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Interview | “Mayors for Peace”: “Wer einen atomaren Schirm besitzt, wird zur Zielscheibe” | ABC-Z

Interview | “Mayors for Peace”

“Wer einen atomaren Schirm besitzt, wird zur Zielscheibe”


dpa/PA Wire/Ben Birchall

Audio: radio3 | 02.08.2025 | Unser Leben | Bild: dpa/PA Wire/Ben Birchall Download (mp3, 105 MB)

Am Mittwoch jährt sich der Atombombenabwurf auf Hiroshima zum 80. Mal. Michaela Wiezorek, Bürgermeisterin von Königs Wusterhausen, engagiert sich bei “Mayors for Peace” für den Frieden. Im Interview erklärt sie, warum Aufrüstung für sie keine Lösung ist.

rbb: Frau Wiezorek, Sie sind Teil von “Mayors for Peace”. Warum setzen sich ausgerechnet Bürgermeister:innen gegen Atomwaffen und für den Frieden ein?

Michaela Wiezorek: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind oft die ersten, die sich nach solchen Katastrophen mit den unsäglichen Ausmaßen auseinandersetzen, Verantwortung übernehmen und Städte wieder aufbauen müssen. Wir vertreten die Bürgerinnen und Bürger vor Ort und haben den Anspruch, den Regierenden zu sagen, im Sinne dieser Kommunen ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich für Frieden und gegen Atomwaffen einzusetzen. Das ist die Grundidee von Mayors for Peace.

Michaela Wiezorek, Bürgermeisterin von Königs Wusterhausen (Quelle: imago images)

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Michaela Wiezorek (Bündnis 21), Jahrgang 1960, ist seit 2021 Bürgermeisterin von Königs Wusterhausen (Dahme-Spreewald). Sie engagiert sich bei “Mayors for Peace” – zu deutsch: Bürgermeister:innen für Frieden. Dieses internationale Städte-Netzwerk engagiert sich für die Friedensarbeit und atomare Abrüstung. Gegründet wurde die Organisation 1982 auf Initiative des damaligen Bürgermeisters von Hiroshima, Takeshi Araki. Heute setzen sich weltweit rund 8.400 Städte in 166 Ländern für die Abschaffung von Atomwaffen ein.

 

Was können Sie als Bürgermeisterin von Königs Wusterhausen konkret bewirken?

Es kann nicht nur darum gehen, symbolisch die Flagge der Mayors for Peace zu hissen – ich setze mich auch regelmäßig verbal dafür ein, dass diesem Irrsinn atomarer Aufrüstung ein Ende gesetzt wird. Es ist wichtig, das Thema sprechbar zu machen und immer wieder zu mahnen. Die Weltlage ist alarmierend. Atommächte investieren weiter Milliarden, während andere mit Gewalt daran gehindert werden sollen, selbst aufzurüsten. Der Weg zum Knopfdruck wird immer kürzer. Unsere Stimme ist wichtig, um auf diese Gefahr aufmerksam zu machen.

Wie sieht Ihr Engagement in der Stadt aus?

Am Ende von fast jedem öffentlichen Redebeitrag erinnere ich daran. Ich nehme auch an der 11. Generalkonferenz der Mayors for Peace in Nagasaki vom 7. bis 10. August teil. Deswegen beschäftigen wir uns in den Grundschulen bei uns bewusst mit dem Thema. Zum Beispiel mit der wahren Geschichte von Sadako, dem japanischen Mädchen, das in Folge des Atombombenabwurfs an Leukämie erkrankt war. Sie faltete Kraniche, weil sie hoffte, durch 1.000 gefaltete Kraniche gesund zu werden. Ich glaube, sich für den Frieden einzusetzen, heißt sich auch für lebendige Demokratie einzusetzen. Deshalb veranstalten wir Demokratietage, an denen Kinder lernen, wie Entscheidungen getroffen werden. Wer sich für Gemeinschaft einsetzt, kann sich nur für ein atomwaffenfreies Leben entscheiden.

Sie fahren bald zur Generalkonferenz nach Nagasaki. Ihr erster Besuch in Japan?

Ja, definitiv. Es ist der 80. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki – ein besonderer Anlass. Vor zwei Jahren nahm ich schon an der Generalversammlung in Hannover teil und lernte dort den Bürgermeister von Hiroshima kennen. Ich werde bei der Friedenszeremonie in Hiroshima dabei sein und bei der Konferenz einen Redebeitrag darüber halten, wie man jungen Menschen das Thema näherbringen kann.

Was haben Sie sich für die Reise vorgenommen?

Ich freue mich auf den Austausch mit den anderen Bürgermeistern – wir sind eine kleine Delegation von sieben. Ich möchte lernen, wie andere Städte mit dem Thema umgehen. Ich möchte nach der Rückkehr das Thema noch bewusster in die Stadtgesellschaft von Königs Wusterhausen tragen und mehr Beteiligung der Bürgerschaft erreichen.

Ohne Frieden ist alles nichts.

Michaela Wiezorek

Wie reagieren die Menschen in Ihrer Stadt auf Ihr Engagement?

Ich bekomme viele positive Rückmeldungen. Manche sagen, sie sind stolz, dass Königs Wusterhausen vertreten ist. Bei Reden auf Festen erinnere ich immer wieder daran: Ohne Frieden ist alles nichts. Natürlich gibt es auch Menschen mit anderen Meinungen. Ich frage dann: Welche Zukunft wünschst du dir für dein Kind? Wer diese Frage ernsthaft beantwortet, müsste sich eigentlich engagieren.

Mayors for Peace konzentriert sich auf die atomare Abrüstung. Aber Atomwaffen und Kriege sind nicht mehr voneinander zu trennen. Die Gefahr eines Atomkriegs ist heute größer als etwa in den 70ern. Und ich bin manchmal verblüfft über die Leichtigkeit und Sorglosigkeit vieler Menschen, die sich dieser Dramatik nicht bewusst sind. Denn verlässliche Rahmenbedingungen wie diplomatisches Handeln, Vertrauen und Verlässlichkeit sind auf der Weltbühne irgendwie abgeschafft worden.

Ein häufiges Gegenargument: Man müsse verteidigungsfähig bleiben. Was sagen Sie dazu?

Verteidigungsfähigkeit heißt nicht, auf Angriff zu setzen. Verteidigung kann auch bedeuten, mit dem Gegner einen gemeinsamen Weg zu suchen. 80 Jahre nach dem letzten Weltkrieg wissen viele Leute nicht mehr, was Krieg bedeutet. Wir hatten eine Menge führender Köpfe in unserem Land, Ost wie West, die aus einer Kriegserfahrung kamen und die nicht müde wurden zu mahnen: Lieber tausendmal reden als einmal schießen. Dieser Satz ist verloren gegangen. Verteidigung und Aufrüstung sind zwei verschiedene Dinge. Ich bin strikt gegen 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Militär.

Auch Neutralität kann ein Beitrag zum Frieden sein.

Michaela Gericke

Sie meinen den geplanten Nato-Vertrag mit dem 5-Prozent-Ziel?

Ja. Ich halte das für ein völlig falsches Signal. Auch Neutralität kann ein Beitrag zum Frieden sein. Verteidigung muss nicht militärisch sein, es kann auch bedeuten, sich mit diplomatischen Mitteln zu einigen, statt sich zu bedrohen. Es geht darum, wieder Vertrauen und Verständigung zu schaffen. Ich persönlich fand das Manifest einiger SPD-Abgeordneter sinnvoll – es fordert mehr Diplomatie, ein Ende des Krieges auf diplomatischem Weg. Das ist eine Sache, die ich absolut unterstütze.

Demgegenüber steht Jens Spahns Forderung nach einem europäischen Nuklearschirm unter deutscher Führung.

Katastrophe! – wenn ich das höre, sträubt sich alles in mir. Wer einen atomaren Schirm besitzt, wird zur Zielscheibe für die anderen. Humanistische Werte und atomare Schutzschirme schließen sich aus. Ich bin mit humanistischen Grundwerten aufgewachsen – für mich ist klar: Das kann nicht die Antwort sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Michaela Wiezorek führte Liane Gruß, rbb.

Sendung: Radiodrei – Unser Leben, 02.08.2025, 17:00 Uhr


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