Interview | “Konzert für Berlin” am 12. November 1989 –
“Das war für Musikfans ein einziger Traum”
Drei Tage nach dem Mauerfall findet am 12. November 1989 in der Deutschlandhalle das “Konzert für Berlin” statt. Mit dabei sind Nina Hagen, BAP, Silly und Joe Cocker, der extra seine Tournee unterbricht. Im Publikum ist rbb-Moderator Andreas Ulrich.
rbb: Andreas Ulrich, Sie waren vor 35 Jahren beim “Konzert für Berlin” in der Deutschlandhalle im Westteil der Stadt. Welche Bedeutung hatte das?
Andreas Ulrich: Drei Tage nach dem Mauerfall bin ich über den damals frisch eröffneten Grenzübergang Potsdamer Platz mit dem Trabi und zwei Kollegen getuckert. Wir drei wollten zum “Konzert für Berlin”. Das war ein Mammutkonzert. Die Deutschlandhalle war damals West-Berlins wichtigste Konzerthalle. Es startete um 13 Uhr ging bis Mitternacht.
Wer ist alles aufgetreten?
Es waren alle da, die damals in Deutschland, Ost und West, etwas zu sagen hatten in der Musik: BAP mit Wolfgang Niedecken, Die Toten Hosen, Udo Lindenberg, Ulla Meinecke, Nina Hagen, Joe Cocker ist extra eingeflogen von seiner Europatournee aus Dänemark.
Aus dem Osten waren Tamara Danz und Silly dabei und Pankow. Das war für Musikfans wie mich ein einziger Traum.
Wie konnte das Konzert so schnell organisiert werden?
Das haben unsere Vorgänger gemacht von “S-F-Beat”, der Jugendsendung vom Sender Freies Berlin, SFB 2. Innerhalb von zwei Tagen wurden all diese Musikerinnen und Musiker zusammengeholt, die Halle wurde klar gemacht. Das Konzert wurde live im Radio übertragen. Dummerweise hat das Fernsehen vom SFB damals seine Kameras schon verplant gehabt. Die standen nämlich am Potsdamer Platz in der Philharmonie, weil dort ein Konzert gefilmt wurde. Deswegen gibt es leider keinen Fernsehmitschnitt von damals.
Was ist Ihnen von diesem “Konzert für Berlin” in Erinnerung geblieben als junger Reporter von DT64, dem Jugendprogramm des DDR-Rundfunks?
Das war die große Freude, das war das große Glück. Da haben 10.000 Leute, insgesamt waren den Tag über wohl 50.000 Leute da, mitgesungen. Ich habe hinter der Bühne zum Beispiel Nina Hagen getroffen. Ich habe sie gefragt, was sie dazu sagt, dass ihre Landsleute im Osten in den letzten Wochen eine friedliche Revolution auf die Beine gestellt haben.
“Die Ostdeutschen haben gezeigt, dass wir zusammen stark sind. Wenn wir vereint sind, sind wir stark”, antwortete sie mir auf englisch, weil auch eine englische Reporterin dazu kam.
Udo Lindenberg erzählte mir, bevor er auf die Bühne ging, dass er sein Lied “Sonderzug nach Pankow” an dem Tag schnell noch umgetextet hatte:
Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug aus Pankow? Wir müssen mal eben nach West-Berlin. Man glaubt es ja kaum, es ist ja alles wie ein schöner Traum. Wir haben eine Flasche Cognac mit und das schmeckt sehr lecker. Das trinken wir jetzt alleine und zwar ohne Honecker Wir gehen demonstrieren und prosten uns zu. Wer ist denn hier der Ochs? Wer ist denn hier der Esel? Wer die blinde Kuh?
Konzert für Berlin
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– innerhalb von zwei Tagen von Redakteuren der Radiosendung “S-F-Beat” organisiert
– ursprünglich sollte das Konzert vor dem Reichstag stattfinden. Wegen Sicherheitsbedenken wurde es in die Deutschlandhalle (Berlin-Westend) verlegt
– das Konzert mit freiem Eintritt dauerte insgesamt elf Stunden; über den Tag verteilt wurden etwa 50.000 Besucher gezählt
– Musiker:innen wie Nina Hagen, Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg, Silly, Pankow, Puhdys, Nena, Heinz-Rudolf Kunze, Melissa Etheridge oder Ulla Meinecke traten auf
– Die Toten Hosen und Joe Cocker unterbrachen ihre Tourneen
– am 31. Oktober 2014 – zum 25-jährigen Jubiläum – erschien unter dem Titel “Mauerfall – Das Legendäre ‘Konzert Für Berlin’ ’89” ein Auszug des Konzertmitschnitts auf CD
– Holger Senft drehte mit dem Titel “Set me free. Konzert für Berlin 12. November 1989” mit seinem Kameramann Dieter Hoffmann eine Filmdokumentation des Konzerts, die Uraufführung fand im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin am 16. Februar 1990 statt
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Bildergalerie | 35 Jahre Mauerfall – Grenzpolizei, Gräben und Graffiti
Vor 35 Jahren fiel die Mauer. Vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989 hatte ein Gebilde aus Stahlbeton, Stacheldraht und Zäunen die drei West-Sektoren Berlins vom Osten abgetrennt. Die Grenze verlief durch Grundstücke, trennte Nachbarn und brachte willkürliche Zerstörungen.
Wurde auch schon von der deutschen Einheit gesprochen oder war alles nur pure Euphorie?
Es war ein Thema. Es gab am Vortag am Schöneberger Rathaus diese Kundgebung, wo der damalige CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl extra aus Bonn eingeflogen war, um auch noch ein bisschen was vom Mantel der Geschichte abzukriegen. Es hat irgendjemand plötzlich das Deutschlandlied angestimmt, also die westdeutsche Nationalhymne, wo krumm und schief gesungen wurde. Das hat sich furchtbar angehört. Im Hintergrund haben, glaube ich, noch ein paar hundert Autonome aus Kreuzberg gepfiffen.
Aber mit Kohls Auftritt war das plötzlich Thema: ‘Hey, wir machen aus der friedlichen Revolution jetzt die deutsche Einheit’. Darüber waren viele Musiker stinksauer, wie zum Beispiel Udo Lindenberg oder Wolfgang Niedecken. Richtig sauer war auch Ulla Meinecke bei dem Thema:
“Ich finde es ziemlich widerlich, dass diese Ereignisse, die von der DDR-Bevölkerung erkämpft worden sind, dass das sofort benutzt wird für irgendwelche großdeutschen Töne. Das finde ich widerwärtig. Die DDR-Leute brauchen nicht irgendwelche arroganten Westler, die ihnen jetzt vorschlagen, was sie nun machen sollen.”
So lief das damals beim “Konzert für Berlin” in der Deutschlandhalle.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Andreas Ulrich führte Julia Menger für Radioeins.
Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.
Grenzpolizei, Gräben und Graffiti
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14. August 1961, Ost-Berlin schottet sich ab: Soldaten mit Maschinengewehren bewachen die ersten Absperrungsmaßnahmen mit Stacheldraht. Der Bau der Mauer hat in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 begonnen, bekannt als “Operation Rose”. Noch im Juni 1961 erklärte Walter Ulbricht öffentlich: “Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!” Die endgültige Entscheidung fiel bei einem Treffen zwischen dem sowjetischen Regierungschef Chruschtschow und Ulbricht am 3. August 1961 in Moskau. Zuvor hatte sich die sowjetische Führung lange gegen ein solches Vorhaben gesträubt.
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Wenige Wochen später behauptet die DDR-Führung nun, die Mauer diene dem Schutz vor “revanchistischen und militaristischen Kräften Westdeutschlands und West-Berlins”. In Wirklichkeit richtet sich die Mauer primär gegen die eigene Bevölkerung, um deren Flucht zu verhindern und das System zu stabilisieren. Zwischen 1949 und 1961 hatten bereits rund 2,5 Millionen Menschen die DDR verlassen, viele von ihnen gut ausgebildet.
Westberliner blicken von der Bernauer Straße aus auf die eingemauerte Versöhnungskirche. Die Mauer trennt nicht nur die Stadt, sondern auch Familien und Freunde für Jahrzehnte. Knapp 44 Kilometer verlaufen entlang der Sektorengrenze zwischen West- und Ost-Berlin, insgesamt ist die Mauer 155 Kilometer lang. Das entspricht in etwa der Entfernung vom Brandenburger Tor bis Dresden.
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DDR-Propaganda am Checkpoint Charlie in Kreuzberg 1962. Mit “Hier beginnt die Freiheit” haben die Verantwortlichen die Barriere aus Stahlbeton und Stacheldraht dahinter bezeichnet. Zwischen 1961 und 1988 versuchen mehr als 100.000 DDR-Bürger über die innerdeutsche Grenze zu fliehen. Mindestens 140 davon kommen bei Fluchtversuchen an der Berliner Mauer ums Leben – die meisten von ihnen werden von DDR-Grenzsoldaten erschossen.
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US-Präsident John F. Kennedy (r.) bei seinem Besuch in Berlin am 26.06.1963 auf einer Aussichtsplattform an der Berliner Mauer und dem Brandenburger Tor. Da hat er noch wenige Monate zu leben. Hinter Kennedy steht der Regierende Bürgermeister Willy Brandt. Die USA reagieren zunächst sehr zurückhaltend auf den Mauerbau. Für Kennedy bleiben drei Grundpfeiler der US-Politik zu Deutschland unberührt: Der freie Zugang nach Berlin, die Anwesenheit der Westmächte in der Stadt und die Freiheit der West-Berliner Bevölkerung. Er will nichts riskieren.
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Kennedys berühmter Besuch in Berlin 1963 mit seiner “Ich bin ein Berliner”-Rede wird zu einem wichtigen symbolischen Akt der Solidarität – auch wenn er die Realität der Mauer und der Menschen auf beiden Seiten nicht ändert. Hier nutzen Ostberliner Kinder unmittelbar hinter dem Grenzzaun an der Schwedter Straße, Ecke Kopenhagener die offene Straßendecke als Buddelplatz.
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Eine Frau wird am 05.10.1964 in Berlin aus einem Ausstiegsschacht nach oben gezogen. Dieser Schacht ist Teil eines Fluchttunnels. Insgesamt fliehen 57 Menschen durch ihn nach West-Berlin – bis er entdeckt wird. Fluchthelfer holen Tausende DDR-Flüchtlinge in die Bundesrepublik. Einer von ihnen ist der Medizinstudent Burkhart Veigel. “Ich habe mich aber von Mensch zu Mensch zuständig gefühlt. Was die Politik macht, hat mich eigentlich wenig interessiert”, erinnert sich Veigel im Gespräch mit rbb|24.
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Eine Gruppe Kinder tummelt sich im März 1972 an und auf der Mauer am Legiendamm im Westberliner Stadtteil Kreuzberg. Auf der Mauer sind mit weißer Farbe die Worte “Einigkeit und Freiheit für Berlin” aufgemalt. Doch zu dieser Zeit ist eine deutsche Wiedervereinigung sehr unwahrscheinlich geworden. Die innerdeutschen Beziehungen haben sich normalisiert, was auch am neuen Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR liegt.
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Der Vertrag sieht “normale gutnachbarliche Beziehungen” vor. Für die Bundesrepublik bleibt die Wiedervereinigung ein Auftrag des Grundgesetzes – auch wenn sich bis auf Weiteres niemand die Finger daran verbrennen will. Die DDR versucht, den westdeutschen Standpunkt einer fortbestehenden deutschen Nation zurückzuweisen. Eine Wiedervereinigung wird von der Staatsführung nur für den Fall in Aussicht gestellt, dass sich der Sozialismus in der Bundesrepublik durchsetzen würde – was höchst unwahrscheinlich ist. Hier der Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße in Mitte Anfang der 1970er Jahre zu sehen.
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Ein Bild wie eine dystopische Fototapete: Eine Berlinerin macht am 1. Januar 1976 einen Neujahrsspaziergang mit ihrem Hund auf der Rudower Höhe (heute: Dörferblick). Links kann man die Mauer und den Todesstreifen erkennen.
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Eine Schrebergartenlaube in Berlin-West direkt an der Mauer, aufgenommen 1982. Die lange Dauer der Teilung führt mit der Zeit zu einer gewissen Akzeptanz des Status quo: Die Erinnerungen an ein geeintes Deutschland verblassen zunehmend.
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Sowohl die Welt als auch viele Deutsche selbst gewöhnen sich an den Zustand der deutschen Teilung. Dieser Kreuzberger pflegt seine Balkonblumen mit Ausblick auf den Todesstreifen am Bethaniendamm. Es wirkt, als würde er die Mauer gar nicht mehr bewusst wahrnehmen – für ihn und die anderen Berliner ist sie Alltag.
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Was Einheimischen wohl nicht mehr groß auffällt, ist für viele Touristen ein absurder Anblick: Das Brandenburger Tor (hier im Jahr 1984) liegt mitten in der Stadt – aber auch mitten im Grenzstreifen und ist darum für keinen zugänglich. Zu Beginn des Jahrzehnts sieht es noch immer aus, als würde sich daran nichts ändern. Doch langsam kommt etwas ins Rutschen.
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Die Erfolge der unabhängigen polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność, der neue sowjetische KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow und seine Reformen von Perestroika und Glasnost – das alles erhöht den Druck auf die DDR-Führung. Hier feiern junge Ost-Berliner bei einem privat organisierten Punkkonzert am 18. Mai 1985 im Hirschhof in der Oderberger Straße.
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Zugleich geht die Zahl der erfolgreichen Fluchtversuche deutlich zurück, auch deshalb, weil das Regime die Grenzsicherung verstärkt hat. Drei Beispiele von jungen Menschen, die es nicht geschafft haben: Marienetta Jirkowsky ist 18 Jahre alt, als sie 1980 bei einem Fluchtversuch an der Mauer bei Frohnau von DDR-Grenzern angeschossen wird. Sie stirbt am nächsten Tag. Ihre Familie darf keine Todesanzeige veröffentlichen. Silvio Proksch (21 Jahre) wird 1983 in Pankow von Grenzsoldaten angeschossen und verblutet, weil er keine medizinische Hilfe bekommt. Michael Schmidt (20 Jahre) stirbt 1984 nahe des S-Bahnhofs Wollankstraße, als ihn ein Soldat beim Versuch erschießt, mit einer Leiter über die Mauer zu klettern.
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Unzählige Fans versammeln sich zu einem Konzert des britischen Rockmusikers David Bowie am 06. Juni 1987 vor dem Reichstagsgebäude in West-Berlin. Obwohl die Bühne nach Westen ausgerichtet war, überquert die Musik die Mauer und erreicht die Ostseite, wo sich etwa 5.000 junge Menschen versammelt haben, um zuzuhören. Bowie, der zwei Jahre in Berlin gelebt hat, richtet bewusst eine Botschaft an sie: “Wir schicken unsere besten Wünsche zu all unseren Freunden, die auf der anderen Seite der Mauer sind.” Diese Geste der Solidarität hat eine starke symbolische Bedeutung – und löst letztlich eine Gruppendynamik unter ostdeutschen Jugendlichen aus, die als “Pfingstunruhen von 1987” in die DDR-Geschichte eingehen wird.
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Die Aussichtstürme sind für viele im Westen nicht nur eine gute Möglichkeit, einen Blick in die “Zone” zu wagen: Weil die Ostler nicht rüber können, und manche Westler nicht in den Osten reisen können oder dürfen, winken sie sich hier zu. Aussichtsplattform mit Besuchern am Potsdamer Platz in West-Berlin. Links stehen Grenzbeamte hinter Absperrgittern. Aufnahme vom 1988.
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Nein, das sind keine “Stormtrooper” bei Krieg der Sterne – sondern mit Gasmasken und Kamera ausgerüstete DDR-Grenzsoldaten. Sie gucken am 21.06.1988 über die Mauer am Potsdamer Platz. Da bleiben ihr nur noch knapp eineinhalb Jahre, aber das ahnt damals keiner. Was überdeutlich ist: Die wirtschaftliche und politische Situation in der DDR verschlechtert sich zunehmend. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst, so wie die Zahl der Ausreiseanträge und Fluchtversuche.
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Gorbatschows Reformen erhöhen den Druck auf die DDR-Führung, ebenfalls Veränderungen anzustoßen. Das ermutigt die Opposition und nährt Hoffnungen. Auch in Westdeutschland und international wächst die Erwartung, dass sich auch in der DDR etwas bewegen könnte. Hier machen zwei West-Berliner Amateurfotografen im Morgengrauen Schnappschüsse von einer Aussichtsplattform.
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DDR-Grenzpolizisten am Brandenburger Tor. Die Aufschrift zu ihren Füßen: “Erich gib doch endlich auf”. Wahrend aber die Bürger Hoffnung durch die Veränderungen in der Sowjetunion schöpfen, reagiert das SED-Politbüro mit strikter Abgrenzung von Gorbatschow und beharrt auf dem Status Quo – was die Entfremdung zur Bevölkerung verstärkt. Am 4. September 1989 findet in Leipzig die erste offizielle Montagsdemonstration statt. Teilnehmer entrollen Transparente mit Forderungen wie “Für ein offenes Land mit freien Menschen” und “Reisefreiheit statt Massenflucht”. Dann geht alles schnell, so schnell.
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Am Vormittag des 9. November überarbeitet die DDR-Führung unter dem Druck der Demonstrationen den Entwurf eines neuen Reisegesetzes. Um kurz vor 19 Uhr verkündet das Politbüromitglied Günter Schabowski überraschend, dass DDR-Bürger “ohne Vorliegen von Voraussetzungen” und “sofort, unverzüglich” ausreisen dürften. Gegen 20:30 Uhr treffen die ersten Ost-Berliner an den Grenzübergängen Sonnenallee, Invalidenstraße und wie hier Bornholmer Straße ein, um zu sehen, was los ist – und die Öffnung der Grenze zu fordern. Ohne eindeutigen Befehl öffnen die DDR-Grenzsoldaten tatsächlich mehrere Übergänge.
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Allmählich wird klar: Nach 28 Jahren ist die Teilung der Stadt Geschichte. Es wird eine Nacht, die niemand vergessen wird. Berliner aus beiden Teilen der Stadt stürmen die Mauer am Brandenburger Tor, umarmen sich, feiern gemeinsam. Millionen sitzen vor den Fernsehern und können nicht fassen, was sie da sehen.
Bild: picture alliance/ZB-Archiv
Der Platz hallt vom Klopfen der “Mauerspechte” wider, die mit Hämmern und Meißeln Teile der Mauer auf der Westseite bearbeiten. Um 0:20 Uhr werden etwa 30.000 Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) in “erhöhte Gefechtsbereitschaft” versetzt. Weil aber keine weiteren Befehle folgen, stellen die Kommandeure der Grenzregimenter diese Maßnahmen auf eigene Verantwortung ein. Von den Grenzübergängen strömen die Menschen zum Kurfürstendamm, der bis zum frühen Morgen in eine Partymeile verwandelt wird.
In den nächsten Stunden und Tagen verstopfen Tausende Trabis die Straßen – wie der dieser Familie am Grenzübergang Bornholmer Straße, am 10. November. Wie diese Frau werden viele Menschen von ihren Gefühlen übermannt.
Bild: akg-images / Kai-Olaf Hesse
Am Nachmittag des 10. November gibt der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse eine bedeutsame Erklärung: Er betont, dass die Sowjetunion die Ereignisse in der DDR als eine interne Angelegenheit der neuen Führung und des Volkes betrachte und ihnen dabei vollen Erfolg wünsche. Am Potsdamer Platz begrüßen sich am gleichen Tag wildfremde Menschen.
Bild: picture alliance/dpa-Zentralbild/P.Glaser
Die euphorische Stimmung setzt sich in den folgenden Tagen fort, vor Banken in West-Berlin bilden sich lange Schlangen von DDR-Bürgern, die ihr Begrüßungsgeld abholen wollen. Tausende Menschen aus Ost und West strömen weiterhin über die offenen Grenzübergänge, wie hier an der Puschkinallee zwischen Kreuzberg und Treptow. Da sind bereits jede Menge Betonsegmente aus der Mauer herausgetrennt.
Bild: picture-alliance / dpa | Lehtikuva Oy
An das Danach denkt in diesen Tagen des Glücks kaum jemand. Viele machen sich keine Vorstellungen, was nun aus ihrem untergehenden Land wird – und wie ihre Zukunft aussehen soll, wenn sie vollkommen frei darüber entscheiden können. Die für viele ehemalige DDR-Bürger brutalen Verwerfungen und Verletzungen der Nachwendejahre wirken im Rückblick zu diesem Zeitpunkt unendlich weit entfernt – und sind es doch nur wenige Jahre.
Bild: IMAGO / imagebroker
Die DDR-Regierung erkennt schnell das wirtschaftliche Potenzial der Mauerteile: Im Dezember 1989 übernimmt “Limex”, eine Firma des DDR-Außenhandelsministeriums, offiziell den Verkauf der Mauerreste. Bemalte Teile werden bei Auktionen versteigert, sie finden Käufer in der ganzen Welt. Im Sommer 1990 ist die einstige hochbewachte Mauer nur noch eine Ruine: Menschen spazieren auf Höhe der Heidelberger Straße im einstigen Todesstreifen. Bis Ende November 1990 werden allein in Berlin 184 Kilometer Mauer, 154 Kilometer Grenzzaun, 144 Kilometer Signalanlagen und 87 Kilometer Sperrgräben entfernt.
Bild: picture alliance/Eventpress Hohlfeld
Noch die kleinsten Bröckchen werden zu Souvenirs verarbeitet – wie hier auf Postkarten vor einem Souvenirladen am Pariser Platz. Echtheitszertifikat? Eher unwahrscheinlich.
Der Großteil der Mauer aber wird zu Bauschutt. Nach Schätzungen der Grenztruppenführung fallen rund 1,7 Millionen Tonnen davon an. Viele dieser Teile werden vermutlich im Straßenbau wiederverwendet. In der Bernauer Straße ist ein Stück Mauer 1998 für eine Gedenkstätte erhalten geblieben. Die meisten Touristen aber zieht es heute dazu an das nicht wiederzuerkennende, schicke (manche sagen auch neureiche) Spreeufer: Die 1,3 Kilometer hier heißen nun “East Side Gallery”. Von Profis bunt bemalt, “instagramable” – wenig erinnert heute noch an den Schrecken und das Leid, das diese Schlange grauen Stahlbetons in Berlin verursacht hat. Von Sebastian Schneider, Julia Sie-Yong Fischer und Caroline Winkler | Mehr zur Berliner Mauer | 35 Jahre Mauerfall | Weitere Bildergalerien
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