Influencer nach Raketen-Schuss am Flughafen Berlin festgenommen | ABC-Z
Berlin-Neukölln in der Silvesternacht: Ein junger Mann, weiße Dauenjacke, graue Mütze, in der rechten Hand eine Rakete. Funken stäuben, als er die Zündschnur anzündet. Die Rakete fliegt los, nicht in den Nachthimmel, sondern direkt in eine Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Hinter dem Fenster blitzt ein Lichtschein auf. Bevor das Video abbricht, sieht man den Mann wegrennen. Der kurze Clip, der seit Silvester für Schlagzeilen sorgt, stammt von Atallah Y. Der Influencer aus dem Westjordanland, dem auf Instagram mehr als 300.000 Menschen folgen, hatte ihn selbst auf seinem Kanal gepostet.
Inzwischen ist das Video gelöscht und Y. in Untersuchungshaft. Die Ereignisse der Silvesternacht sind jetzt Gegenstand der Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft. Wie Sprecher Michael Petzold der F.A.Z. sagte, wurde am Sonntag Haftbefehl gegen den 23 Jahre alten Mann erlassen. Er war am Tag zuvor am Berliner Flughafen vor seiner mutmaßlichen Ausreise festgenommen worden.
Zahlreiche Vorwürfe
In einem Interview, das er noch vor seiner Verhaftung der „Zeit“ gegeben hat, scheint Y. von all dem überrascht. Er sagt, er habe nur Silvester feiern wollen. Die deutschen Gepflogenheiten kenne er nicht. Er habe nur gesehen, dass die Leute in Berlin viel knallen, das habe er auch erleben wollen – wie eine Rakete funktioniert und wie weit sie fliegen würde, habe er nicht gewusst. „Ich wollte niemanden absichtlich verletzen.“
Eine Schutzbehauptung, sagt die Staatsanwaltschaft, die ihm versuchte schwere Brandstiftung, versuchte gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vorwirft: „Es dürfte allgemein bekannt sein, wie eine Rakete funktioniert und dass durch sie eine erhebliche Brandgefahr besteht.“ Da die Straferwartung hoch sei und es Hinweise darauf gäbe, dass der Mann sich dem Verfahren entziehen werde, wurde eine Untersuchungshaft angeordnet. Schließlich habe Y. öffentlich angekündigt, Deutschland verlassen zu wollen: „Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass er kein Interesse daran hat, an dem Verfahren mitzuwirken“.
Bei einer Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung droht Atallah Y. eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Verschärfend komme noch hinzu, dass der Beschuldigte die Tat gefilmt und anschließend ins Netz gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass der Beschuldigte die Straftat beging, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzeugen: „Er hat sein eigenes Interesse an Öffentlichkeit dem von Menschenleben übergeordnet“.
Manche hätten ihm den Tod gewünscht
In der Wohnung im dritten Stock des Mehrfamilienhauses befanden sich zur Tatzeit laut Staatsanwaltschaft der 33 Jahre alte Mieter und seine Familie. Als die Rakete das Fenster durchschlug und die Möbel im Schlafzimmer in Brand zu setzen drohte, habe der Geschädigte Schlimmeres verhindert, indem er die Reste der brennenden Rakete aus dem Fenster geworfen habe. Verletzt wurde laut Petzold niemand.
Überrascht scheint Y. von den heftigen Reaktionen im Netz. Am Neujahrsmorgen hätten sich in seinem Posteingang wütende Nachrichten gehäuft, sagt er im Interview mit der „Zeit“. Leute, die fragten, warum er das getan habe, Hassnachrichten und rassistische Beleidigungen: „Schwein“, „Scheiß Islam“, „Scheiß Araber“ habe da gestanden. Manche hätten ihm den Tod gewünscht.
Er sagt, er habe sich mit dem Geschädigten ausgesprochen: „Wir haben das persönlich geklärt. Von Araber zu Araber, von Angesicht zu Angesicht“. Tatsächlich veröffentlicht er kurz nach Silvester ein Video, das ihn mit einem älteren Mann zeigt. Er sagt, es sei falsch gewesen, „Ich hoffe, dass Abu Mohamad die Entschuldigung annimmt“. Er küsst den Mann auf den Kopf, ein Zeichen von Achtung und Respekt. Der ältere Mann schweigt. Ob es sich tatsächlich um den Geschädigten handelt, kann die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen. Eine Vernehmung des Geschädigten stehe noch aus.
Antrag auf Haftüberprüfung
Die strafrechtliche Relevanz der Tat scheint Y. vor seiner Verhaftung nicht begriffen zu haben. Zu den Ermittlungen gegen ihn sagte er: „Was will die Polizei von mir? Denken die, ich bin ein Flüchtling?“ Zu den Vorwürfen hat er sich laut Staatsanwaltschaft seit seiner Verhaftung nicht geäußert. Er habe allerdings mit seinem Pflichtverteidiger einen Antrag auf Haftprüfung gestellt, sagte Sprecher Petzold. Innerhalb von zwei Wochen müsse das Gericht nun entscheiden, ob der Mann in Untersuchungshaft bleibt. Die Staatsanwaltschaft geht aufgrund von anhaltender Fluchtgefahr nicht davon aus, dass dem Antrag stattgegeben wird. Der Anwalt des Beschuldigten wollte sich auf Anfrage der F.A.Z. nicht äußern.
Allein in Berlin wurden in der Silvesternacht etwa 400 Menschen festgenommen und etwa 670 Ermittlungsverfahren eingeleitet – vor allem wegen Verstößen gegen das Waffengesetz sowie das Sprengstoffgesetz, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Brandstiftungsdelikten und Körperverletzungen.
Außerdem wurden viele Menschen durch Feuerwerkskörper verletzt. Der Berliner Gesundheitsverwaltung zufolge allein in Berlin 363. Davon wurden 52 stationär in einem Krankenhaus aufgenommen. Deutschlandweit verloren fünf Menschen ihr Leben. In Berlin-Schöneberg wurden von der Wucht einer Detonation Häuserfassaden und Autos schwer beschädigt, viele Fensterscheiben gingen zu Bruch. Für die besonders schweren Schäden und Verletzungen sollen Kugelbomben verantwortlich sein. Profifeuerwerk, das nicht für den Allgemeingebrauch zugelassen ist.