Intendantenwechsel an Oper in Zürich: Andreas Homoki zieht Bilanz | ABC-Z

Wie lebt es sich als Deutscher in Zürich?
Sehr angenehm. Der Umgang der Menschen untereinander ist schon anders als in Deutschland, irgendwie feinfühliger. Die Kehrseite ist eine gewisse Konfliktscheu. Aber wenn es um Leistung und Geld geht, wird es auch knallhart.
Was bedeutete Ihnen der Wechsel 2012 von der Komischen Oper Berlin, die Sie zehn Jahre leiteten, nach Zürich als Nachfolger von Alexander Pereira?
Es war mir eine Ehre, das Erbe der Komischen Oper künstlerisch neu zu formulieren. Aber nach zehn Jahren war Zürich schon eine Befreiung. Hier konnte ich endlich auch größere Opernformate realisieren, an der Komischen Oper ging es ja oft gerade um die Abgrenzung gegen „Große Oper“. Schließlich hatte ich die großen Formate von Anfang meiner Regiekarriere an immer gern bedient. Deshalb war ich zuversichtlich, dass ich auch das Publikum in Zürich damit würde gewinnen können. Aber ich hatte aus ganz anderen Gründen Respekt vor der neuen Aufgabe: Es gibt in der Schweiz so ein Klischee über den Deutschen, der ins Land kommt, laut, hemdsärmelig mit Ellbogen und besserwisserisch – das kommt gar nicht gut an. Glücklicherweise hatte ich von Anfang an phantastische Menschen um mich, habe mein Leitungsteam sehr bewusst mit Leuten von hier aufbauen können, die auch die Innensicht des Publikums kannten. Viele Opernfreunde hatten Angst, da kommt jetzt aus Berlin etwas ganz Schlimmes, weil ich neue, andere Regisseure und auch andere Dirigenten engagiert habe. Erfreulicherweise sind dann viele sehr bald doch mitgegangen. Das Publikum hier erwartet zu Recht Qualität, es gibt aber kaum schlimme Snobs wie anderswo, man ist offen und neugierig. Und wenn Kritik artikuliert wird, dann meist respektvoll – im Unterschied zu Berlin, wo in bösen Briefen schon mal gern die Schließung des Theaters verlangt wurde.
Wie sieht ein idealer Spielplan aus?
Ich finde, es braucht einfach gute Stücke, emotional und mit einer spannenden Geschichte. Viele Werke des Kernrepertoires erfüllen das natürlich. Dazu kommt der Wunsch, Opern zu zeigen, die an einem Standort noch nie gelaufen sind. Ferner die Neugier auf bestimmte Sachen, seien es Ausgrabungen wie jüngst bei uns etwa das „Leben mit einem Idioten“ von Alfred Schnittke oder „Amerika“ von Roman Haubenstock-Ramati in der vergangenen Spielzeit. Und natürlich Uraufführungen von Komponisten, die man persönlich schätzt.
Oder barocke Entdeckungen . . .
Klar, wir haben hier einzigartige Voraussetzungen mit dem „Orchestra La Scintilla“, das aus Musikern unseres Orchesters besteht und auf historischen Instrumenten spielt. Auf das habe ich aus Berlin immer neidvoll nach Zürich geschaut.
Wie wichtig sind Ihnen neue Opern?
Sie sind absolut notwendig, weil die Stücke, die wir spielen, immer älter werden. Das ist ein schlechtes Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaft. Aber es braucht Glück, um mit einer Uraufführung auch beim großen Publikum zu landen. Leider scheint es bei einigen Entscheidern, zumindest im deutschsprachigen Raum, die Vorstellung zu geben, dass Neue Musik wehtun muss, um wirklich seriös zu sein. Das führt dann zu Ressentiments beim Publikum. Selbst eine große, viel beachtete Uraufführung kann ich daher maximal siebenmal ansetzen, während ich eine neue „Bohème“ zwölfmal spielen kann. Um das Bedürfnis nach Neuem trotzdem zu erfüllen, verlagert sich das Interesse auf vordergründig innovative Inszenierungen des klassischen Repertoires. Es gibt zunehmend Produktionen, die von Insidern gefeiert werden, aber ein ganz normaler Zuschauer versteht das Stück nicht mehr – da geht dann eine Schere auf.
Sie sind ausgebildeter Schulmusiker mit Hauptfach Klavier und mussten sicher auch das Fach Partiturspiel belegen. Wie ging es Ihnen damit?
Schrecklich! Ich bin ein typischer Auswendigspieler, und mein Blattspiel ist eine Katastrophe. Aber Partitur lesen kann ich schon, denn ein kompliziertes Mozart-Finale muss man in Ruhe in den Noten anschauen können, um zu verstehen, wer da wann zu wem singt. Das erschließt sich nicht über das Hören allein.
Partitur lesen ist also eine Voraussetzung Ihrer Regiearbeit?
Sind Sie damit ein „Auslaufmodell“?
Ich hoffe nicht. Natürlich gibt es immer wieder den Wunsch von Intendanten, für neue Operninszenierungen einen namhaften Schauspielregisseur zu engagieren. Da ist man schon mal abgesichert. Denn wenn er das Stück verhaut, getraut sich niemand, ihn zu verreißen, weil es halt ein berühmter Name ist. Ein junges Talent zu engagieren, das mit der Oper vertraut ist, ist viel riskanter. Aber ich habe trotzdem immer diesen zweiten Weg genommen, weil ich auf das Durchdringen der Musik Wert lege. Es geht beim Inszenieren um nichts anderes als die szenische Sichtbarmachung einer musikalischen Struktur, innerhalb derer die Figuren miteinander in Verbindung stehen. Möglichst so, dass die Darsteller gar nicht schlecht spielen können.
Sie haben 1992 mit der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss Ihren Durchbruch erfahren – damals eine Rarität, heute geradezu Mode.
Ein schweres Stück. Man braucht fünf großartige Sänger, von daher ist es teuer. Der Symbolismus von Hofmannsthal ist schwer zu entschlüsseln, und das orientalische Kolorit verführt leicht zur szenischen Opulenz. Ich habe das damals in Genf mit meinem Bühnenbildner Wolfgang Gussmann ziemlich entrümpelt und die Polarität zwischen diesen beiden exemplarischen Paaren gezeigt, Kaiserpaar und Färberpaar: das Spirituelle und das Bodenständige und drum herum die Welt der Geister. Das hat sehr gut funktioniert, da haben wir Glück gehabt!
Folgt aus der Priorität der Musik der Antirealismus Ihres Regiestils?
Tatsächlich suche ich zusammen mit meinen Bühnenbildnern immer eine Lösung, in der die Figuren möglichst nur aus sich heraus von ihren Beziehungen erzählen können. Das ist es, worum es auf einer Bühne geht: was zwischen den Figuren entsteht. Alles andere, was dazukommt, kann nur Hintergrundinformation sein. Egal, wie scheinbar aktuell das ist, was gezeigt wird, ob Müllhaufen oder Beton-Ruinenlandschaften – letztlich handelt es sich um Dekoration. Das mag ich nicht so gern. Da bin ich puristisch.
Sie laden aber auch Gastregisseure ein, die ganz anders vorgehen als Sie.
Einen bildenden Künstler als Regisseur, der möchte, dass die Sänger „nur singen“, hätte ich nie engagiert. Ich bin überzeugt, dass die Innovation im Theater daraus kommen muss, was mit den Protagonisten passiert, nicht aus der Dekoration. Es gibt Aufführungen, die sehen super modern aus, aber wenn man die Sänger anschaut, stehen sie genau so blöd herum wie in jeder abgenudelten Repertoire-Aufführung. Übertriebener Realismus kann auch schwierig sein, obwohl es manchmal helfen kann, wenn ein Stück realistisch „verortet“ ist. Aber ob realistisch oder abstrakt: Wichtig ist mir immer eine konsistente Personenführung. Letztlich ist die Keimzelle des Musiktheaters wie ein Liederabend: Ein Mensch steht da und erlebt etwas und berichtet davon. Mit zwei Protagonisten haben wir schon eine Kammeroper. Darum geht’s: dass sich Menschen im Gesang äußern, eingebettet in einen Ausdruck, der wiederum durch eine Situation ausgelöst wird, und die Situation ihrerseits Ausdruck der dramatischen Konstellation ist.
Sie bezeichneten einmal die Oper als letzte analoge Kunstform dieser Dimension im immer virtueller werdenden Zeitalter. Wie viel Video tolerieren Sie?
Klar kann Video ein tolles Mittel sein, aber die Frage ist immer: Bereichert das die Darstellung der live agierenden Figuren oder soll es etwas ersetzen, das fehlt? Wenn ja, ist Video verfehlt, weil die Faszination ja doch darin liegt, dass jemand auf der Bühne etwas gerade jetzt für den Zuschauer macht.
Nach Ihrer letzten Regiearbeit in Zürich, Felix Mendelssohns Oratorium „Elias“ als Oper mit Christian Gerhaher in der Titelrolle, kehren Sie jetzt an die Komische Oper in Berlin zurück und bringen dort das Musical „Jesus Christ Superstar“ auf die Bühne . . .
Ja, auf eigenen Wunsch, aber im stillgelegten Flughafen Tempelhof, groß, sehr groß, mit vierhundert Leuten auf der Bühne, dem Opernchor und tanzbegeisterten Leuten aus Berlin und Umgebung, die wir zum Mitmachen eingeladen haben und die ein riesiges Rock- und Musicalensemble bilden. Ein im besten Sinne „partizipatives“ Projekt. Das Stück habe ich als Teenager rauf und runter gehört, das kenne ich in- und auswendig. Dass ich es jetzt selber in einem so großartigen Kontext inszenieren darf, schlägt einen Bogen zurück zu meinen frühen Jahren als musikbegeisterter Mensch. Das ist doch eine tolle Sache!