Kultur

Jan Mohnhaupts und Lothar Müllers Bücher über Spinnen | ABC-Z

Hoch ließen sich die Bücher stapeln, die über Hunde und Katzen geschrieben worden sind. Die zwei domestizierten Prädatoren gelten als unsere liebsten tierischen Begleiter. Fast keine Aufmerksamkeit haben bisher dagegen jene Tiere bekommen, die seit frühester Zeit eng mit Menschen zusammenleben und auch heute nahezu jedes Haus besiedeln – Spinnen.

Vor Spinnen schrecken viele Menschen instinktiv zurück. Von einer Beziehung zu ihnen kann nicht die Rede sein. Sie werden höchstens geduldet, oft aber einfach weggesaugt. Auch was ihre Rolle in der Natur betrifft, sind Spinnen, die es seit 300 Millionen Jahren auf der Erde gibt, eine Leerstelle. Zur Rolle von Vögeln, Bienen und Bäumen in den Ökosystemen kursiert einiges an Allgemeinwissen. Dagegen dürften Antworten auf die Frage, wozu die weltweit mindestens fünfzigtausend verschiedenen Spinnenarten eigentlich gut sind, meist einsilbig ausfallen.

Zwei Monographien, eine von Jan Mohnhaupt, die andere von Lothar Müller, setzen nun dazu an, das zu ändern. Die Biologie der Tiere spielt in beiden Büchern eine Rolle, aber die Betrachtungen gehen weit darüber hinaus. Mohnhaupt schreibt, Spinnen hätten ihn schon in seiner Kindheit fasziniert: „Diese ästhetischen Jägerinnen, die sich so elegant auf ihren acht Beinen durch ihre Netze und Gespinste bewegten und darin den Insekten nachstellten, zogen mich magisch an: Ich lauschte dem Summen der Stubenfliegen, wenn sie sich im Fadengewirr verfingen, schaute zu, wie die Jägerinnen ohne Hektik herbeikamen, die Beute mit ihren Beinen packten und drehend einsponnen, um sie dann mit einem Biss zu töten.“

Auf der dunklen Seite der Macht

Das Buch beginnt mit der Geschichte einer Vogelspinne namens Alpha, die der Autor in jungen Jahren zur Haltung im Terrarium bekommen und mit der er über ein Vierteljahrhundert hinweg an wechselnden Orten zusammengelebt hat, bis er schweren Herzens ihrem langsamen Dahinsterben ein Ende bereitete. Schnell wird es grundsätzlich, ja philosophisch: Wie hat diese Spinne über die Jahre wohl ihn wahrgenommen, fragt er, wie sah ihre Perspektive auf die Welt aus?

Lothar Müller: „Spinnen“. Ein Portrait.Matthes & Seitz Verlag

Man mag sich zunächst wundern, warum Mohnhaupt die Spinne als „wirkmächtige Akteurin“ beschreibt, die „die Geschichte der Menschen mitbeeinflusst“ hat. Was damit gemeint ist, entwickelt er kunstvoll in verschiedenen Kapiteln, die neben den naturkundlichen Aspekten davon handeln, wie Netze und Bauten der Spinnen auf unsere Architektur und Materialforschung abfärbten, wie Spinnen mit der Seide zu Nutztieren geworden sind, welche Rolle sie bei der Besiedlung unwirtlicher Lebensräume spielen – und welche erstaunlich große Bedeutung sie über die ganze Kultur- und Kunstgeschichte hinweg hatten.

Spinnen kommen bei uns traditionell schlecht weg. So berichtet Ovid in seinen Metamorphosen von der sterblichen Weberin Arachne, die so talentiert war, dass sie die Göttin Pallas Athene an Kunstfertigkeit übertraf – und zur Strafe von dieser in eine Spinne verwandelt wurde. In der Frühen Neuzeit zog der Arzt Paracelsus eine „teuflische Verbindung“ zwischen weiblicher Sexualität und der Spinne und behauptete, die Tiere stammten aus der Monatsblutung von Frauen. „Viel früher als der Krake bekam die Spinne in der abendländischen Kultur einen Platz auf der dunklen Seite der Macht zugewiesen“, schreibt Mohnhaupt. Ins Extreme gesteigert hätten diese die Nationalsozialisten, indem sie das verhasste „Weltjudentum“ als Spinne und Ursache allen Übels dargestellt hätten.

Zwischen Ekel und Faszination

Doch Mohnhaupt bietet in seinen kurzweiligen Exkursionen in die Geistesgeschichte auch positive Urteile. Im Mittelalter sei das Spinnennetz als Wunderwerk der göttlichen Schöpfung gelobt worden, der französische Philosoph Michel de Montaigne habe sogar geglaubt, dass die Tiere uns Menschen in vielem überlegen seien. Der russische Torhüter Lew Jaschin wurde „schwarze Spinne“ genannt, und ein Hinweis auf die „bekannteste positiv besetzte Spinnen-Figur“ namens Spider-Man darf auch nicht fehlen.

Jan Mohnhaupt: „Von Spinnen und Menschen“. Eine verwobene Beziehung.
Jan Mohnhaupt: „Von Spinnen und Menschen“. Eine verwobene Beziehung.Hanser Verlag

Die Ambivalenz im menschlichen Blick auf die Spinnenwelt macht Mohnhaupts Buch zu einer aufschlussreichen Lektüre. Zwar überhebt sich der Autor an der einen oder anderen Stelle stilistisch, etwa wenn er indigene Mythen über Spinnen aus der Ich-Perspektive eines Tiers erzählt. Das wird aber durch die Fülle der am Ende des Buchs auf mehr als vierzig Seiten ausgebreiteten Quellenangaben wettgemacht. Sie geben genauso ausführlich Auskunft über Biologisches wie über historische und kulturelle Aspekte.

Weniger experimentell im Duktus, aber nicht weniger lesenswert geht Lothar Müller vor. Der heutigen Indifferenz gegenüber Spinnen setzt er entgegen, dass „kaum eine Tiergruppe vielfältiger in die Mythen, Sagen und Dämonologien aller Kulturen verwoben“ sei. Wenigen Tieren gegenüber sei „die Amplitude der Affekte zwischen Ekel und Faszination größer“.

Die Spinne als Metapher

Müller verweilt länger bei einzelnen Sujets als Mohnhaupt, etwa wenn er die Legende erzählt, wie eine Spinne dem schottischen Befreiungskämpfer Robert the Bruce dabei half, die richtigen Entscheidungen in seinem Kampf gegen die Engländer zu treffen, oder wenn er ausführlich die Wirkungsgeschichte der Arachne-Sage bis in die Werke von Karl Marx hinein darlegt. Besonders gelungen ist das Kapitel darüber, wie niemand im Europa des späten siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhunderts der Naturforscherin Maria Sibylla Merian abnahm, dass sie bei ihrer Expedition nach Surinam gesehen habe, wie eine Spinne Vögel fresse. Merian verewigte ihre Beobachtung in einer farbigen Tafel ihres Werks „Metamorphosis Insectorum Surinamensium“, die Müller als von der Wirkung her wichtigste mediale Darstellung von Spinnen betrachtet.

Vorbild für die Wissenschaft: Die Materialforschung hat großes Interesse an Spinnennetzen.
Vorbild für die Wissenschaft: Die Materialforschung hat großes Interesse an Spinnennetzen.picture alliance/dpa

Männliche Naturforscher machten sich gleichwohl über das Bild lustig. „Merian wurde, weil sie eine Frau war, Leichtgläubigkeit gegenüber den Indigenen unterstellt, und diesen selbst die Unfähigkeit zur rational-empirischen Wahrnehmung der Natur aufgrund ihrer Befangenheit in mythisch-magischen Weltbildern“, schreibt Müller und erzählt genüsslich, wie 2017 eine Biologin eine bis dahin unbekannte vogelfressende Spinne aus Peru zur vollständigen Rehabilitation der Naturforscherin auf den Namen Avicularia merianae tauften.

Ähnlich instruktiv sind Müllers Erkundungen der Literaturgeschichte, vom Frühwerk des Horrorgenres, dem Buch „Die schwarze Spinne“ des Schweizer Pfarrers und Schriftstellers Jeremias Gotthelf, über Tolkiens Shelob, die Wächterspinne auf dem Weg nach Mordor, bis zu dem Fragment gebliebenen Fortsetzungsroman „Das Spinnennetz“ von Joseph Roth. Letzterer „kehrte darin die in antisemitischen Pamphleten beliebte Metapher gegen ihre Urheber und wandte sie auf ein völkisch-antisemitisches Netzwerk an, das er der realen Organisation Consul nachgebildet hatte“, schreibt Müller – und unterstreicht damit abermals die Ambivalenz der Spinne als Metapher.

Ist es nur Zufall, dass beinahe gleichzeitig zwei Bücher erscheinen, die sich mit der Natur- und Kulturgeschichte der Spinnen beschäftigen? Vielleicht war nach all der Hunde- und Katzenliteratur eine Hinwendung zu dieser vernachlässigten Tiergruppe überfällig. Empfehlenswert sind beide Bücher, und man ist versucht zu sagen, dass es den Autoren gelingt, ein weites Netz an Bezügen und Anekdoten zu spinnen und den Leser einzufangen.

Lothar Müller: „Spinnen“. Ein Portrait. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2024. 151 S., Abb., geb., 22,– €.

Jan Mohnhaupt: „Von Spinnen und Menschen“. Eine verwobene Beziehung. Hanser Verlag, München 2024. 256 S., Abb., geb., 24,– €.

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