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„Irgendjemand hat dafür bezahlt“: Habeck ereilt Plagiatsvorwurf zum ungünstigsten Zeitpunkt | ABC-Z

Es sind keine zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Für Grünen-Kanzlerkandidat Habeck läuft es im Vergleich zu den früheren Ampel-Partnern ordentlich. Doch ausgerechnet jetzt werden Plagiatsvorwürfe zu seiner Doktorarbeit laut. Das Thema überschattet einen großen Auftritt im ZDF.

Eigentlich hätte er hier gar nicht sitzen wollen, am Montagmittag im ZDF-Hauptstadtstudio zur Aufzeichnung der Sendung „Was nun, …?“. Statt in der am frühen Abend ausgestrahlten Sendung hatte Habeck sich eigentlich schon am Tag zuvor in ZDF und ARD gesehen, zur Prime-Time zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Herausforderer von der Union, Friedrich Merz. Doch die öffentlich-rechtlichen Anstalten entschieden anders. Ein alternatives Duell mit AfD-Kandidatin Alice Weidel lehnten die Grünen ab und stänkerten stattdessen am Sonntagabend auf Social Media, dass sich da gerade das Gestern (Scholz) mit dem Vorgestern (Merz) duelliere.

Auch am Tag darauf sitzt der Stachel noch tief bei Habeck. Als ZDF-Journalistin Anne Gellinek feststellt, die Debatte zwischen Scholz und Merz habe stark nach Großer Koalition nach der Wahl gerochen, kann sich Habeck die Spitze nicht verkneifen. „Das Duell gestern haben Sie ja komponiert. Die Vielfalt des Landes wäre ja auch attraktiv gewesen“, erinnert Habeck Gellinek und Co-Moderatorin Bettina Schausten an das Zustandekommen der Sendung. Habeck setzt nach: „Wenn man die Große Koalition bestellt, dann kriegt man sie auch.“ Für Habeck-Verhältnisse ist diese Replik schon beinahe giftig.

Nun also sitzt er in der Katzentisch-Sendung, obwohl die Grünen doch nach Umfragen mit der SPD gleichauf sind, wie Schausten zu Sendungsbeginn feststellt. Habeck ist zudem beliebter als Scholz. Die AfD liegt sogar vor den beiden Regierungsparteien und auch sie bekommt nur einen Platz bei „Was nun, …“, gleich im Anschluss an die Habeck-Ausgabe. Anders als Weidel könnte Habeck zudem der kommenden Regierung angehören. Ein Szenario, in dem die Union nur mit den Grünen eine Zwei-Parteien-Regierung bilden kann, ist nach Umfragen denkbar. „15 Prozent – das ist ungefähr das Wahlergebnis vom letzten Mal. Das haben die anderen Ampelparteien noch nicht einmal erreicht“, begründet Habeck seine Feststellung, er sei „zufrieden mit der Entwicklung des Wahlkampfes“.

Habeck nennt Plagiatsvorwurf „haltlos“

Ob das auch noch an diesem Montag gilt? Während der Aufzeichnung im ZDF-Gebäude zieht draußen schon der Sturm namens Plagiatsvorwurf auf. Habeck will ihn als künstlich aufgeblasene Böe entlarven. Er hat deswegen noch vor der Veröffentlichung der Vorwürfe durch das Julian-Reichelt-Portal „Nius“ selbst eine Erklärung herausgegeben. Auch Schausten und Gellinek befragen den amtierenden Vize-Kanzler gleich zu Sendungsbeginn zu den Vorwürfen.

„Ich wusste seit vielen Jahren, dass der Plagiatsjäger Stefan Weber meine Doktorarbeit überprüft“, sagt Habeck. Er habe deshalb die ihm bekannten Vorwürfe an die Universität Hamburg weitergeleitet. Der Doktor der Philosophie, Robert Habeck, sieht sich durch ein entstandenes Gutachten der Universität entlastet. „Die haben gesagt, da sind ein paar Ungenauigkeiten“, fasst Habeck mit Blick auf infrage gestellte Quellenangaben zusammen. „Aber es hat nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun. Insofern glaube ich, ist der Vorwurf haltlos.“

Habeck lässt keinen Zweifel daran, dass er ein wahltaktisches Interesse hinter den Anwürfen vermutet. „Irgendjemand hat sich viel Mühe gegeben und irgendjemand hat dafür bezahlt“, sagt Habeck. Seine Dissertation sei 25 Jahre her. „Wenn es dann zwölf Tage vor der Wahl erscheint, dann müssen sich andere Gedanken darüber machen, ob das Zufall sein kann. Ich habe darüber keine Erkenntnisse.“

Keine vollständige Entlastung bis zum Wahltag

Das Portal „Nius“ bestreitet, den umstrittenen Plagiatsjäger Weber beauftragt zu haben. Ob es jemand aus dem „Nius“-Umfeld war, Reichelt persönlich oder der „Nius“-Finanzier Frank Gotthardt, bleibt offen. Das Portal, das wie ein journalistisches Angebot aufgemacht ist, zitiert jedenfalls ausführlich aus dem Gutachten des Plagiatsjägers Weber.

In einem am Nachmittag veröffentlichten Artikel stellt „Nius“ dar, es gehe nicht nur um einen laxen Umgang mit Zitierregeln. Habeck habe in seiner Doktorarbeit vorgetäuscht, die Werke großer Philosophen selbst gelesen zu haben, indem er sie als Originalquellen seiner Dissertation angegeben habe. Doch laut „Nius“ kommt Weber zu dem Schluss, Habeck habe diese Philosophen nur aus Fachbüchern anderer Wissenschaftler zitiert.

Die Universität Hamburg muss diesen Vorwurf noch prüfen. Eine vollständige Entlastung Habecks bis zum Wahltermin 23. Februar ist eigentlich nicht zu schaffen. Was Habeck ärgert: Weber beschäftige sich auch mit dem akademischen Werk seiner Ehefrau Andrea Paluch, obwohl diese kein politisches Amt ausübt. Als Buchautorin ist sie aber zumindest eine einigermaßen öffentliche Person.

Raus aus der Haushalts-Homöopathie

„Ich gehe nicht freiwillig als Verlierer vom Platz“, begründet Habeck unter anderem seine Motivation, trotz streitbarer Bilanz als Bundeswirtschaftsminister als Spitzenkandidat seiner Partei anzutreten. Drei Rezessionsjahre in Folge seien nicht „gut“. Doch er habe als Minister immerhin verhindert, dass die deutsche Wirtschaft ohne Gas, Öl und Kohle gar um 2 bis 6 Prozentpunkte einbricht, wie es einige Prognosen hätten erwarten lassen.

Um nun Deutschlands „strukturelle Wirtschaftskrise“ zu überwinden, brauche es mehr Bürokratieabbau, mehr Fachkräftezuwanderung und mehr Investitionsmöglichkeiten. Warum das während der Ampel-Regierung nicht geglückt ist? „Wir konnten uns halt immer nur auf homöopathische Vorschläge einigen, weil wir die Einnahmen und die Ausgaben im Jahr immer ausgleichen mussten“, sagt Habeck. Die Haushaltsregeln einschließlich Schuldenbremse erlaubten kein kraftvolles Investieren, wie es alle Länder machten, deren Wirtschaft wieder wachse.

Fehler in der Kommunikation seines Vorschlags zur Finanzierung der Pflegekosten kann Habeck nicht erkennen. CDU und CSU etwa hätten gar keine Ideen. „Das ist warme Luft in Tüten“, sagt Habeck über deren Wahlprogramm. „Diejenigen, die keine Vorschläge machen und immer nur kritisieren, die wollen das Land regieren?“, empört sich Habeck.

Steigende Beiträge zur Pflegeversicherung erhöhen die Arbeitskosten und mindern den Nettolohn in Deutschland, weshalb Habeck auch Aktiengewinne von Vermögenden zur Finanzierung der Pflege heranziehen will. „Das ist Deutschlands Problem, dass lauter Leute sich um die unbequemen Analysen und Wahrheiten herumdrücken“, sagt Habeck im ZDF. „Und dann wundern wir uns, dass wir in allen Bereichen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.“

Von Trump zu Merz

Ein ebenfalls am Tag des Interviews virulentes Thema drückt weiter auf die Stimmung des Bundeswirtschaftsministers: Ein Zollkrieg zwischen USA und EU wird angesichts der jüngsten Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump immer konkreter. Er telefoniere zur Zeit viel mit den anderen Wirtschaftsministern, sagt Habeck. Eine Liste von Gegenzöllen der EU liege fertig in den Brüsseler Schubladen. „Wir dürfen uns nicht rumschubsen lassen“, sagt Habeck. „Ich finde, das hat sich noch nie als erfolgreich ausgezahlt – weder gegenüber China noch gegenüber Donald Trump.“

Allerdings, warnt Habeck, sei das Interesse an einem Kräftemessen mit den USA in Europa nicht überall gleichermaßen ausgeprägt. Der US-Export sei für die Wirtschaftsleistung vieler EU-Länder nicht so wichtig wie für Deutschland. „Wir sind in besonderem Maße betroffen, wenn die Zölle kommen.“

Und damit findet Habeck eine Überleitung zu Friedrich Merz und dessen Forderung nach einer Abriegelung deutscher Grenzen, wofür Union und AfD gemeinsam im Bundestag gestimmt haben. „Europa ist eine Solidaritätsveranstaltung. Man kann nicht sagen ‚Wir machen die Grenzen dicht, es passt uns gerade. Aber bitte, wenn die Zölle kommen, dann helft uns‘.“ Deutschland müsse Europa zusammenhalten. „Man kann nicht antieuropäisch sein und auf europäische Solidarität hoffen“, sagt Habeck. „Deswegen ist auch dieser Merz-Vorschlag in dieser Hinsicht so verräterisch.“

Ob es nach der Wahl dennoch zu einer Koalition zwischen Union und Grünen kommen könne, wollen Gellinek und Schausten wissen. Habeck will das keinesfalls ausschließen. Schon mit Blick auf das Beispiel Österreich warnt der Grünen-Kandidat seit längerem davor, dass sich die demokratischen Parteien zerlegen und am Ende die Rechtspopulisten an die Macht kommen. Ob er auch das Feld räumen würde, wenn die Union das zur Bedingung für eine schwarz-grüne Koalition erhebt, wollen die Moderatorinnen wissen. Darüber wolle er jetzt nicht spekulieren, antwortet Habeck. Falls es so kommt, ginge er doch als Verlierer vom Platz – ganz ohne Plagiatsvorwürfe auf den letzten Metern.

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