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Infrastruktur: Das Tor zur Welt quietscht und klemmt | ABC-Z

Viele Verkehrswege in und um Hamburg sind marode, wie in weiten Teilen Deutschlands auch. Wie kann die Infrastruktur des größten deutschen Industriestandorts und Seehafens erneuert werden? Auch darum geht es bei den bevorstehenden Wahlen.

Eine rund 3,6 Kilometer lange Brücke beschäftigt Hamburgs Politik seit 15 Jahren mit ansteigender Intensität. Jahrelang wurde analysiert und darüber gestritten, wie die baufällige Köhlbrandbrücke mit einer lichten Höhe von 53 Metern, eines der Wahrzeichen der Hansestadt, idealerweise ersetzt werden könnte. Ein – zunächst präferierter – Tunnel wäre zu teuer, befand der rot-grüne Senat im April 2024 und entschied: Eine neue Brücke soll bis Anfang der 2040er-Jahre gebaut werden, mit einer Durchfahrtshöhe für Schiffe von 70 Metern, für mehr als fünf Milliarden Euro. Die Hälfte davon zahlt Hamburg, die andere Hälfte der Bund. So der Plan.

Der Fall der Köhlbrandbrücke wirft ein Schlaglicht auf ein drängendes Problem, das Deutschland in den kommenden Jahren zumindest deutlich lindern muss. Die Verkehrsinfrastruktur – Straßen, Schienen, Wasserwege – ist so marode, dass sie zu einer zusätzlichen Belastung für die ohnehin strapazierte Wirtschaft wird. Ganz abgesehen vom Dauerstress für Bürgerinnen und Bürger, die viele Stunden im Jahr im Stau stehen oder auf Züge warten müssen.

In Hamburg, Deutschlands zweitgrößter Stadt, dem größten Industriestandort und größten Seehafen des Landes, kumuliert der Bedarf an Ersatz- und Neubauten besonders stark. „Hamburg braucht bis 2042 – bis zum End-Nutzungsdatum der Köhlbrandbrücke – 13 neue Elbbrücken“, sagt Anjes Tjarks (Grüne), Hamburgs Senator für Verkehr und Mobilitätswende. „Die meisten Brücken davon liegen in der Aufgabe des Bundes. Diese Brücken und der Elbtunnel verbinden Nord- mit Mitteleuropa. Sie haben erhebliche Bedeutung für den Alltagsverkehr und auch für die militärische Mobilität in Europa.“

Akuter Handlungsbedarf herrscht aus seiner Sicht vor allem bei der Norderelbbrücke der Autobahn A1, über den ein wesentlicher Teil des norddeutschen Wirtschafts- und Schwerlastverkehrs läuft. Hinzu kommt der Neubau der U-Bahn-Linie U5, der Bau von S-Bahnstrecken, der Autobahn A26 Ost und manches andere Projekt. Eine Übersicht darüber, was das alles bis zum Beginn des übernächsten Jahrzehnts kosten wird, hat der Verkehrssenator derzeit nicht. „Wir brauchen eine Beschleunigung der Planung, der Umsetzung und der Finanzierung“, sagt Tjarks. „Das Wichtigste – auf Bundesebene – ist eine Beschleunigung der Finanzierung. Der Bund hat an jeder Ecke zu wenig Geld, um notwendige Projekte voranzutreiben.“

SPD, Grüne und CDU, alle drei Parteien, die eine realistische Chance haben, den nächsten Hamburger Senat zu bilden, bekennen sich zum Ausbau der Infrastruktur in der Stadt und der Metropolregion. Allerdings mit unterschiedlichen Akzenten. „Die Metropolregion Hamburg braucht dringend eine Infrastrukturoffensive“, sagt der frühere Hamburger CDU-Vorsitzende Christoph Ploß, derzeit Obmann der Unionsfraktion im Verkehrsausschuss des Bundestages. „Der rot-grüne Hamburger Senat und die Ampelkoalition in Berlin lassen die dringend notwendigen Investitionen in unsere Infrastruktur und die ebenso dringend notwendigen Initiativen für schnelleres Planen und Bauen jedoch schmerzlich vermissen.“

Hamburgs früherer CDU-Vorsitzender fordert Reform des Verbandsklagerechts

Die unionsgeführte Bundesregierung habe bis 2021 „erhebliche Anstrengungen zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten unternommen. Unter der Ampelkoalition ist seitdem kaum mehr etwas passiert. Vor allem das europäische Verbandsklagerecht müsste dringend reformiert werden“, sagt Ploß. „Da davon aber vor allem einige der grünen Partei sehr nahestehende Lobbyverbände betroffen wären, hat die Ampelkoalition diesen wichtigen Schritt vermieden.“ Das Verbandsklagerecht ermöglicht es etwa Umweltverbänden, gegen die Realisierung von Verkehrsprojekten zu klagen.

Die SPD betrachtet, wie auch CDU und Grüne, die Metropolregion Hamburg als ein einheitliches Verkehrssystem – und sie wirft den beiden anderen Parteien erhebliche Nachlässigkeit bei dessen Ausbau vor, auch den Grünen, dem bisherigen Koalitionspartner. „Als einzige Partei in Hamburg haben wir das Projekt der A26 Ost in den vergangenen Jahren konsequent verfolgt“, sagt Hamburgs Wirtschaftssenatorin und SPD-Landeschefin Melanie Leonhard. „Die Grünen tragen den Bau der A26 Ost zwar einerseits politisch mit – und zweifeln dessen Sinn in aktuellen Äußerungen dann doch immer wieder an. Ich halte das für absolut fatal. Das ist nicht redlich, auch den Gegnern dieses Projektes gegenüber nicht.“

Für ihre Haltung zum Autobahnbau rügt Leonhard auch die Koalition aus CDU und Grünen in Schleswig-Holstein. „Die CDU kritisiert die Infrastruktur- und Verkehrspolitik der SPD in Hamburg. Doch in Schleswig-Holstein hat die CDU, die dort seit 2017 gemeinsam mit den Grünen regiert, die Verlängerung der Autobahn A20 und die Elbquerung bei Glückstadt nicht entscheidend vorangebracht“, sagt sie. Der seit vielen Jahren diskutierte, zusätzliche Elbtunnel zwischen Glückstadt in Schleswig-Holstein und Drochtersen in Niedersachsen sei aber „Teil der Gesamtlogistik eines größeren Autobahnrings um Hamburg herum, zu dem auch der Bau der A26 West und Ost und der Ausbau der A1 bei Hamburg zählen“.

Bau von Fernstraßen schon in politischer Diskussion komplex

Das Projekt der 9,7 Kilometer langen, 2,3 Milliarden Euro teuren A26 Ost zeigt, wie komplex der Bau von Fernstraßen heutzutage bereits in der politischen Diskussion ist. Schon während des Krieges in den 1940er-Jahren hatten Verkehrsplaner solch eine Straßenführung untersucht. Jahrzehntelang wurde über das später als „Hafenquerspange“ bekannte Projekt gestritten. Die A26 Ost soll die schon im Bau befindliche A26 West verlängern und südlich des Hamburger Hafens eine Verbindung zwischen den Autobahnen A7 und A1 schaffen – um die Innenstadt und die südlichen Hamburger Stadtteile von Hafenverkehren zu entlasten und um neue Potenziale für den Wohnungsbau und Gewerbegebiete in Harburg zu schaffen. So sehen es SPD, CDU und die Hamburger Wirtschaft.

Die Grünen, die keinen Neubau von Autobahnen wollen, halten sich bei dem Thema bedeckt. Die den Grünen nahestehenden Umweltverbände BUND und Nabu wollen die A26 Ost verhindern, sie haben beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss zum ersten Bauabschnitt 6a eingereicht. Das Gericht verhandelt mit den Streitparteien am 21. Mai darüber. Aus Sicht der Verbände ist es unverantwortlich, ein großes Moorgebiet für den Bau der A26 Ost zu zerstören.

Doch der Bedarf auch an neuen Fernstraßen um Hamburg herum dürfte mit der Realisierung des Fehmarnbelttunnels eher noch wachsen. Der 18 Kilometer lange Absenktunnel zwischen den Inseln Fehmarn und Lolland, den das staatliche dänische Unternehmen Femern A/S derzeit bauen lässt, soll in der zweiten Jahreshälfte 2029 in Betrieb gehen. Das Großprojekt ist Teil der Fernwegeplanung der Europäischen Union, der Tunnel soll Skandinavien und Zentraleuropa auf Schiene und Straße enger miteinander verbinden. Zwei Fixpunkte dabei sind die Wirtschaftsmetropolen Hamburg und Kopenhagen. „Wenn der Fehmarnbelttunnel am Ende des Jahrzehnts mit seiner Anbindung ins deutsche Inland fertiggestellt sein wird, die A20-Querung der Elbe und die A26 Ost aber nicht, dann fließen all die zusätzlichen Straßenverkehre durch Hamburg“, sagt Leonhard. „Wenn wir es mit zusammenhängenden Wirtschaftsräumen ernst meinen, im Norden zum Beispiel mit der länderübergreifenden Metropolregion Hamburg, dann müssen wir bei der Planung und Realisierung von Verkehrsinfrastruktur auf allen politischen Ebenen enger kooperieren – Kommunen, Länder und Bund.“

Schwierig bleibt ebenfalls der Ausbau des Bahnverkehrs. Die Deutsche Bahn bündelt umfangreiche Ressourcen und saniert in den kommenden Jahren die wichtigsten Streckenkorridore in ganz Deutschland, etwa zwischen Hamburg und Berlin und zwischen der Hansestadt und Hannover. Eine neue, zusätzliche Schnellstrecke zwischen Hamburg und Hannover wird es nach aktueller Planung jedoch nicht geben. Unter anderem SPD-Chef Lars Klingbeil machte sich gegen das Projekt stark, das die Deutsche Bahn nahe dem Verlauf der Autobahn A7 als Ergänzung zur heutigen Trasse geplant hatte. Die neue Strecke wäre auch durch seinen Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis gelaufen, dort gab es heftigen Widerstand dagegen.

Das von Volker Wissing (damals FPD, inzwischen parteilos) geführte Bundesverkehrsministerium gab den Plan für eine Neubaustrecke im Sommer 2024 auf. „Die Zugverbindung Hamburg-Hannover bleibt, verglichen mit der Anbindung anderer Großstädte, ein Bummelzug“, sagt CDU-Mann Christoph Ploß. „Schon heute ist klar, dass die nun geplante ,Ertüchtigung’ der Bestandsstrecke nicht ausreichen wird, um den Deutschlandtakt in Norddeutschland zu gewährleisten.“ Trotzdem, so Ploß, wollte die inzwischen zerfallene Ampelkoalition nur in die schon bestehende Strecke investieren: „Große Verlierer dabei werden nicht nur Bahnfahrer von Hamburg nach Hannover sein, sondern vor allem auch der Hamburger Hafen.“

Erheblich sind auch die Anforderungen an den Ausbau der Verkehrswege in Hamburgs Innenstadt. Nach der Bürgerschaftswahl 2020 war die Verkehrsbehörde von der Wirtschaftsbehörde getrennt worden. Als Senator kümmert sich Anjes Tjarks seither, von der CDU speziell beim Thema Pkw stets attackiert, um die „Verkehrswende“ – weniger Individualverkehr per Auto, mehr öffentlicher Personennahverkehr, zusätzliche Radwege. Also auch neue, teure Infrastruktur: „In den kommenden vier Jahren werden wir als Verkehrsbehörde fünf Milliarden Euro ausgeben. Aber darin sind viele Maßnahmen des Bundes nicht enthalten“, sagt Tjarks. Die größte Investition sei der Neubau der U5, „weiterhin relevant ist der Ausbau der U4 in Richtung Horner Geest. Hinzu kommen die Sanierung der S-Bahn nach Harburg und nach Bergedorf. Auch die S4 kommt hier mit hinein. Wir werden sehr viel Geld in den schienengebundenen Verkehr investieren.“

Die Finanzierung des innerstädtischen Verkehrs sei Aufgabe der Stadt, mithilfe der entsprechenden Regionalisierungsmittel, sagt Tjarks. Für die Erhaltung der Infrastruktur bei der zur Deutschen Bahn gehörenden S-Bahn sei hingegen der Bund zuständig: „Wir können aber auf eine Finanzierung durch den Bund nicht jahrelang warten. Die Sanierung der S-Bahn nach Harburg und Bergedorf finanzieren wir als Land deshalb vor und holen uns später etwa 70 Prozent der Investition über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zurück.“ Der Nutzwert der S-Bahn nach Harburg sei mehr als dreimal höher als die Kosten, sagt Tjarks: „Trotzdem investiert der Bund dort nicht.“

Klar ist: Wer immer künftig im Bund regiert, die Konflikte um die Finanzierung der Infrastruktur werden eher noch härter werden. Maßgeblich auch wegen des Streits über die „Schuldenbremse“ – die durch die Verfassung begrenzte Aufnahme neuer Schulden – hatte die FDP unter Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner Ende 2024 die Ampelkoalition verlassen. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der erneut für das Amt kandidiert, macht deutlich: Die Schuldenbremse muss ergänzt werden, wenn der Verkehr in Deutschland auch künftig weiter rollen soll. „Wir bauen neue U- und S-Bahnen und haben dazu schon Milliarden in ein Sondervermögen eingezahlt, die wir abrufen, wenn es der Baufortschritt erfordert“, sagt er. „Wir halten die Schuldenbremse ein und investieren zugleich in Straßen und Brücken, in die Energienetze, die Hafenanlagen und vieles mehr.“

Der Bund habe „genau das über Jahrzehnte versäumt“, sagt Tschentscher. „Jetzt sind schon die dringendsten Maßnahmen so groß, dass sie sich über die normalen jährlichen Haushalte nicht mehr finanzieren lassen. Unter Einhaltung der klassischen Schuldenbremse kann die Infrastruktur nicht mehr gerettet werden, weil dafür in den kommenden Jahren dreistellige Milliardenbeträge nötig sind.“ Lindner als Bundesfinanzminister habe dafür „leider kein Konzept entwickelt. Der Bund braucht für diese Zukunftsaufgabe ein kaufmännisches Sondervermögen, das neben der Kreditaufnahme auch die erforderlichen Refinanzierungsbeiträge und einen verbindlichen Tilgungsplan erhält.“ Um das aber im zerstrittenen Deutschland zu erreichen, braucht es zuerst wohl vor allem eines: neue politische Brücken.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit Jahrzehnten auch über den Zustand und Neubau von Verkehrswegen.

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