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Ingolstadt: Streit um Donaukurier-Verleger und Ehrenbürger Reissmüller – Bayern | ABC-Z

Auch nach seinem Tod war Wilhelm Reissmüller im Verlagsgebäude des Donaukuriers immer präsent. Ein großes gerahmtes Schwarz-weiß-Porträt des Ingolstädter Zeitungsfürsten hing schon so lang im Gang der Redaktion, dass man es dort bei der täglichen Arbeit kaum noch wahrnahm. „Es gehört zum Inventar des Hauses“, sagt Chefredakteur Gerd Schneider. Doch nun ist die Wand leer, das Foto des großen Verlegers wurde abgehängt, in den Keller verbannt. „Eingelagert“, sagt Schneider.

Wilhelm Reissmüller, 1993 gestorben, hat den Donaukurier nach dem Zweiten Weltkrieg groß gemacht und zu einem einflussreichen Blatt geformt. „Er war eine der mächtigsten Figuren in der Ingolstädter Kommunalpolitik“, sagt Schneider, „vielleicht sogar die mächtigste.“ Gegen seinen Willen geschah in der Stadt kaum etwas, der Spiegel zitierte schon 1978 eine Studie über Reissmüllers Zeitungsmonopol: „Bevor der Stadtrat mit seinen Beratungen beginnt, hat der Verleger sich schon eingeschaltet und mit der Autorität seiner kommunikativen Macht am Telephon oder in Privataudienz seinen Wünschen Nachdruck verliehen.“

Dass seine Zeitung ihn mehr als 30 Jahre nach seinem Tod im Keller abstellt, hat weniger damit zu tun, dass Reissmüllers Nachfahren den Donaukurier längst an die Mediengruppe Bayern in Passau verkauft haben – sondern mit Reissmüllers NS-Vergangenheit. Wie der Autor Thomas Schuler in einem Beitrag für die Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ darlegt, war Reissmüller tief in den Nationalsozialismus verstrickt: als Mitglied im NS-Studentenbund, der SA, der SS. 1937 wurde Reissmüller Verlagsleiter des Ingolstädter Donauboten, einem Nazi-Propagandablatt, das wie eine Art Provinz-Stürmer gegen Juden hetzte. „Danken wir es dem Führer, in unserem schönen Deutschland mit ganzer Schaffenskraft für unsere Kinder arbeiten zu können … Er hat uns das Weihnachtsfest wieder gegeben als ein Fest des Lichtes“, schrieb „W.R.“ im Winter 1938.

Nach dem Krieg und der vermeintlichen Entnazifizierung stieg Reissmüller zur Ingolstädter Lichtgestalt auf, zu einer „Halbgott-gleichen Figur“, wie es Donaukurier-Chef Schneider nennt. Der Verleger erhielt das Bundesverdienstkreuz, den Bayerischen Verdienstorden, wurde 1976 zum Ehrenbürger Ingolstadts gekürt. Seine problematische Vergangenheit unterdrückte er vehement, gegen Kritiker ging er rigoros vor, auch juristisch. Und so genau wollten es die Ingolstädter ohnehin nicht wissen.

„Ich kenne niemanden, der Reissmüller noch in Schutz nimmt“, sagt der Chefredakteur

Doch spätestens mit den jüngsten Recherchen kommt die ganze Wahrheit über den Verleger ans Licht. „Ich kenne niemanden, der Reissmüller noch in Schutz nimmt“, sagt Journalist Schneider. „Es ist an der Zeit, seine Geschichte auszuleuchten.“ Bereits 2022 hatte der Ingolstädter Stadtrat beschlossen, die lokale NS-Vergangenheit und damit auch die von Personen wie Reissmüller aufarbeiten zu lassen. Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München wurde mit einem Gutachten beauftragt. Doch das Ergebnis soll erst in etwa drei Jahren vorliegen.

Im Stadtrat wird deshalb der Ruf nach einer schnellen Reaktion laut. Die zwei Abgeordneten der Linken fordern in einem Antrag, die Ehrenbürgerwürde Reissmüllers abzuerkennen. Es wäre ein symbolischer Akt, rechtlich gesehen erlischt die Ernennung mit dem Tod des Ehrenbürgers. Linken-Stadtrat Roland Meier hält den Schritt dennoch für nötig: „Wir als Kommune wissen eigentlich längst, dass die Ehrenbürgerschaft Reissmüllers ein Fehler war“, teilt er mit. „Ich fühle mich nicht wohl dabei, in einer Stadt zu leben, in der führende Nazigrößen Ehrenbürger sind.“ Bereits 2022 hatte der Stadtrat dem langjährigen Oberbürgermeister Josef Listl die Ehrenbürgerwürde wegen dessen NS-Verstrickung aberkannt.

Doch Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) sieht aktuell keinen Handlungsbedarf. Er will am abgestimmten Vorgehen festhalten, erst nach dem IfZ-Gutachten in drei Jahren zu entscheiden. Das Thema habe keine zeitliche Brisanz. Auch Grünen-Fraktionschefin Barbara Leininger will dem Linken-Antrag nicht zustimmen, obwohl sie die neuen Erkenntnisse überzeugend findet. „Das reicht für die Aberkennung“, sagt Leininger. Allerdings müssten die Fraktionen eine solche Entscheidung parteiübergreifend und mit großer Mehrheit treffen – da könne ein fundiertes Gutachten helfen. „Ich finde es nicht gut, dass die Linke da vorgeprescht ist.“ Roland Meier beklagt hingegen das „Zögern und Zaudern“ beim politischen Umgang mit der NS-Geschichte.

Beim Donaukurier blickt man betont gelassen auf die Debatte. Reissmüller sei seit mehr als 30 Jahren tot, sagt Gerd Schneider. Drei Jahre hin oder her machten keinen Unterschied mehr.

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