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Damit Deutschland nicht Komplize wird | ABC-Z

Bis zuletzt telefonierte Papst Franziskus regelmäßig mit der katholischen Kirchengemeinde in Gaza, ein letztes Mal am Samstagabend. Die Gespräche waren oft kurz, aber die Geste war ihm wichtig. Nach dem Tod des Papstes dürften die Menschen, die in der Kirche zur Heiligen Familie Zuflucht gesucht haben, sich noch schutzloser fühlen.

Im Gazastreifen herrscht seit Mitte März wieder Krieg, und das wird sich wohl nicht so bald ändern. Denn Israels Militäraktion dort verfolgt kein rationales Ziel mehr. Es geht nur noch darum, Macht zu demonstrieren und Schrecken zu verbreiten.

Dabei waren die Kriegsziele, die Israel nach dem beispiellosen Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgab, durchaus vernünftig. Die Geiseln befreien, die Macht der Hamas brechen, den Grenzregionen Sicherheit verschaffen – das waren und sind legitime Forderungen eines Staates, der seine Bürger schützen muss, und sei es mit Waffengewalt.

Zum Wohl der Geiseln?

Allerdings stand Israel von Beginn an vor einem Dilemma angesichts eines Gegners, der in dicht besiedeltem Gebiet einen Guerillakampf führt und dem die Zivilbevölkerung egal ist. Die Zerstörungswut, die sich im Gazakrieg offenbart, ist damit aber nicht zu rechtfertigen – ebenso wenig wie damit, dass Hass und Vernichtungswille auch auf palästinensischer Seite existieren.

Ganze Stadtviertel wurden dem Erdboden gleichgemacht, ganze Familien ausgelöscht. Soldaten nahmen Videos auf, in denen sie Gewalt zelebrierten. Es kann nicht überraschen, dass der Internationale Gerichtshof über den Vorwurf des Völkermords berät, während Netanjahu und dem vormaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant Kriegsverbrechen vorgeworfen werden – ebenso wie den inzwischen getöteten Hamas-Anführern in Gaza.

Die Zahl der Opfer geht in die Zehntausende, viele von ihnen Zivilisten. Die Hamas zu besiegen, gelang aber nicht. Dennoch kämpft die Armee seit dem Bruch der Waffenruhe wieder in Gaza. Warum, das versteht auch in Israel praktisch niemand mehr.

Die Regierung spricht davon, den Druck auf die Hamas zu erhöhen, und beteuert, das geschehe zum Wohl der Entführten. Deren Angehörige und ehemalige Geiseln sagen das Gegenteil: Die Kämpfe gefährdeten die Verbliebenen. So erklären sich auch die zahlreichen Demons­trationen und offenen Briefe, mit denen für ein neues Abkommen geworben wird.

Inzwischen sind einzelne Minister aus der Deckung gekommen. Bezalel Smotrich sagt, die Rückkehr der Geiseln sei nicht das wichtigste Ziel. Itamar Ben-Gvir plädiert dafür, Depots mit Hilfsgütern zu bombardieren. Sie fordern die Wiederbesetzung und Besiedlung des Gazastreifens, dessen Bevölkerung vertrieben werden soll.

So weit geht Netanjahu – noch? – nicht, aber er lässt die Angriffe fortsetzen, während Israel in den Gesprächen über ein neues Abkommen ebenso wenig Kompromissbereitschaft zeigt wie die Hamas. Gleichzeitig propagiert die Regierung, angestachelt durch Trump, die „freiwillige Ausreise“ der Bevölkerung – eine freundliche Umschreibung für ihre Vertreibung.

Eine unerbittliche Logik

Hinter all dem verbirgt sich eine unerbittliche Logik: Der Gazakrieg dient inzwischen vor allem dem Zweck, die politischen und ideologischen Bedürfnisse Netanjahus und seiner Koalition zu befriedigen. Allerdings ist er eine tödliche Veranstaltung. Etwa siebzig Prozent des Gazastreifens sind mittlerweile verbotenes Terrain für Palästinenser. Die Menschen werden nach und nach vertrieben und in eng umgrenzte Zonen gepfercht. Sicherer werden sie dadurch nicht. Immer wieder gibt es Angriffe auf Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser, Zelte.

Angeblich attackiert die Armee dabei stets „Terrorziele“. Das ist auch eine Frage der Definition: Wer für die Verwaltung arbeitet, und sei es als Feuerwehrmann, wird im Zweifel als Hamas-Mitglied betrachtet. Wer bestimmte Gebiete betritt, gilt automatisch als Feind.

Nur selten gerät die Armee dabei in größere Erklärungsnot. Ausländische Journalisten lässt sie nicht nach Gaza reisen, und lokale Berichte sind stets dem Verdacht ausgesetzt, sie seien Propaganda. Das quälende Video, das nach der Erschießung von 15 Ersthelfern Ende März gefunden wurde, und die grauenhaften Details der verscharrten Leichen sollten Mahnung genug sein, dass die Realität dieses Krieges sehr oft nicht den offiziellen Verlautbarungen entspricht.

Solche Vorfälle machen auch noch einmal deutlich, vor welcher Herausforderung Partner wie Deutschland stehen. Unterstützung für Israels legitime Kriegsziele, aber eine klare Ablehnung all dessen, was darüber hinausgeht – das kann die Haltung der neuen Bundesregierung sein. Ansonsten wäre Deutschland nicht ein Verbündeter, sondern ein Komplize.

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