Geopolitik

Iran: Wenn Israelhass Staatsraison ist | ABC-Z

Das Regime in Teheran ruft in immer schrilleren Tönen zur Auslöschung Israels auf. Auf seinen unerbittlichen Druck hin werden selbst die Intellektuellen und Reformer, die Israel sachlich betrachteten, zu Feinden des jüdischen Staats. Aufschlussreich ist, wer sich der Propaganda nicht anschließt.

Es war der 5. November 2016, wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, als Prof. Sadegh Zibakalam umständlich ein Treppengeländer hinaufkletterte, um ja nicht auf eine israelische Flagge zu treten.

Zu diesem Zeitpunkt war das Atomabkommen noch in Kraft, und der Iran bemühte sich, der Welt ein neues Image zu präsentieren. Das hielt eine Studentenorganisation aber nicht davon ab, den Professor an der Mashhad-Universität mit amerikanischen und israelischen Flaggen – demonstrativ auf dem Boden ausgebreitet – zu begrüßen. Zibakalam, der schon zuvor für seine abweichenden Ansichten zu den USA und Israel bekannt war, weigerte sich, die Fahnen zu entweihen. Das Video der Szene ging viral.

Nur acht Jahre später geriet Zibakalam erneut in die Schlagzeilen – diesmal wegen seiner Kommentare zum Tod von Jahja Sinwar, dem Hamas-Führer in Gaza und Architekten des Massakers vom 7. Oktober. In einem Beitrag auf X schrieb er: „Erinnern Sie sich, wie oft das israelische Militär behauptete, er verstecke sich in Tunneln und benutze Geiseln als menschliche Schutzschilde?“

Damit versuchte er wohl zu implizieren, dass Sinwar, der in einem zerbombten Haus von der israelischen Armee getötet wurde, wie ein Held gestorben sei. Dass Sinwar sich höchstwahrscheinlich nur kurz an die Oberfläche gewagt hatte, weil die Geiseln, die ihn schützen sollten, zu geschwächt waren, um weiter durch die Tunnel gezerrt zu werden, erwähnte Zibakalam nicht. Dass genau diese sechs Geiseln, die Sinwar als Schutzschild dienten, kurz danach von Hamas-Wärtern hingerichtet wurden, auch nicht.

Bereits zuvor hatte der Professor in einem Interview mit zum Tod von Ismail Hanija, dem Chef des Hamas-Politbüros, erklärt: „Ich spreche Hanija mein Beileid zu seinem Märtyrertod aus. Die Hamas ist keine terroristische Gruppe. Israel hat das Land der Palästinenser besetzt, und es gibt keinen anderen Weg.“ Er fügte hinzu, die Ereignisse in Gaza seien ein „Genozid“.

Diese Kommentare schockierten seine Anhänger. Warum wich Zibakalam plötzlich so stark von seinen früheren Positionen ab? War es der anhaltende Gaza-Krieg, der nun auch direkte Angriffe zwischen dem Iran und Israel mit sich brachte? Oder waren es vielmehr die Repressalien, denen er in den letzten Jahren ausgesetzt war?

Die Strategie der Mullahs

Vor zwei Jahren verlor Zibakalam im Zuge der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste seine Professur an der Universität Teheran. 2024 wurde er sogar kurzzeitig wegen eines früheren „Vergehens gegen die nationale Sicherheit“ inhaftiert. Der Druck auf Regimekritiker und jene, die Israel nicht verteufeln, nimmt stetig zu – und manchmal zeigt er Wirkung. Zibakalam ist ein Beispiel dafür, dass die Strategie der Mullahs aufgeht.

Seine Geschichte spiegelt einen breiteren Trend im Iran wider. Unter dem unerbittlichen Druck des Regimes werden selbst die Intellektuellen und Reformer, die Israel gemäßigt und mit Vernunft betrachteten, zu Feinden des jüdischen Staats.

Im Iran gilt jede Form der Unterstützung Israels als schweres Vergehen, das mit harten Strafen geahndet wird und zur Unterdrückung abweichender Meinungen dient. In iranischen Medien ist es verboten, den Namen „Israel“ zu verwenden. Stattdessen werden Begriffe wie „zionistisches Regime“ oder „israelisches Regime“ vorgeschrieben. Schon geringste Abweichungen können ausreichen, um den Vorwurf zu erheben, man sympathisiere mit Israel.

Nutzer sozialer Medien sind ähnlichen Risiken ausgesetzt; einige werden wegen israelfreundlicher Beiträge verhaftet oder strafrechtlich verfolgt. Diese Maßnahmen verschärfen sich in Zeiten erhöhter Spannungen zwischen dem Regime und Israel. Im vergangenen Jahr wurden vier Personen im Iran wegen angeblicher Zusammenarbeit mit dem „zionistischen Regime“ hingerichtet, und viele Nutzer sozialer Medien wurden in diesem Zusammenhang festgenommen.

Die iranischen Revolutionsgarden forderten die Bevölkerung ausdrücklich dazu auf, israelfreundliche Posts zu melden. Zudem wird der Vorwurf der Kollaboration mit Israel häufig gegen Inhaftierte erhoben, die dann schwerer Folter ausgesetzt sind – wie im Fall von Mazyar Ebrahimi, der nur knapp einer Hinrichtung entkam.

Der reformorientierte Journalist Abbas Abdi wurde kürzlich von der Justiz vorgeladen, weil er das Konzept der Abschreckung gegenüber Israel mit den Worten „Abschreckung gegen einen Staat, den man nicht anerkennt, ist sinnlos“ infrage gestellt hatte. Unter starkem Druck wurde Abdi gezwungen, seine Aussage zurückzuziehen. Auch ein Filmemacher, der einen der direkten Angriffe Irans auf Israel als „theatralisch und unangemessen“ bezeichnete, wurde gerichtlich belangt.

So geht das schon seit Jahren. Bereits 2008 verlor der Stellvertreter von Mahmoud Ahmadinedschad seine Chance auf das Amt des Vizepräsidenten, nachdem er seine Freundschaft zum israelischen Volk öffentlich bekundet hatte. Im selben Jahr wurde eine iranische Zeitung verboten, nur weil sie eine Erklärung einer Studentengruppe veröffentlichte, die die Hamas kritisierte. Selbst während der Zeit des Atomabkommens vermieden Journalisten positive Kommentare zu Israel.

Countdown zur Zerstörung Israels

Als die USA unter Donald Trump aus dem Atomdeal ausstieg, machten sie den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu verantwortlich, anstatt die aggressive Haltung des iranischen Regimes zu hinterfragen, das regelmäßig mit der Vernichtung Israels droht und durch seine Stellvertreter Hamas und Hisbollah seit Jahren einen Krieg gegen Israel führt.

Wie sehr das islamische Regime den Israelhass auch direkt unters Volk bringen will, kann man auf dem Palästina-Platz in Teheran sehen. Dort zeigt eine Neonanzeige einen Countdown zur angeblichen Zerstörung Israels im Jahr 2029. Daneben werden regelmäßig neue Anti-Israel-Poster angebracht. Kürzlich sorgte ein großes Plakat, das in hebräischer Sprache ankündigte, dass keine der israelischen Geiseln aus Gaza zurückkehren würde, für Aufsehen – es zeigte unter anderem blutige Bilder der entführten Bibas-Kinder, Ariel und Kfir.

Der Palästina-Platz liegt mitten in Teherans Zentrum, nicht weit vom Stadttheater entfernt. Hunderte Menschen gehen dort täglich entlang. Gelegentlich mobilisieren Regime-Organisationen wie die Basidsch große Menschenmengen, um dort Parolen gegen Israel zu skandieren. Basidsch ist eine Abteilung der Islamischen Revolutionsgarden, sie ist auch in Schulen, Moscheen und Universitäten aktiv.

Basidsch stellen auch beliebte Ferienlager, vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten, und wer zu den Basidsch geht, kann den verhassten Militärdienst im Iran verkürzen. Bei von ihnen organisierten Protesten findet sich ein Mix aus Schülern und Studenten der Einheit, Angestellten des Staats und anderen radikalen Religiösen. Sie stellen eine Minderheit im Iran dar, verfügen aber über Medieneinfluss, Geld und Waffen.

Trotz des andauernden Gaza-Kriegs und trotz der Rundumbeschallung mit Israelhass scheinen aber immer noch weite Teile der Bevölkerung die Propaganda zu durchschauen. Selbst nach direkten Angriffen Irans auf Israel und entsprechenden Vergeltungsschlägen trifft die stärkste Kritik in den sozialen Medien das islamische Regime. Viele Iraner haben das Gefühl, in einen Konflikt hineingezogen zu werden, mit dem sie nichts zu tun haben.

Im Internet feiern auch einige mutig den Tod von Hamas- und Hisbollah-Führern und weisen auf die Milliarden hin, die der Iran an diese Gruppen zahlt, während die eigene Bevölkerung am wirtschaftlichen Abgrund steht. Das Regime hatte diese Milizen gegen Israel in Stellung gebracht, um von Angriffen auf sich selbst abzuschrecken – eine Strategie, die in den vergangenen Monaten immense Rückschläge erlitten hat.

Manche gehen sogar so weit, den israelischen Premierminister Netanjahu als „Retter der Welt“ zu bezeichnen und israelische Demonstranten, die gegen seine Regierung protestieren, als „undankbare linke Narren“ zu verunglimpfen. Diese Leute hoffen, dass Netanjahu die Iraner vor ihrer islamischen Führung befreit.

Ähnlich funktioniert das Verhältnis vieler Iraner zu Donald Trump. Während das iranische Regime zunehmend unter innerer Uneinigkeit leidet und der Druck auf Journalisten und Intellektuelle wächst, steigt die Unterstützung für Trump unter vielen Iranern. Hier zeigt sich, wie tief die Kluft zwischen Journalisten und Intellektuellen auf der einen und dem Volk auf der anderen Seite inzwischen ist.

Kluft zwischen Gesellschaft und Intellektuellen

Die iranische Bevölkerung hat sich von ihren Intellektuellen distanziert. Ein Zeichen dafür sind die Wahlen im Juli 2024, bei denen viele Menschen trotz der Aufrufe der Intellektuellen keine Stimme abgegeben haben. Nach der brutalen Unterdrückung der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste waren es vor allem die Frauen, und die Bürger im Allgemeinen, die die Protestbewegung vorangetrieben haben – von den Intellektuellen hingegen kam wenig Unterstützung.

Trotz der ablehnenden Haltung des Regimes gegenüber Trumps Politik, insbesondere dem Ausstieg aus dem Atomdeal, betrachten viele Iraner seine „Maximaldruck“-Kampagne nicht nur als Bedrohung für die iranische Wirtschaft, sondern auch als ein Mittel, um die Schwächen der Regierung aufzudecken und den Druck auf das Regime zu verstärken.

Wie groß die Angst des Regimes vor erneuten Unruhen ist, zeigte unlängst ein Schritt des iranischen Präsidenten Massud Peseschkian. Dieser legte diese Woche ein Veto gegen das vom Parlament verabschiedete Kopftuchgesetz ein, welches für Frauen, die sich nicht an die Kopftuchpflicht halten, unter anderem hohe Geldstrafen oder die Verweigerung öffentlicher Dienstleistungen vorsieht.

Ein weiterer wichtiger Grund für die Unterstützung von Iranern für Trump ist die Tötung von Qasem Soleimani unter seiner Führung. Soleimani, ein wichtiger General des Islamischen Revolutionsgarden, soll für die Ermordung von fast 1.500 Demonstranten während der Proteste von 2019 bis 2020 verantwortlich gewesen sein.

Wie die iranischen Mullahs auf Donald Trumps Amtsantritt am 20. Januar reagieren werden, bleibt offen. Innerhalb der Regierung gibt es unterschiedliche Meinungen: Einige fordern Vergeltung für Soleimanis Tod, andere plädieren für Verhandlungen, wieder andere für einen Angriff auf Israel. Jedes Szenario könnte eine andere Reaktion auslösen.

Eines ist jedoch klar: Trumps zweite Amtszeit unterscheidet sich stark von der ersten. Die Hoffnungen der iranischen Bevölkerung auf Reformen sind nach der brutalen Unterdrückung der Proteste 2016 und 2019 verblasst. Heute unterstützen viele Iraner seine Regierung. Und während Intellektuelle wie Zibakalam und Abdi zwischen Zensur und Selbstzensur balancieren, stehen große Teile des Volkes dem Regime immer feindlicher gegenüber.

Nach dem Motto, dein Feind ist mein Freund, hegen sie Sympathien für die USA und Israel. Das iranische Regime wird weiterhin mit allen Mitteln dagegen kämpfen, denn für sie steht nichts Geringeres als ihr Überleben auf dem Spiel.

Die in Tel Aviv lebende Autorin Katharina Höftman Ciobotaru und der in Teheran lebende Autor Sohrab Shahname (Name geändert) schreiben gemeinsam ein Buch: „Über den Hass hinweg. Briefe zwischen Tel Aviv und Teheran“ erscheint im kommenden Jahr im Pinguin Verlag.

Back to top button