Interview “Stiftung Zurückgeben”: “Man kann in der eigenen Familiengeschichte forschen” | ABC-Z

Interview | 30 Jahre “Stiftung Zurückgeben”
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“Man kann in der eigenen Familiengeschichte forschen”
Die “Stiftung Zurückgeben” fördert jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen – auch als Geste der Wiedergutmachung nach den NS-Verbrechen. Im Interview spricht Vorständin Sharon Adler über die Bedeutung des Erinnerns und den Umgang mit geraubtem jüdischem Eigentum.
rbb: Frau Adler, seit 30 Jahren gibt es die “Stiftung Zurückgeben”. Seit der Gründung 1995 fördern Sie Projekte von jüdischen Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Autorinnen, die in Deutschland leben. Was bedeutet das Jubiläum für Sie?
Sharon Adler: 30 Jahre – das ist für eine kleine, ausschließlich ehrenamtlich arbeitende Stiftung mit wenig Kapital eine große Leistung. Das muss gefeiert werden.
Zum Jubiläum wurde im Berliner Abgeordnetenhaus eine Ausstellung eröffnet. Was zeigt sie?
Die Ausstellung [Externer Link] dokumentiert, welche jüdischen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen in 30 Jahren gefördert wurden: Buchprojekte, Kunstinstallationen, Musik, Forschung. Jedes Projekt spiegelt auf eigene Weise eine jüdische Lebenswelt. Besonders berührt hat mich das Buchprojekt der Historikerin Jael Geis über jüdische Frauen im Arbeitsleben nach 1945. Viele konnten nach der Shoah ihre Berufe nicht wieder aufnehmen.
Die Stiftung fördert also nicht nur Künstlerinnen, sondern auch die Auseinandersetzung mit jüdischem Leben in Deutschland?
Ja. Es geht um Kultur, Sozialwissenschaft, Film, Musik. Das Thema Shoah steht nicht immer explizit im Vordergrund, aber es schwingt mit. Zum Beispiel bei der israelischen Filmemacherin Anat Manor, die einen Film über israelisch-deutsche Partnerschaften gemacht hat. Viele Israelis in Berlin setzen sich heute erstmals mit ihrer Familiengeschichte vor der NS-Zeit auseinander.
Blicken wir zurück: Wie begann alles?
Ich engagiere mich erst seit 2013 ehrenamtlich im Vorstand und war damals nicht dabei. Die Idee kam von jüdischen und nichtjüdischen Frauen – darunter Hilde Schramm [Anm.d.Red. Schramm ist die Tochter des Architekten und NS-Rüstungsministers Albert Speer]. Sie verkaufte Gemälde aus dem Besitz ihres Vaters, von denen sie annehmen musste, dass sie geraubt worden waren. Der Erlös bildete den Grundstock der Stiftung.

Heute, 80 Jahre nach Kriegsende, ist das Stichwort “Nazi-Erbe” schwer greifbar. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Es ist wichtig, auch den emotionalen Wert zu erkennen. Es geht nicht nur um Kunstwerke, sondern um Alltags- und Gebrauchsgegenstände – Löffel, Tischtücher, Schreibmaschinen. Alles wurde jüdischen Familien systematisch genommen. Diese Dinge sind noch heute in vielen Haushalten.
Oft weiß man ja gar nicht, was man da besitzt.
Stimmt. Aber man kann in der eigenen Familiengeschichte forschen. Woher kam der Flügel, wenn niemand spielte? Warum besaß die Familie plötzlich diese Möbelstücke? Viele schauen nicht genau hin. Doch man kann Detektivarbeit leisten.
Droht da nicht das Vergessen, weil die Objekte nach so langer Zeit schwer zuzuordnen sind?
Ja, es ist spät. Aber gerade nichtjüdische Menschen der dritten und vierten Generation kommen auf uns zu und sagen: “Wir wissen, dass diese Dinge nicht uns gehören.”
Wir können kaum helfen, aber ich rate: Verkaufen Sie es nicht. Sprechen Sie darüber. Machen Sie es zum Teil Ihrer Familiengeschichte. Das ist aktives Erinnern.
Was ist, wenn man solche Gegenstände etwa auf dem Flohmarkt findet?
Die Verantwortung liegt bei den Händlern. Aber wenn jemand so eine Vase sieht und sich Gedanken macht, dann soll er sie ruhig kaufen – sonst tut es jemand, der nichts hinterfragt. Reden Sie im Freundes- oder Familienkreis darüber, dass sie vielleicht aus jüdischem Besitz stammt.
Gibt es ein persönliches Motiv für Ihr Engagement?
Ja, absolut. Ich wurde selbst zweimal von der Stiftung gefördert – und in meiner Familie etwa konnten die Frauen ihre Berufswünsche nicht verwirklichen. Viele mussten später Berufe ergreifen, die nicht ihrem Wunsch entsprachen, weil sie keine Ausbildung machen konnten. Dieses Unrecht prägt mich.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Stiftung?
Eine institutionelle Förderung – damit unsere Arbeit auf sicheren Füßen steht. Und mehr Spenden und Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mit Sharon Adler sprach Ursula Vosshenrich für rbb24 Inforadio. Dieser Betrag ist eine gekürzte und redigierte Version. Das Gespräch in Originallänge können Sie mit Klick auf das Audiosymbol oben im Artikel nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.06.2026, 14:25 Uhr