Interview mit „Welt“-Chef Jan Philipp Burgard zu Gastbeitrag von Elon Musk | ABC-Z
Der Umgang mit der AfD ist seit Jahren eine große Herausforderung für alle Journalisten. Nach meiner Auffassung hat die Strategie des Totschweigens, Tabuisierens, Ignorierens, Nichtbeachtens und der Pauschalkritik nachweislich nicht funktioniert. Die AfD ist bundesweit in den Umfragen zweitstärkste Partei. Deshalb habe ich in diesem Jahr mit TV-Duellen wie dem zwischen Björn Höcke und Mario Voigt und dem zwischen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht als journalistischen Zugang die argumentative Auseinandersetzung gewählt. Wenn nun Elon Musk als einer der einflussreichsten Menschen der Welt bei uns erstmals ausführlich begründet, warum er den Standort Deutschland in Gefahr sieht und warum er ausgerechnet die AfD für den letzten Funken Hoffnung für Deutschland hält, hat das einen großen Nachrichtenwert. Mit meiner entschiedenen Gegenrede, in der ich darlege, warum Musk sich in der AfD irrt, wollte ich eine Diskussion anstoßen. Und das ist gelungen. Wir haben eine weltweite Debatte über die Frage ausgelöst, welche Konsequenzen es hätte, wenn eine in Teilen rechtsextreme Partei in Deutschland Regierungsverantwortung bekäme. Sowohl Musks Thesen als auch meine Gegenargumente wurden in so gut wie allen deutschen Medien sowie in bedeutenden internationalen Zeitungen von der „New York Times“ über „Le Figaro“ bis hin zur „Times of India“ zitiert. Damit haben wir einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung geleistet, auf den wir stolz sein können.
Als der Milliardär George Soros im Europawahlkampf 2019 eine Wahlempfehlung für die Grünen veröffentlicht hat, sah Robert Habeck darin kein Problem. Und wenn jetzt der Generalsekretär der SPD, Matthias Miersch, sagt, der Gastbeitrag von Musk sei „gefährlich und beschämend“, dann kann ich nur warnen: Gefährlich wird es, wenn ein Spitzenpolitiker definieren will, welche Meinung eine Zeitung drucken darf und welche nicht. Wo war der Aufschrei des SPD-Generalsekretärs, als die „Zeit“ im Jahr 2021, also bereits nach der Annektierung der Krim, einen Gastbeitrag von Wladimir Putin gedruckt hat – übrigens ohne jede kritische Erwiderung? Und hat Matthias Miersch schon vergessen, dass Bundeskanzler Scholz 2022 in einem Gastbeitrag in „Le Monde“ unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl den Franzosen empfohlen hat, für Emmanuel Macron zu votieren? Diese Doppelmoral empfinde ich als unerträglich.
Der Einfluss, den Elon Musk hat, macht die Debatte noch interessanter. Immerhin gehört Musk zu den wenigen internationalen Investoren, die sich überhaupt noch für den Wirtschaftsstandort Deutschland interessieren, etwa mit seinem Tesla-Werk in Brandenburg. Und wenn er öffentlich den Wunsch äußert, die AfD möge künftig Deutschland mitregieren, ist auch das von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dabei lässt er allerdings völlig außer acht, dass ein Ausstieg der Bundesrepublik aus der Europäischen Union und dem europäischen Binnenmarkt für die deutsche Wirtschaft eine Katastrophe wäre.
Vielleicht hat er ein Interesse daran, dass die EU geschwächt wird.
Es kann sein, dass er dieses Interesse hat. Aber unsere Aufgabe als Journalisten ist es, Meinungen abzubilden, auch solche, die nicht unseren eigenen und nicht unseren Werten entsprechen. So haben wir in der „Welt“ einen Gastbeitrag des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek gedruckt, der sich offen zum Kommunismus bekennt. Wir hatten Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi als Gastautoren. Wir wollen Debatten anstoßen, wir stehen für Klartext, Kontext, Meinungsfreiheit.
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Mika Beuster, und der Mainzer Publizistikprofessor Tanjev Schultz meinen, Sie hätten einen Tabubruch begangen.
Fakt ist, dass immer weniger Menschen in Deutschland das Gefühl haben, ihre politische Meinung frei äußern zu können. Einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach und des Instituts Media Tenor von Ende 2023 zufolge hat die gefühlte Meinungsfreiheit in Deutschland in der Bevölkerung den tiefsten Stand seit den Fünfzigerjahren erreicht. Nur noch 40 Prozent der Bürger sind der Überzeugung, man könne seine Meinung frei äußern, und machen dafür vor allem das Medienklima verantwortlich. Dabei fällt auf, dass ausgerechnet Wähler der Grünen am wenigsten ein Problem sehen. Ich beobachte eine Verengung des Diskurses auch vieler Medien in Deutschland. Das halte ich für besorgniserregend. Aber es gibt ja zum Glück andere Stimmen wie die der „Wirtschaftsweisen“ Veronika Grimm. Sie hat die durch den Musk-Beitrag ausgelöste Debatte bei Ihnen in der F.A.Z. ausdrücklich begrüßt. Es bringe nichts, die Diskussion über die AfD und ihre Themen zu unterdrücken. Dem kann ich nur zustimmen.
Unsere Gastautoren haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Genese ihres Beitrags der Vertraulichkeit unterliegt. Das hält die F.A.Z. mit ihren „Fremden Federn“ doch wahrscheinlich genauso.
Stimmt. Aber man könnte mutmaßen, dass Axel Springer als weltweit agierendes Medienhaus mit besonderem Interesse an den USA Elon Musk als Gastautor einlädt und damit auch eigene Interessen verbindet. Etwa indem sich der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner einschaltet.
Die Entscheidung, den Text von Elon Musk zu drucken, haben wir nach intensivem Austausch mit Redaktionsvertretern, etwa mit dem Redaktionsausschuss, innerhalb der Chefredaktion getroffen. Und nirgendwo sonst. Es war auch ganz allein meine Entscheidung, dem Gastbeitrag von Elon Musk meine sehr entschiedene Erwiderung entgegenzusetzen.
Die Meinungschefin der „Welt am Sonntag“, Eva Marie Kogel, hat daraufhin gekündigt. Können Sie das nachvollziehen?
Diese Entscheidung von Frau Kogel respektiere ich.
Hat Sie nicht überrascht, wie schlicht Elon Musk formuliert? Er übersieht das Wesentliche der AfD – dass sie unsere Demokratie überwinden will. Die Gegebenheiten in Deutschland nimmt er bestenfalls verkürzt wahr. Von der Russlandhörigkeit, dem Antiamerikanismus und der Intoleranz dieser Partei zu schweigen.
Das hat mich in der Tat überrascht, und in meiner Gegenrede habe ich zum Ausdruck gebracht, dass er viele Aspekte übersieht. Aber seine Unterkomplexität in diesem Zusammenhang ist doch in gewisser Weise für das Publikum sehr erhellend. Deswegen haben wir in bestem Sinne aufklärerisch gewirkt und journalistisch gearbeitet.
Musk wirbt nicht für irgendeine Partei, sondern für die in Teilen rechtsextreme AfD. Da könnte man sagen, jemandem, der für die AfD eintritt, und sei es Musk, sollte man keine Plattform bieten.
Das Argument halte ich für schwach. Mein Verständnis von Journalismus ist in dieser Frage von Voltaire geprägt, der einmal gesagt hat: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Solange eine Meinung nicht rechtswidrig ist, müssen wir sie in der Demokratie aushalten, auch wenn sie, wie gesagt, nicht unserer eigenen entspricht. Unser Haus lehnt in seinen Grundwerten, die der Verlagsgründer Axel Springer definiert hat, Rechtsextremismus und Extremismus jeder Art ab und bekennt sich zu Europa. Wir befassen uns in der „Welt“ seit Langem in Recherchen und Kommentaren kritisch mit der AfD. Aber wir sollten nicht so tun, als gäbe es die AfD und ihre Themen nicht. Wir sind schließlich Journalisten und keine Aktivisten.
Musk setzt auf eine Einbahnstraßenkommunikation, die wir als Journalisten herausfordern müssen. Bei X finden Sie ungefilterte, unkommentierte, nicht eingeordnete, nicht hinterfragte, nicht auf Faktentreue geprüfte Positionen und Botschaften. Es muss im Interesse von Journalisten sein, sich da einzuschalten. Aus diesem Grund habe ich mich auch für das TV-Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt entschieden. Dort konnte sich der Rechtsaußen der AfD nicht einfach ausbreiten, ohne kritisch hinterfragt zu werden. Am Ende war Höcke entzaubert. Daran knüpfen wir an. Wir werden die „Welt“ zum führenden Debattenmedium weiterentwickeln, das sich als Alternative zur Einbahnstraßenkommunikation der Social-Media-Kanäle begreift. Wir werden auch in Zukunft veröffentlichen, was wir für relevant und diskussionswürdig halten – ob das einer Regierung oder einer Partei gefällt oder nicht.