Inklusion in Hebertshausen: Im Rollstuhl auf den Catwalk – Dachau | ABC-Z

Die Idee kam der Café-Besitzerin Tanja Patti im Sommer, als ein Aperol Spritz Abend bei schlechtem Wetter ins Wasser fiel und sie stattdessen Designern aus dem Landkreis anbot, in ihrem Inklusionscafé ausstellen zu dürfen. Zur gleichen Zeit entwickelte sie ihre eigene, inklusive „Stimmt so“-Kollektion, unter anderem für die Café-Mitarbeiter und so kam ihr die Idee: „Mensch, wir könnten doch mal eine Modenschau machen.“ Im nächsten Atemzug erklärt die Inklusionsbeauftragte von Hebertshausen: „Und ich mache ja nichts, was nicht inklusiv ist.“ Und so war die Idee geboren und somit die erste inklusive Modenschau des Landkreises Dachau.
„Ich möchte Menschen mit Beeinträchtigungen ins Lampenlicht rücken. Sie werden geschminkt, frisiert und bekommen etwas Besonderes angezogen. Das stärkt das Selbstbewusstsein, denn es braucht auch Mut, um auf den Laufsteg zu gehen. Ich möchte ihnen das Gefühl geben, dass sie heute im Mittelpunkt stehen, und zwar genau so, wie sie sind“, sagt die 42-Jährige, die selbst Mutter eines geistig beeinträchtigen Sohns ist.
So stellte Patti innerhalb kürzester Zeit ein Team mit 26 Models vom Kindergarten- bis zum Rentenalter zusammen, davon elf Personen, die geistig und körperlich eingeschränkt sind. Vier verschiedene Kollektionen sollten auf der Fashionshow präsentiert werden, eine Trachten-, eine Winter-, eine Weihnachts- und eine Inklusionskollektion. Patti stellte die Outfits für die Models zusammen, fragte die Größen der Models ab und legte Teams fest, in denen die Models laufen.
Die Veranstalterin gewann auch Nicole Hayduga für ihre Show, Hayduga war 2004 Miss Bayern und ist Designerin von ausgefallenen Colliers. Die heute 42-jährige Dachauerin hat seit Jahren Modelanfragen immer ausgeschlagen. Nun machte sie eine Ausnahme. „Ich dachte immer, nichts würde mich wieder auf den Laufsteg bringen. Aber hier konnte ich nicht Nein sagen.“

Hayduga erlitt vor zwei Jahren eine Hirnblutung. Glücklicherweise blieben keine schweren Folgen. Die Krankheitserfahrung habe sie möglicherweise noch sensibler für das Thema Inklusion gemacht, sagt sie. Denn sie habe erlebt, dass eine Behinderung jeden von heute auf morgen treffen kann. Hayduga kennt bisher keine andere inklusive Modenschau. Bei der Generalprobe gibt sie den Models noch ein paar Tipps mit auf den Weg, darunter ein aufrechter Gang. Vor allem aber sollen sie „Spaß haben“. Auch die ausgefallenen Colliers der Designerin passen zum Motto des heutigen Abends „Du stimmst so. Strahle und glitzere auf deine Art“.
Eintrittskarten sind schnell verkauft
Neben dem Inklusionsaspekt setzt Patti auf Regionalität, nicht nur beim Büfett, sondern auch bei der Wahl der Designer: Neun weitere aus der Region beteiligen sich an der Fashionshow, darunter „Schneckerl-Eckerl“ aus Odelzhausen mit Baby-Trachtenmode, „Pusteblume Creativ“ mit Trachtenröcken und „Dolce Nina Accessoires“ aus Ampermoching mit Armbändern. 56 Eintrittskarten sind innerhalb weniger Tage verkauft worden.
Eine Stunde vor Beginn geht es im Vorraum des Cafés hektisch, aber zugleich harmonisch zu: Vor dem Spiegel werden Posen geübt, Kleidung anprobiert und Schmuck umgelegt. Ein Kamerateam und Presse umringen die Models, sie stehen schon vor dem offiziellen Start des Fashionshow im Mittelpunkt. Die 16-jährige Amelie sitzt mitten im Trubel zusammengesunken in einem Sessel und nippt an einem Wasser. Sie sei so aufgeregt. „Das wird cool! Denk an das Motto!“, motiviert sie Lea, die in ihrem Rollstuhl neben sie gerollt kommt.

Der Neunjährigen merkt man keinerlei Aufregung an, sie scheint die Aufmerksamkeit zu genießen und beantwortet dem Kamerateam fleißig alle Fragen. Sie zeigt stolz das T-Shirt an einem der Kleiderständer, dass sie später tragen wird. Von Nicole Hayduga bekommt sie ein dunkelbraun glitzerndes Collier um den Hals gelegt. „Wie eine richtige Prinzessin!“, ruft Lillie neben ihr. Neben den beiden Mädchen liegt Lola am Boden, die Hündin der heutigen Fashionshow. Sie darf ein handbesticktes Halstuch auf dem Laufsteg präsentieren.
Und dann geht es los. „Wir schaffen das!“, motiviert Hayduga die Gruppe im Vorraum, die jetzt ganz still geworden ist. Richard Reischl, Bürgermeister von Hebertshausen, tritt ans Mikrofon und erklärt, dass gezeigt werden soll, wie wichtig Inklusion ist. Auch er ist als Trachtenmodel dabei, gemeinsam mit seinen beiden Töchtern, von denen eine eine Behinderung hat. „Da hinten sind gerade alle furchtbar nervös. Aber auch furchtbar stolz.“
Er bittet das Publikum darum, vom heutigen Abend zu lernen, nämlich dass auch Menschen mit Behinderung viel leisten können. Und dass wir ihnen in unserer Gesellschaft öfter eine Plattform geben sollten. Und genau diese bekommen sie an diesem Abend. Die Nebelmaschine geht an, die Scheinwerfer leuchten auf und der für die Modenschau komponierte Song dröhnt durch die Boxen: „Es geht um dich, dein Lächeln, dein Gesicht. Strahle hell, wie du bist, ganz auf deine Art.“

Die 16-jährigen Freundinnen Emma und Majra präsentieren einen pinken und blauen Hoodie aus der Kollektion von Patti-Arts, mit der Aufschrift „Einzigartig ist viel besser als perfekt“. Die Mädchen haben sich passend farbige Beutel umgehängt, auf denen „Inclusion matters“ steht. Etwas zögerlich, aber sichtbar stolz, laufen sie über den roten Teppich durch das applaudierende Publikum. Es folgt der 17-jährige Valentino, den das laute Klatschen verunsichert. Das Publikum winkt deshalb mit Händen, als er über den Teppich läuft.
Die Verwandlung
Bei allen Models ist eine Verwandlung zu beobachten: konzentrierte, nervöse Blick vor dem großen Auftritt, und wenn sie wieder durch die Tür zurückkommen, zeigt sich Erleichterung und Stolz in ihren Blicken. Die Kleinsten laufen Hand in Hand im Dirndl, die freie Hand dabei wie Profis in die Hüfte gestützt. Patti klatscht alle ab, die vom Laufsteg zurückkommen.
Und dann kommt Amelie trotz des Lampenfiebers durch die Tür, sieht die jubelnden Gäste und ist wie ausgetauscht: Winkend und hüpfend läuft sie mit ihrer Designertasche über den Laufsteg, eine Runde, zwei Runden, eine dritte Runde. Sie möchte gar nicht mehr aufhören. „Es war mega, alle haben gejubelt! Jetzt macht es nur noch Spaß“, sagt sie und lacht. Und jetzt weiß man gar nicht, was mehr strahlt – das silberne Collier um ihren Hals oder sie selbst.






















