Isar-Amper-Klinikum in Haar bei München: Vielfalt in der Psychiatrie – Landkreis München | ABC-Z

Das Bekenntnis zu „Vielfalt“ und „Diversity“ fällt nicht mehr allen so leicht. Die aggressive Rhetorik von US-Präsident Donald Trump wirkt. SAP dampfte jüngst seine Frauen-Förderung ein. Doch nach wie vor weist der Verband „Charta der Vielfalt“ den größten deutschen Software-Konzern als Mitglied aus. Eins der jüngsten Mitglieder ist das Isar-Amper-Klinikum Region-München mit Sitz in Haar. Die 29 Jahre alte Verena Bacher leitet die neu eingerichtete „Stabsstelle Vielfalt“ am größten psychiatrischen und neurologischen Krankenhaus in Bayern. Sie hat die Aufgabe, die Einrichtung mit 4500 Mitarbeitern und Tausenden Patienten, die viele Kulturen repräsentieren, weiter auf Weltoffenheit zu trimmen.
Die 2006 ins Leben gerufene „Charta der Vielfalt“ zählt 6500 Unternehmen und Organisationen zu ihren Mitgliedern und beschreibt sich selbst als Deutschlands „größte Arbeitgebendeninitiative zur Förderung von Vielfalt in der Arbeitswelt“. Die Unterzeichner haben sich verpflichtet, ein „wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld“ zu schaffen und bearbeiten sieben Dimensionen, auf denen sich Toleranz gegenüber Anderssein zu beweisen hat. Es geht um Alter, Migrationsgeschichte und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und auch soziale Herkunft.
Für eine Fachklinik wie das Haus in Haar im Münchner Osten spielen Werte seit jeher eine übergeordnete Rolle. Das Menschenbild bestimmt die Arbeit in der Psychiatrie, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch als Kreisirrenanstalt firmierte. Es folgte eine Zeit des Aufbruchs, abgelöst von der finstersten Zeit im Nationalsozialismus mit dem „Euthanasie“-Mordprogramm. Erst in den Siebzigerjahren fand man durch die Psychiatrie-Reformbewegung zu mehr und mehr an humanen Grundsätzen orientierten Behandlungsmethoden. Toleranz gegenüber dem Anderssein – das gehört bei Ärztinnen und Ärzten und bei Pflegekräften heute zum Anforderungsprofil. Das steht im Leitbild der Klinik, das im Büro des Geschäftsführers hängt, und an zig anderen Stellen auf dem großen Klinikareal auch.
„Es reicht nicht, das nur als Parole auszugeben“, sagt Nicolas von Oppen, als er die neue Diversity-Beauftragte vorstellt. Und er sagt noch einen Satz, den Warner wie der Ärztliche Direktor Peter Brieger immer wieder aussprechen, wenn Ewiggestrige von einer homogenen Gesellschaft träumen. „Nie wieder ist jetzt“, sagt Oppen. Für das Isar-Amper-Klinikum ist das angesichts der Historie eine Verpflichtung.
Vielfalt garantiert am Klinikum im Grunde schon die Belegschaft. 4500 Mitarbeiter aus nach eigenen Angaben mehr als 100 Ländern zählt die Klinik an ihren 14 Standorten, von denen der am Schwabinger Krankenhaus, in Taufkirchen an der Vils und in Fürstenfeldbruck die größten sind. Die einst in Haar auch mit vielen stationären Betten lokalisierte Klinik hat sich in ihrer therapeutischen Arbeit geöffnet und bietet heute mit tagesklinischen Einheiten, wie etwa in Berg am Laim Hilfe dort an, wo die Hilfsbedürftigen sind. Wer eine Depression entwickelt, einen schizophrenen Schub oder eine Neurose soll möglichst wohnortnah Unterstützung bekommen. Und mehr und mehr auch zu Hause versorgt werden, wie durch die sogenannte Stationsäquivalente Behandlung (Stäb), bei der Therapeuten zu den Patienten kommen. Für 2,5 Millionen Menschen im Großraum bietet die Einrichtung des Bezirks Oberbayern die Grundversorgung, und damit für Menschen aus der ganzen Welt.
Doch aus Sicht von Nicolas von Oppen ist damit nicht automatisch schon alles gut. Wird man als Arbeitgeber auch den Pflegekräften gerecht, die man unter anderem gezielt auf den Philippinen angeworben hat? Und wie gehen Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten auf muslimische Patienten zu? Verena Bacher soll sich das als Vielfalt-Beauftragte alles mal anschauen. Sie ist gerade auf Tour durch die Klinik, arbeitet hier und da mal einen Tag mit. „Es geht darum, die Stationen kennenzulernen“, sagt sie, „und die Bedarfe kennenzulernen.“ Bacher hat an der Ludwig-Maximilians-Universität den Bachelor in Pädagogik und Bildungswissenschaft gemacht und in der Asylsozialberatung Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen und deren Schicksalen gehabt. Sie spricht Deutsch, Englisch und Spanisch. Sie wolle später Sprechstunden für Mitarbeitende anbieten und mit Blick auf die Patienten eine Schnittstelle werden, um den Fachkräften im Haus beratend zur Seite zu stehen.
Psychiatrische Notfälle sind Extremsituationen. Das trifft Patienten und deren Angehörige. Und dann ist Fingerspitzengefühl gefragt, wenn etwa eine Familie aus einem anderen Kulturkreis ihren Angehörigen nicht alleine in der Klinik zurücklassen möchte. Oder wie geht man damit um, wenn Vater einen neurotischen Schub hat und nur der Sohn übersetzen kann? Wird dieser nicht zu sehr belastet in solch einem Moment? Oppen sagt, man setze mittlerweile verstärkt hocheffiziente technische Übersetzungshilfen ein.
Eine andere mögliche Konfliktsituation wäre, dass ein biologisch männlicher Patient sich als Frau fühlt oder einfach divers und sich die Frage stellt, ob er oder sie oder die diverse Person in ein Männerzimmer kommen kann, wenn mal kein Einzelzimmer vorhanden ist. Wie lässt sich Altersdiskriminierung ausschließen, wo muss man ansetzen, um psychisch Kranken in prekären Lebenssituationen adäquat zu begegnen? Verena Bacher sagt, sie werde ihre aus der Asylsozialberatung geschaffenen Netzwerke nach draußen weiter nutzen, etwa zur LGBTIQ*-Szene.

„Wir stehen erst am Anfang und fragen uns, wo unsere Agenda ist“, sagt Oppen. Es gehe nicht um Lösungen im Einzelfall, sondern darum, sich organisatorisch richtig aufzustellen im Haus. „Wir wollen das Thema nicht wegdelegieren“, sagt Oppen. Verena Bacher werde direkt an die Klinikleitung berichten und sich regelmäßig mit ihm austauschen. Ebenso wie mit dem Ärztlichen Direktor Peter Brieger und der Pflegedirektorin Brigitta Wermuth. Es gehe um ein miteinander auf Augenhöhe – und das auf allen Ebenen.
Aber lehnt sich das Isar-Amper-Klinikum Region-München nicht in Zeiten, in denen viele vom heraufziehenden Kulturkampf reden, und in denen eine Bundestagspräsidentin die Regenbogenfahne vom Bundestagsdach verbannt, mit ihrem Bekenntnis zur Vielfalt nicht ohne Not aus dem Fenster? Oppen widerspricht. Er glaube, man müsse das „jetzt erst recht“ tun. Es handle sich, „wenn Sie so wollen, um klassische Nächstenliebe“.
Die leben die Mitarbeiter auch auf der Parade zum Christopher-Street-Day in München aus. Zweimal war laut Oppen eine Gruppe der Klinik dabei. 80 Personen hätten letztens mitgemacht, sagt der Geschäftsführer, dem ganz am Ende des Gesprächs über Vielfalt und Diversity in seinem Haus einfällt, dass er in seinem Büroschrank ja ein T-Shirt hängen hat, das genau das zum Ausdruck bringt. Er holt es heraus. „Liberté, Diversité, Queerité“ ist dort in Abwandlung der Kernforderungen der Französischen Revolution zu lesen, und unter einem Kliniklogo mit Regenbogenfarben steht: „Bunt und vielfältig wie das Leben.“