Inklusion: Wie schwimmen verbindet – Landkreis München | ABC-Z

Kiki kann es kaum erwarten: endlich wieder schwimmen. Nach dem Aufwärmen am Beckenrand gleitet der Elfjährige, der eigentlich Kristijan heißt und das Down-Syndrom hat, im Ismaninger Hallenbad ins Wasser. Und dann geht es los mit dem Einschwimmen, das Antonia Wambsganz an diesem Spätnachmittag zusammen mit ihrem Trainerteam beaufsichtigt. Die 24-Jährige ist Leiterin der Schwimmabteilung beim SV Solidarität, einem Sportverein, der vor mehr als 110 Jahren gegründet worden ist und neben Breiten- und Rollsport, unter anderem Radball und Kunstradfahren im Programm hat. Und eben inklusives Schwimmen.
Seit 2017 gibt es bei der „Soli“, wie der Klub im Norden von München genannt wird, dieses Angebot. Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen trainieren gemeinsam im Wasser. Vor knapp zwei Jahren hat Antonia Wambsganz mit dem Aufbau einer besonderen Gruppe begonnen, die sich „Erlebte inklusive Sportschule“ nennt und vom Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern gefördert wird. Der BVS hat dem SV Solidarität nun das neu geschaffene Prädikat „Inklusiver Sportverein“ verliehen.
:Wählen Sie den Whatsapp-Kanal für Ihren Landkreis
Die Süddeutsche Zeitung bietet Whatsapp-Kanäle für alle Landkreise rund um München an. Das Angebot ist kostenlos. So abonnieren Sie die Kanäle.
Die Auszeichnung ist heuer erstmals für besondere Leistungen im Inklusionssport ausgelobt worden und wird künftig fest in die jährliche BVS-Sportlerehrung integriert, wie es vom Verband heißt. Der Ismaninger Klub habe innovative Formate geschaffen, wie inklusive Schwimmfeste und Trainingslager, „die weit über den Verein hinaus wirken“, so der BVS. Die Soli stehe für vielfältige Begegnungsräume und zeichne sich durch Offenheit aus: Jedes Kind, unabhängig von seinen individuellen Voraussetzungen, finde hier einen Platz im Sport.

Für Antonia Wambsganz und ihr Team bedeutet die mit 1000 Euro dotierte Auszeichnung eine willkommene Honorierung ihres Engagements. Schaut man der Schwimmlehrerin und ihrem Stab aus jugendlichen Co-Trainern zu, dann ist die Freude am inklusiven Training auf beiden Seiten des Beckenrands zu beobachten. Jeweils mittwochs verbessern Anfänger und Fortgeschrittene ihre Schwimmtechnik. Besonders talentierte Buben und Mädchen werden in einem zweiten Kurs auf Wettkämpfe vorbereitet. Das alles erfolgt spielerisch und behutsam, aber auch mit einer gewissen Strenge, die allerdings immer eines ist: respektvoll und angemessen im Umgang. Herumgeschrieen wird im Hallenbad jedenfalls nicht. Wenn einer der Schützlinge nur Faxen macht, dann wird nicht geschimpft, sondern erklärt, warum Konzentration nötig ist, um nicht unterzugehen – und um besser zu werden.
Sind die Bahnen zum Einschwimmen absolviert, zeigen die fünf bis sechs Co-Trainer, die allesamt noch zur Schule gehen, wie die Bewegungsabläufe beim Kraulen gelingen und was nötig ist, um beim Rückschwimmen im Wasser nicht kreuz und quer unterwegs zu sein. „Wir haben fast eine Eins-zu-eins-Betreuung für die, die es brauchen“, sagt Antonia Wambsganz. Der Jüngste im Team ist selbst erst zwölf Jahre alt, genau wie alle anderen Coaches schwimmt er regelmäßig beim SV Solidarität. Dass die Trainerinnen und Trainer so jung sind, erleichtert die Kommunikation.

Bei der Soli hat auch die Initiatorin des inklusiven Ansatzes das Schwimmen gelernt. Schon im Grundschulalter ist das Wasser ihr Element gewesen, wie sie sagt. Seit acht Jahren arbeitet sie als Trainerin. Um inklusives Schwimmen lehren zu können, hat Wambsganz eine Zusatzausbildung absolviert. Die 24-Jährige studiert Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, noch ein halbes Jahr und dann ist sie fertig. Ihrer Passion aber möchte die Ismaningerin in jedem Fall weiter nachgehen, wie sie sagt. Schwimmen bedeutet für sie, „sich frei fühlen, alles abschütteln und alle Sorgen vergessen, aber auch die Möglichkeit, sich auszupowern, wenn man will“.
Das Training der Gruppe leitet Wambsganz sehr konzentriert. Ihre Augen sind überall, hin und wieder kniet sie am Beckenrand, gibt Tipps und zeigt, wie die Spannung von Arm und Handfläche aussehen soll, damit beim Kraulen Zug entsteht. Ab und zu reicht sie auch Hilfsmittel ins Wasser, damit die Kinder leichter von der Stelle kommen. An den Startblöcken liegen bunte Schwimmbretter und Auftriebskörper, die sogenannten Pull Buoys, die sich Anfänger zwischen die Beine klemmen und die ihre Wasserlage auch ohne Beinschlag stabilisiert.

Beim inklusiven Schwimmen können pro Kurs insgesamt 13 Buben und Mädchen teilnehmen; die meisten sind neun oder zehn Jahre alt, die Älteste ist gerade 18 geworden. 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben nach den Worten von Antonia Wambsganz ein Handicap, es sind vorwiegend geistige Einschränkungen. Die Warteliste sei lang, sagt die Trainerin, weil die Soli für die Kurse im Ismaninger Hallenbad nur jeweils zwei abgetrennte Bahnen nutzen kann. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass sich die Kinder gut über Wasser halten und zwei Längen schwimmen können, die Techniken bekommen sie im Kurs beigebracht.
Kiki schwimmt, seit er vier ist
Kiki, der Junge mit dem Down-Syndrom, hat an diesem frühen Abend sichtlich Spaß im Wasser, auch wenn es mit dem Kraulen noch nicht so recht gehen mag. Der Schüler aus Garching reißt eine Bahn nach der anderen herunter. „Wasser ist sein Element, das Schwimmen hat er mit vier gelernt, weil seine Familie den Sommer immer am Meer in Kroatien verbringt“, erzählt seine Begleiterin Ana Martinović, 25. Sie ist die Frau seines ältesten Bruders und bringt Kiki öfter zum Training. Vor allem die Mädchen im Kurs dürften sie kennen, weil Martinović 2021 bei Heidi Klums Modellshow GNTM mitgemacht hat, bei Instagram und Tiktok aktiv ist. Dort teilt sie auch Videos mit ihrem jüngsten Schwager, um auf ihre Weise ein „Zeichnen für Inklusion“ zu setzen, wie sie sagt: Im Mittelpunkt stehen da allerdings nicht Kikis Schwimmkünste, sondern seine Lust am Backen.
Kurz vor Ende der Stunde geht es im Hallenbad noch einmal zur Sache, weil nach der Pflicht wie immer die Kür ansteht: Kiki und seine heutige Trainerin Mathilde, 14, laufen hinüber zum tiefen Becken mit dem Dreimeterbrett. Nun ist das erlaubt, wovor die Verbotsschilder normalerweise warnen: vom Beckenrand hüpfen – und das so oft man will. Wenn es der Mut zulässt, dann auch gerne von weiter oben.





















