitalent etwa mehr als zwei Dutzend unterschiedliche Hauptwohnsitze, besuchte als Kind sechs verschiedene Schulen. Das begann damit, dass Williams im niederländischen Amsterdam zur Welt kam, mit der Familie an die US-Ostküste zog, um als Jugendliche wieder in den Niederlanden und in Belgien zu leben.
Das Leben und der Umgang mit unterschiedlichen Identitäten ist für Williams von Geburt an prägend. Das beginnt mit der aus dem Saarland stammenden deutschen Mutter und einem Vater mit walisisch-schottischen Wurzeln, der in Lancaster geboren wurde und sich daher als Engländer definierte. Im sozialen Miteinander sieht sich Susanne Williams selbst stark niederländisch geprägt, wie sie schildert.
In ihrem Geburtsland habe sie die Erfahrung gemacht, dass selbst ein einfacher Mitarbeiter offen Unternehmensabläufe gegenüber dem obersten Manager kritisieren könne, ohne an Hierarchiegrenzen zu stoßen. In einem Land, dass vielfach unter dem Meeresspiegel liege, komme es eben darauf an, auf Augenhöhe gemeinsam um Lösungen zu ringen, sagt Williams. „In Deutschland ist so etwas undenkbar.“
In die Jachenau kam Williams, nachdem ihre in Amsterdam ansässige Firma sie für ein Projekt nach München schickte. Im Umkreis von zwei Stunden südlich der bayerischen Landeshauptstadt suchten sie und ihr Mann nach einem Wohnsitz – eben in der Natur und trotzdem nicht zu weit weg vom nächsten Flughafen – und wurden in der Jachenau fündig.

Bis im Tal aus Susanne die Susi wurde, dauerte es. Williams musste viele Fragen nach Beruf und Herkunft beantworten. Schließlich hat sie durchaus Exotenstatus, etwa wenn sie mit Schild und Schwert Kunden lehrt, wie Wikinger zu kämpfen und dafür die Wiesen direkt an ihrem gemieteten Haus in Hinterbichl nutzt. Doch inzwischen hat Williams die deutsche Bürgerschaft und sieht ihren Pass als Symbol der Zugehörigkeit.
„Ich bringe meine Fähigkeiten gerne für die Community ein“
Zwar ist sie in keinem der Jachenauer Vereine Mitglied geworden. „Ich bringe aber meine Fähigkeiten gerne für die Community ein“, sagt Williams. Beispielsweise wenn sie dem Regatta-Nachwuchs am Walchensee Tipps für das richtige Beherrschen des Segelboots gibt oder sich in der Zivilrettung engagiert. Vor Jahren stürzte etwa ein junger australischer Wanderer nahe der Benediktenwand ab und blieb tagelang verschollen. Williams koordinierte die Suchmaßnahmen, bis es gelang, den Abgestürzten, wenn auch nur noch tot, zu bergen.
Der Jachenau fühlt sich Williams als Zugewanderte nach 13 Jahren zugehörig. Und damit zurück zur blauen Bank auf ihrer Terrasse. Eine andere Farbe als die des bayerischen Himmels wäre für sie nicht zur Auswahl gestanden, sagt Williams. Ein sichtbares Zeichen der Identifizierung mit ihrem Wohn- und Lebensort.
Lieblingsorte
Auf dem Walchensee ist Susanne Williams gerne zum Segeln oder mit dem Stand-up-Paddle-Board unterwegs. Allein ist sie damit nicht. Ausflügler zieht die besondere Landschaftskulisse des Gebirgssees mit seinem an manchen Tagen türkisgrün leuchtendem Wasser fast magisch an. Zum Baden gibt es etwa schöne Kiesstrände an der Süduferstraße. Die Strecke zwischen der Jachenau und Walchensee ist allerdings gebührenpflichtig. Immer im Blick hat Williams von ihrer Terrasse in der Jachenau den Staffel. Der 1532 Meter hohe Gipfel bietet eine tolle Rundum-Sicht auf die Berge der Region. Die Tour führt vom Jachenauer Ortsteil Bäcker, über Niggeln und die Staffelalm bis ganz nach oben. Der Abstieg führt um die Westflanke herum und über den Steinplattlweg wieder zum Ausgangspunkt zurück. Unterwegs gibt es keine Einkehrmöglichkeit. Wer hungrig und durstig ist, kann etwa in den Stafflerwirt in Bäcker oder ins Schützenhaus im Hauptort Jachenau gehen.