Wirtschaft

Industriepolitik: „Sonst sehen wir, wie sich die Deindustrialisierung weiter fortsetzen wird“ | ABC-Z

Der Unternehmer Andreas Pfannenberg leitet den Hamburger Industrieverband – und setzt nun Hoffnungen auf eine neue Bundesregierung, die besser zuhört und dann zügig handelt. Gerade nach der Wahl Trumps sei Pragmatismus nötig. Und Eile sei geboten.

Hamburg gilt als Handels- und Dienstleistungsmetropole – tatsächlich ist die Hansestadt aber auch ein großer Industriestandort, sogar im europäischen Maßstab. Airbus, Shell, Lufthansa Technik, Aurubis, Trimet, Körber oder Jungheinrich sind nur einige der bekanntesten Namen, hinzu kommen zahlreiche Mittelständler. Sie alle – insgesamt rund 600 Unternehmen – repräsentiert der Industrieverband Hamburg, dessen Vorsitzender Andreas Pfannenberg im Gespräch keinen Hehl daraus macht, dass er sich über das Aus der Ampelkoalition freut.

WELT AM SONNTAG: Welche Hoffnung verknüpfen der Industrieverband Hamburg und auch der Familienunternehmer Andreas Pfannenberg mit dem 23. Februar?

Andreas Pfannenberg: Es ist zunächst einmal gut, dass wir jetzt ein relativ zeitnahes Datum für die Bundestagswahl haben. Wir dürfen in unserer Situation nicht in ein Entscheidungsvakuum fallen. Aber auch nach dem Wahltag muss es dann zügig mit der Regierungsbildung weitergehen, denn wir brauchen wichtige und belastbare politische Weichenstellungen.

WamS: Dabei plant doch gerade die Industrie eher in größeren Zeiträumen – warum diese Eile?

Pfannenberg: Weil der Standort Deutschland in den vergangenen Jahren in wichtigen Bereichen stark zurückgefallen ist. Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts ging doch eigentlich nicht mehr. Wir benötigen zügig ein klares Bild für die Gestaltung der Energiepreise. Wie werden sich Netzentgelte ausrichten – und das langfristig, damit wir dann auch Planungssicherheit haben für die Industrien? Diese Fragen müssen von der Politik schnell beantwortet werden.

WamS: Sonst …?

Pfannenberg: : Sonst sehen wir, wie sich die Deindustrialisierung weiter fortsetzen wird. Diese ist Folge einer Hängepartie, wie wir sie durch die Ampelregierung erlebt haben. Die Produktion liegt heute zehn Prozent unter dem Niveau vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Die energieintensiven Branchen haben sogar über 20 Prozent verloren. Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Ein Beispiel: Angestrebt wird der Kohleausstieg im Jahr 2030. Es gibt heute aber nicht ein einziges genehmigtes Gaskraftwerk zusätzlich, das die Kapazität der Kohle substituieren kann. Und man braucht wenigstens sieben Jahre von der Planung bis zum Bau für ein solches Gaskraftwerk, das kann also schon jetzt nicht mehr klappen. Heißt: Wenn der Ausstieg 2030 kommt, wird das die Probleme weiter verschlimmern, weil wir keine Grundlast mehr haben

WamS: Immerhin hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Industrie jüngst zu einem Gipfel eingeladen …

Pfannenberg: … das hat ja keiner mehr ernst genommen. Da sind alle hingefahren, weil es sich so gehört, aber ohne den Glauben an wirkliche Veränderungen. Jedenfalls nicht in der Ampelkoalition. Von einer neuen Regierung erwarte ich deswegen auch, dass sie von Anfang an besser zuhört und versteht, was wirklich nötig ist. Und dann entsprechend handelt.

WamS: Als Hamburger haben Sie Olaf Scholz als Bürgermeister erlebt. Wie war damals sein Verhältnis zur Industrie?

Pfannenberg: Deutlich besser, es gab einen regen Austausch. Mit dem heutigen Senat auch, der „Masterplan Industrie“ wurde jüngst fortgeschrieben. Aber Scholz hat auf Bundesebene nicht die Kraft aufgebracht, die er hier in Hamburg gezeigt hat. Gerade in den Augen der Grünen ist die Industrie ein Verhinderer, die angeblich die Klimawende torpediert. Dabei ist das Gegenteil der Fall, die Unternehmen unserer Branche haben ein eigenes riesiges Interesse an Energieeinsparung. Trotzdem wird fast jedes Genehmigungsverfahren so lange hinausgezögert, wie es eben geht. Das ist in vielen anderen Ländern ganz anders. Und wenn der eigene Apfelbaum verkümmert, der des Nachbarn aber reife Früchte trägt, dann erntet man lieber dort.

Wams: Blicken wir nach vorn: Sie haben einige Punkte schon angesprochen, aber gibt es so etwas wie eine Reihenfolge? Was ist Ihnen besonders wichtig?

Pfannenberg: Die Planungssicherheit steht ganz oben auf der Agenda. Wir brauchen einen entschiedenen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Die rasante Deindustrialisierung muss gestoppt werden. Steuern müssen sinken, Arbeit muss sich wieder lohnen. Bürokratie muss konsequent wieder abgebaut werden. Zudem ist eine gesicherte und günstige Energieversorgung unerlässlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu gewährleisten. Kurzum: Wir brauchen wieder mehr Mut zur und Vertrauen in die Marktwirtschaft.

WamS: Was steht denn ansonsten konkret auf dem Spiel? Es fiel vorhin schon das Wort Deindustrialisierung.

Pfannenberg: Das ist nicht nur ein plakatives Schreckensszenario. Nicht alle Industrien sind gleich betroffen. Aber Sorgen muss man sich wirklich um die chemische Industrie und um die gesamte Grundstoffindustrie machen. Viele der Produktionsprozesse, die miteinander direkt verbunden sind, werden ins Ausland verlagert. Wenn sie so eine Kette erst einmal auseinanderreißen, dann werden die anderen Prozesse auch nicht wettbewerbsfähiger. Und dasselbe sehen wir bei den Kupfer-, Stahl- oder Aluminiumherstellern, davon wäre dann auch der Standort Hamburg betroffen.

WamS: Wenn wir auf den Weltmarkt blicken: Eine neue US-Regierung unter Donald Trump wird hier einiges neu ordnen wollen. Besorgt Sie das?

Pfannenberg: Wir werden damit umgehen müssen, seine Agenda ist ja bekannt. Nun kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an. Für Unternehmen, die vor allem in die USA exportieren, wird das Umfeld deutlich schwieriger. Wer dort aber schon eigene Produktionsstandorte hat, für den dürfte es nicht problematischer werden. Man wird – und das ist ja auch das Ziel Trumps – mehr Wertschöpfung in die USA verlegen. Allerdings ist das nicht von heute auf morgen zu machen, in den vier Jahren seiner zweiten Präsidentschaft wird wenig davon realisiert sein.

WamS: Bei den Strafzöllen, die er ankündigt, sieht das anders aus.

Pfannenberg: Stimmt, aber wenn wie angekündigt die Einfuhren aus China mit 60 Prozent Strafzoll belegt werden und die aus Europa mit 20 Prozent, würde das die Marktposition unserer Unternehmen sogar stärken. Denn eines muss man auch sehen: Wir sind stark im Maschinenbau und im Bereich Automatisierung – und in diesen Branchen gibt es keine nennenswerten Wettbewerber, die ausschließlich in den USA produzieren.

Wams: Würden Sie dazu raten, im Umgang mit den USA und der Trump-Regierung eine eher pragmatische und weniger moralische Wirtschaftspolitik anzulegen?

Pfannenberg: Nach der Wiederwahl Trumps wissen wir, dass das alte transatlantische Bündnis, das auch auf bestimmten Werten beruhte, so nicht mehr existiert. Nur wirtschaftliche Stärke macht uns unabhängig – und das geht doch nur mit Pragmatismus. Die Unternehmen haben selbst längst eine eigene Governance, eigene Leitplanken also, die in die richtige Richtung steuern. Niemand baut zum Beispiel mehr irgendwo eine Fabrik und setzt dabei auf Kinderarbeit oder auf Ausbeutung als Leistungsfaktor. Wir brauchen dafür kein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das vor allem weitere Bürokratie mit sich bringt. Man kann den Unternehmen auch einfach mal mehr Vertrauen schenken.

WamS: Sie selbst haben lange ein Familienunternehmen im Bereich der Elektroindustrie geführt und produzieren Komponenten und Systemlösungen für die Schaltschrank-Klimatisierung sowie Signaltechnologie. Heute führen Sie den Aufsichtsrat. Wie kommt Ihr Unternehmen durch diese Zeit?

Pfannenberg: Das Thema Innovation ist für uns sehr wichtig. Mittlerweile haben wir zudem mehrere Produktionsstandorte auch im Ausland und versuchen, für den jeweiligen Markt direkt vor Ort zu produzieren. Damit kommen wir insgesamt gut zurecht. Und das auch gern zum Schluss: Das Potenzial der deutschen Volkswirtschaft ist riesengroß, die Zukunftsperspektiven könnten – so wie in den anderen wachsenden Volkswirtschaften – auch in Deutschland auf Wachstum und Wohlstand gerichtet sein. Es wird höchste Zeit, den Turbo der deutschen Volkswirtschaft wieder neu zu starten. Das ganze Land muss jetzt den Hintern hochbekommen.

Seit Juni 2024 ist Andreas Pfannenberg der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg – einer breiteren Öffentlichkeit wurde der Unternehmer aber schon 2015 bekannt, als die Pfannenberg GmbH mit Sitz in Allermöhe zum „Familienunternehmen des Jahres“ gekürt wurde. Die Auszeichnung erhielt Pfannenberg aus den Händen von Olaf Scholz, seinerzeit Bürgermeister Hamburgs. Die Firma, 1954 von Otto Pfannenberg gegründet, ist in zahlreichen Bereichen der Elektrotechnik unterwegs und sorgt zum Beispiel auch dafür, dass der Pariser Eiffelturm nachts so schön illuminiert ist. Andreas Pfannenberg, Jahrgang 1957, ist studierte Elektrotechniker und Vater einer Tochter.

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