IWH-Chef Gropp im Interview: „Der Staat ist im Moment sehr übergriffig“ | ABC-Z

Schnelle Regierungsbildung, rasche Reformen, mehr Investitionen. Die Wirtschaft hofft nach der Bundestagswahl auf neue Impulse. Im Gespräch mit ntv.de erzählt IWH-Chef Reint E. Gropp, ob ein notwendiger Neustart der Wirtschaftspolitik mit einer schwarz-roten Koalition überhaupt gelingen kann.
ntv.de: Nach der Bundestagswahl zeichnet sich eine Regierungsbildung von Union und SPD ab. Welche Themen werden die Kanzlerschaft von CDU-Chef Friedrich Merz am meisten prägen?
Reint E. Gropp: Nach der Ampel-Regierung wird die Große Koalition den Reformstau, der sich angehäuft hat, endlich mutig angehen müssen. Und da sind grundlegende Reformen gefragt. Wir sprechen hier nicht davon, dass die Rentenformel ein bisschen angepasst werden muss. Es geht um grundsätzliche systemische Veränderungen. Gerade die Einkommensteuer, bei der Menschen mit mittleren Einkommen momentan die meisten Steuern zahlen, ist langfristig kein gutes Modell. Es frustriert die Menschen. Darüber hinaus brauchen wir endlich eine vernünftige und vorhersehbare Energie- und Klimapolitik. Eine fundamentale Reform hätte auch die Bürokratie im Übrigen nötig.
Bei der Wirtschaftspolitik haben die möglichen Koalitionäre oft unterschiedliche Vorstellungen. Ist da der dringend notwendige Neustart überhaupt möglich?
Gerade was den Bürokratieabbau, die Klimapolitik und die Einkommensteuerreform angeht, liegen CDU und SPD eigentlich gar nicht so weit auseinander. Sie wollen auch beide die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wiederherstellen. Einige Ziele sind gleich, die Methoden unterscheiden sich allerdings. Ich hoffe nur, dass man am Ende nicht beim kleinsten gemeinsamen Nenner landet, sondern etwas Mutiges, Klares und Dynamisches tut. Wenn wir jetzt warten und so weitermachen wie in den vergangenen 10, 15 Jahren, haben wir bald wirklich ein sehr großes Problem.
Worauf wird sich die absehbare Neuauflage der Großen Koalition am ehesten verständigen können?
Ohne eine vernünftige Verteidigungspolitik ist alles andere sekundär. Die neue Regierung muss einen Weg finden, wie Deutschland deutlich mehr für Verteidigung ausgeben kann. Ich denke, da sind sich die SPD und die CDU prinzipiell auch einig. Über eine Auflösung, Aufweichung oder Abschaffung der Schuldenbremse wird das allerdings eher nicht passieren, eher durch ein Sondervermögen. Darüber hinaus sehe ich noch gute Chancen für eine Einigung bei der Einkommensteuerreform, einfach weil die Steuerbelastung der mittleren Einkommen zu hoch ist. Das sieht die SPD so und das sieht die CDU so. Da wird man sich auf einen Kompromiss einigen. Dieser Kompromiss sollte zu einer signifikanten Entlastung der mittleren Einkommen führen. Im Umkehrschluss muss man in Kauf nehmen, dass davon auch höhere Einkommen profitieren.
Und wo sehen Sie schwarz für eine Einigung?
Ganz schwer wird es bei der Rentenreform. Sie ist eines der Probleme, die wir schon längst hätten angehen müssen. Die Demografie ist sehr vorhersehbar. Wir wissen schon lange, dass die gegenwärtigen Renten in der Form nicht finanzierbar sind. Beziehungsweise dass es, wenn wir sie konstant halten wollen, zu unglaublichen Erhöhungen der Rentenbeiträge führen würde. Das heißt: Wir müssen auf mehr Eigenverantwortung setzen. Das widerstrebt der SPD zutiefst und es würde auch tatsächlich ein bisschen ihren Wahlversprechen widersprechen. Das ändert aber nichts daran, dass wir es machen müssen. Je länger wir warten, desto schwieriger wird dieser Übergang für die gegenwärtigen Arbeitnehmer, die die gegenwärtigen Rentner finanzieren, zu einem Kapitaldeckungsverfahren, wo also jeder selber ein Stück weit für seine Rente verantwortlich ist. Ich hoffe, dass Herr Merz da einen Weg findet, die SPD davon zu überzeugen.
Was muss jetzt passieren, damit die deutsche Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig wird?
Wir müssen die deutsche Wirtschaft befähigen, mit dynamischen, strukturellen und disruptiven Veränderungen umzugehen. Stichwort Klimawandel, Stichwort künstliche Intelligenz, Stichwort Elektromobilität. Dazu ist die deutsche Wirtschaft nur sehr schwer in der Lage. Und das hat viel mit der Rolle des Staates zu tun. Der Staat ist im Moment sehr übergriffig. Er vertraut seinen Menschen und Unternehmen nicht. Regeln darüber, was sie dürfen und was sie nicht dürfen, verhindern Veränderungen. Der Staat muss in die Rolle des Dienstleisters schlüpfen, um Veränderungen nicht zu behindern, sondern zu ermöglichen. Das muss meiner Einschätzung zufolge besonders bei der SPD noch ankommen. Ein zukünftiger Kanzler Merz muss es schaffen, seinen Koalitionspartner davon zu überzeugen, mutige Schritte zu machen, die möglicherweise zum Teil bei den Wählern der SPD im Moment erstmal unpopulär sind.
In den USA ist ein protektionistischer Präsident ins Weiße Haus eingezogen, der auch Deutschland mit Zöllen überziehen könnte. Wie kann unser exportorientiertes Wirtschaftsmodell das verkraften?
Die Trump-Regierung ist für Europa und speziell für Deutschland ein Riesenproblem. Wir sind abhängiger davon, in die USA exportieren zu können, vielleicht ein Stück weit auch abhängiger davon, aus den USA importieren zu können, als andere – beides ist im Moment gefährdet. Wenn der US-Präsident tatsächlich Zölle einführt, dann wird die EU mit eigenen Zöllen reagieren müssen. Das macht nicht nur vieles teurer, sondern ist auch eine fürchterlich schlechte Wirtschaftspolitik.
Wie meinen Sie das?
Wirtschaftspolitik zwischen zwei Ländern ist komplex. Es ist nicht so, dass nur fertige Autos nach Amerika exportiert werden, sondern die deutschen Autohersteller haben Fabriken in Amerika. Sie importieren Teile, und bauen sie vor Ort ein. In anderen Branchen ist das sogar noch viel komplexer. Das scheint die Trump’sche Wirtschaftspolitik nicht zu verstehen. Insofern ist der Schaden, der angerichtet werden kann, riesig – besonders für Deutschland. Große Wachstumsraten wird es in den nächsten Jahren nicht geben. Selbst wenn die neue Regierung Reformen auf den Weg bringt, wird es eine Weile dauern, bis sich die deutsche Wirtschaft erholt.
Wie lange wird es dauern, bis sich eine spürbare Erholung abzeichnet?
Die Umstände für fundamentale Reformen könnten momentan nicht schlechter sein. Vor zehn Jahren, als wir mit negativen Zinsen und relativ hohem Wachstum operiert haben, ist nichts passiert. Jetzt ist es noch viel schwieriger. Hinzu kommt: Bei weitreichenden Reformen gibt es immer erst mal Verlierer. Das macht es ja so schwer, sie durchzusetzen. Trotzdem bin ich der Meinung, wenn wir mutig sind und Reformen durchführen, wird es uns in den nächsten zehn Jahren deutlich besser gehen.
Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
Mit Reint Gropp sprach Juliane Kipper