Marcel Schuhen im Interview über Florian Kohfeldt als Darmstadt-98-Trainer | ABC-Z

Herr Schuhen, Sie lesen gerade das Buch „Dynasty. Die Insidergeschichte der New England Patriots“. Man darf annehmen, das lesen Sie auch mit beruflichem Interesse.
Ja, auch. Ich finde es grundsätzlich sehr spannend, wie ein Franchise in einem System, in dem es schwierig ist, dauerhaft erfolgreich zu sein, dauerhaft erfolgreich ist. Es gibt durch das amerikanische Sport-Modell ja immer wieder Personalwechsel, im Draft gehen die besten Spieler zu den Teams, die ein bisschen schlechter sind. Aber New England hat es geschafft, über Jahre Super Bowls zu gewinnen.
Wie lautet die Erfolgsformel?
Ich habe gerade erst angefangen zu lesen, so 200, 250 Seiten, deswegen kann ich natürlich noch nicht alles sagen. Aber hinter dem Erfolg stehen immer sehr starke Persönlichkeiten. Gerade geht es viel um den Besitzer der New England Patriots, Robert Kraft, welche Philosophie er hat. Das Wichtigste aber, er ist ein eingefleischter Fan dieses Franchises. Es ist diese Kombination aus Herz, Leidenschaft und gleichzeitig sehr guten Entscheidungen, die zum Erfolg führt.
Moment, sprechen Sie noch über die Patriots?
Man kann das auch auf das in Anführungszeichen kleine Darmstadt runterbrechen. Wenn ein Verein gut geführt ist, kann man erfolgreich sein.
Es hat ein bisschen Zeit gebraucht. Wenn so ein Umbruch stattfindet, muss man Geduld aufbringen. Ich glaube aber, man hat von Anfang an gesehen, dass die Mannschaft Qualität hat. Die war auch in der Phase da, in der uns gefühlt keiner geglaubt hat, dass etwas in uns steckt.
Sie haben die Saison mit einem Punkt aus vier Zweitligaspielen begonnen.
Wie schnell wir den Turnaround hinbekommen haben, hat gezeigt, dass die Arbeit, die in der Sommertransferphase gemacht worden ist, genau die richtige war.
Welche Rolle hatten Sie in diesem Umbruch?
Ich habe meine Erfahrung eingebracht. Ich habe eine Führungsrolle inne, deshalb spreche ich viel. Das mache ich in guten wie in schlechten Zeiten. Das ist nun mal Teil meiner Aufgabe, so sehe ich das schon seit Jahren.
Sie haben Ihrer Mannschaft auch den einen oder anderen Punkt festgehalten, für das Weiterkommen im Pokal in Dresden war Ihre Leistung ebenfalls mitentscheidend. Es war aber auch mal ein Fehler dabei, wie zuletzt in Regensburg, als Sie bei einem Schuss danebengriffen und der Ball vom Innenpfosten glücklich nicht ins Tor ging. Würden Sie sagen, Ihre Hinrunde war schon gut, aber es ist noch ein bisschen Luft nach oben?
Alles in allem hat ein Fachmagazin mich als aktuell drittbesten Torhüter der zweiten Liga bezeichnet.
Sie meinen die Rangliste des „Kickers“.
Ich glaube, das ist erst mal zufriedenstellend. Zum Danebengreifen gegen Regensburg: Es ist in der Situation nichts passiert, es ist dadurch kein Tor entstanden. Ich muss aber auch sagen, ich bin grundsätzlich jemand, der nie zufrieden ist, weil Zufriedenheit aus meiner Sicht immer auch Stillstand bedeutet. Es gibt immer was zu verbessern.
Wo haben Sie sich zuletzt entwickelt?
Mit dem Trainerwechsel hat sich mein Torwartspiel ein bisschen verändert, was die Spieleröffnung angeht. Wenn man das in den ersten Spielen der Saison mit dem in den letzten Spielen vergleicht, ist schon ein großer Unterschied zu erkennen. Ich glaube, dass ich der Mannschaft dadurch noch mehr helfen konnte.
Erklären Sie das bitte noch ein bisschen genauer.
Es hat damit zu tun, dass wir jetzt eine etwas andere Art von Fußball spielen. Im Aufbau werde ich mehr miteinbezogen. Dadurch wird unser Spiel zeitgemäßer, wir finden mehr spielerische Lösungen. Immer aber mit der richtigen Risikoabwägung, das ist Flo (Trainer Florian Kohfeldt, Anm. d. Red.) auch sehr wichtig. Ich muss nicht alles kurz rausspielen, ich darf auch mal den langen Ball schlagen.
Ihr Trainer betont, wie außergewöhnlich lernwillig diese Mannschaft ist. Das gilt also auch für den erfahrenen Marcel Schuhen.
Ja, weil ich das, was Flo uns vorgibt, sehr gut finde. Anders wäre es, glaube ich, nicht möglich. Wenn man von etwas überzeugt ist und dahintersteht, fällt es einem leichter, zu lernen und manchmal sogar sein Spiel komplett umzustellen. Ich kann auch für meine Mitspieler sprechen, von denen jeder einzelne jetzt die Unterschiede sehen kann, wie wir Fußball spielen. Jeder einzelne ist unter Flo besser geworden, und ich gehe davon aus, dass wir uns so weiterentwickeln werden.
Sie sind in der vergangenen Woche 32 Jahre alt geworden, herzlichen Glückwunsch nachträglich.
Man sagt, dass Torhüter länger als Feldspieler auf hohem Level spielen können. Wie fühlen Sie sich?
Sensationell gut. Wenn der Mitte-zwanzig-Jährige Marcel Schuhen in die Ferne auf den 32-Jährigen geblickt hätte, er hätte gesagt: „Ah ja, der ist schon auf einem ganz anderen Gleis“, aber ganz im Gegenteil. Ich fühle mich tatsächlich so gut wie noch nie.
Ich habe, seit ich vor zehn Jahren zu Hansa Rostock gewechselt bin, immer gespielt, wenn nicht mal eine kleinere Verletzung dazwischengekommen ist. Sehr viele Torhüter, die vor mir in diesem Alter gespielt haben, können bestätigen, dass es einfach von unglaublich großem Wert ist, dass man viele Erfahrungen gesammelt hat. Es gibt immer wieder Spielsituationen, die ich so ähnlich schon mal erlebt habe. Auch Saisonverläufe, die schon mal so ähnlich waren. Man kann dementsprechend ganz gut mit allem umgehen. Und so wie ich mich jetzt fühle, ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.
Ich habe an meine Mitspieler erst mal gar keine Erwartung. Es ist immer wichtig, dass jeder bei sich selbst bleibt. Wenn alle ihren Job gut erledigen, dann, glaube ich, werden wir eine erfolgreiche Rückrunde spielen.
Vertragsgemäß bin ich noch bis Juni hier im Verein angestellt, das ist klar. Ich glaube, beide Parteien wissen, was sie aneinander haben. Aber es gibt jetzt aktuell zu meiner Vertragssituation nichts zu sagen.
Sie wollten nach dem Abstieg mit Darmstadt 98 im Sommer gern in der Bundesliga bleiben. Für wie realistisch halten Sie es, dass Sie dort noch mal spielen?