Italien erlebt ein kleines Wunder und trifft auf Deutschland | ABC-Z
Italienische Torhüter tragen ein Qualitätssiegel – und schöne Namen: Gianpiero Combi. Dino Zoff. Gianluigi Buffon. Dass Domenico Ebner in dieser Ahnengalerie fehlt, ist nicht seine Schuld, denn er spielt Handball statt Fußball. Er ist fünf Mal Italiens Handballer des Jahres geworden.
Dass man Menschen unterhalb Südtirols erklären muss, was Handball ist, mindert seine Begeisterung kein bisschen – Ebner, 30 Jahre alt, schlüpft in die Hauptrolle des kleinen italienischen Handballwunders, das sich in Mitteljütland abspielt: Sollte die Auswahl der „Federazione Italiana Giuoco Handball“ (FIGH) an diesem Donnerstag (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und im ZDF) gegen Deutschland gewinnen, stünde die Tür zum Viertelfinale ein großes Stück offen – den Deutschen wäre sie vor der Nase zugeschlagen. Das wäre dann wohl sogar der bisher in Handballthemen sehr zurückhaltenden „Gazzetta dello Sport“ einen rosaroten Bericht wert.
„Euphorie kann Berge versetzen“, sagt Domenico Ebner, Sohn einer in Deutschland aufgewachsenen Mutter, in der Bundesliga für Leipzig am Ball, Vorbild Henning Fritz. Nach Siegen gegen Tunesien, Algerien und Tschechien ist Italien die Überraschung dieser Weltmesse und Liebling der Fans in Herning – die sicher auch gegen Deutschland für „bella italia“ sein werden.
„Wir haben die Mentalität und die Einstellung, wir sind der Underdog und haben gar nichts zu verlieren“, sagt Ebner, der mit Lust und Laune durch die Halle springt, seine Jungs herzt, in einem Sprach-Mischmasch anfeuert („mein Italienisch ist ausbaufähig“) und zur Not auch sechs Dosen Harz nachbestellt: „Wir hatten zu wenig dabei.“ Ein paar Rollen Tape, Massagebälle und Kompressions-Strümpfe konnten die Italiener auch mitnehmen – sie hatten die Produkte praktischerweise in Ebners Online-Shop bestellt.
Es wäre eine Blamage, sollten die Deutschen die K.o-Runde verpassen. Zugleich wechselt die geschätzte Außenseiterrolle zurück zum Gegner: „Man kann unsere Verbände gar nicht vergleichen“, sagt Ebner. Nicht mal eine ordentliche Siebträgermaschine sei im Gepäck.
Wie auf Klassenfahrt nach Dänemark laufen die Männer in den schicken blauen Anzügen durch diese WM. Wobei der feine Zwirn über den Ausrüstungsgrad hinwegtäuscht: Die Spieler haben nur je ein Trikot in Weiß und Blau dabei – ausgenommen die wuchtigen Kreisläufer, sie haben zwei. Die Waschmaschine im Teamhotel an Hernings Bahnhof läuft. Dort empfangen sie auch jeden Gast höflich und freundlich.
Es ist die zweite WM-Teilnahme nach 1997. Angeleitet werden sie seit 2017 von Riccardo Trillini, einem früheren Fußballtorwart, der nie selbst Handball gespielt hat, inzwischen aber als ausgezeichneter Analyst gilt. Es gibt so viele handballferne Fakten aus diesem Team mit Schwerpunkt in Bozen, Brixen und Meran, dass es naheliegt, dieses Team zu unterschätzen. Allein Ebners Weg ins Nationaltrikot ist abenteuerlich: Italiens Ko-Trainer Jürgen Prantner, früher selbst Nationalspieler, schrieb ihn auf „Facebook“ an, ob er sich Einbürgerung und Einsätze vorstellen könne. Ebner wog seine Chancen auf Spiele für Deutschland und solche für Italien ab und entschied pragmatisch.
2021 entstanden durch den „Campus Italia“ in Chieti in der Region Abruzzen bessere Strukturen. Der Wendepunkt, nicht nur für Ebner, kam im November 2024 – da besiegte Italien die Türkei nach einer neun-Tore-Hinspielniederlage in Chieti mit zehn Toren. „Seitdem ist der Stiefel nicht mehr weiß, sondern blau eingefärbt, was Handball angeht“, sagt Ebner, der die Rolle als Teamsprecher charmant und voller Freude einnimmt und allen Druck nach Deutschland schiebt.
Dieser Falle wollen die Deutschen nach dem enttäuschenden 30:40 gegen Dänemark am Dienstagabend entgehen. „Das heißt nichts für die kommenden Spiele“, sagte Rückraumwerfer Marko Grgic tapfer, „wir können das ganz schnell abhaken.“
Ohne sich taktisch oder emotional verrückt machen zu lassen, wollen die Deutschen nun in ihr „Finale“ gegen Italien gehen. „Wir haben den breiteren Kader, die besseren Individualisten“, sagte Timo Kastening am Donnerstag beim Teamhotel in Silkeborg, „auf dem Papier hat Italien keine Chance.“ Doch das ist für Domenico Ebner und sein Team nicht ungewohnt.