Ist Scharaa ein Verbündeter im Kampf gegen die Kurden? | ABC-Z
Zwei Wochen nach dem Sturz des syrischen Gewaltherrschers Baschar al-Assad versucht die Türkei, ihren Einfluss in Syrien zu stärken. Am Sonntag reiste mit Hakan Fidan erstmals ein Außenminister nach Damaskus, um sich mit dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa zu treffen. Dabei ging es insbesondere um die Präsenz kurdischer Milizen, vor allem der YPG, im Norden Syriens.
Für diese sei kein Platz in der Zukunft des Landes, sagte Fidan auf einer Pressekonferenz mit Scharaa. „In nächster Zeit muss die YPG an einen Punkt gelangen, an dem sie keine Bedrohung mehr für die nationale Einheit Syriens darstellt“, äußerte der türkische Außenminister und forderte ihre Auflösung.
Für Ankara ist die YPG der verlängerte Arm der in der Türkei als Terrororganisation eingestuften „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK). Seit dem Sturz Assads haben sich die Spannungen zwischen der Türkei und den Kurden im Norden Syriens verschärft. Letztere erwarten einen Einmarsch der Türkei und ihrer Milizen in die Grenzstadt Kobane. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte am Montag vor einem Krieg zwischen beiden Seiten, der zu einem Erstarken der Terrorgruppe „Islamischer Staats“ (IS) führen könnte.
Baerbock warnt vor Krieg zwischen der Türkei und den Kurden
Die YPG führt die Allianz der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) an, die einst mit amerikanischer Unterstützung den IS zurückschlagen konnte. In kurdischen Gefängnissen und Lagern halten sich Zehntausende IS-Kämpfer und ihre Familien auf. Fidan sagte, er gehe aber davon aus, dass der gewählte US-Präsident Donald Trump nicht länger die „illegalen“ Aktionen der SDF und YPG in Syrien „ignorieren“ werde.
Scharaa, der auch unter seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Golani bekannt ist, forderte nach dem Treffen mit Fidan, dass die im Land einflussreichen ausländischen Staaten gemeinsam für die Zukunft Syriens arbeiten. „Es ist wichtig, dass sich die großen Akteure auf allgemeine Grundsätze in Bezug auf Syrien einigen“, sagte er. Dabei müssten die Syrer unter anderem unabhängig über die Stabilität und Sicherheit des Landes entscheiden dürfen.
Scharaa kündigte zudem an, alle bewaffneten Gruppen in Syrien würden bald „ihre Auflösung“ bekannt geben und sich der Armee anschließen. Seine Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) werde nicht zulassen, „dass es im Land Waffen außerhalb der staatlichen Kontrolle gibt“ – auch nicht in den Gebieten unter der Kontrolle der SDF. Zugleich kündigte Scharaa an, in den nächsten Tagen die neue Struktur der syrischen Streitkräfte bekannt zu geben. Zuvor hatte er Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister ernannt, der für viele HTS-Offensiven in den vergangenen Jahren verantwortlich war. Mit Asaad Hassan al-Schaibani wurde zudem ein neuer Außenminister ernannt.
Syrien will sich künftig weniger in Libanon einmischen
Am Sonntag hatte Scharaa auch die libanesischen Drusenführer Walid und Taimur Dschumblatt im Präsidentenpalast in Damaskus empfangen. Damaskus werde sich nicht länger „negativ in die Angelegenheiten Libanons einmischen“, kündigte Scharaa an. Die Drusen sind arabische Muslime und eine der größten Minderheiten in Syrien. Der 75 Jahre alte Walid Dschumblatt gilt als einer der größten Kritiker Assads. Medienberichten zufolge äußerte er nun, dass Assads Sturz neue konstruktive Beziehungen zwischen Libanon und Syrien einleiten könnte.
Derweil rechnet Irans Oberster Führer, Ali Khamenei, mit neuem Widerstand der Syrer gegen die jetzigen Machthaber. „Wir gehen davon aus, dass sich in Syrien wieder eine starke (Widerstands-)Gruppe bilden wird“, sagte Khamenei am Sonntag der Nachrichtenagentur ISNA zufolge. Vor allem die syrische Jugend werde Widerstand gegen diejenigen leisten, die ihr Land und ihre Zukunft wiederholt unsicher gemacht hätten. Assad war einer der wichtigsten Verbündeten Irans im Nahen Osten. Sein Sturz ist eine Niederlage für Teheran.