Stil

In diesem Sommer heißt es Mut zum Tuch | ABC-Z

In modischer Hinsicht ist Lauren Sánchez Bezos nicht gerade für Zurückhaltung bekannt. Sie sorgte schon bei Donald Trumps Vereidigung mit Hosenanzug zum Spitzen-BH für Aufsehen, beim Staatsdinner im Weißen Haus mit halbtransparentem, tief ausgeschnittenem Kleid und natürlich mit ihrem Wespentaillen-Brautkleid. Kurz vor ihrer Hochzeit mit Jeff Bezos in Venedig aber legte sie einen regelrecht konservativen Auftritt hin: Im cremefarbenen Dior-Kostüm winkte sie den Paparazzi, die Augen hinter einer Tom-Ford-Sonnenbrille, die Haare unter einem Hermès-Tuch – auf den ersten Blick unter dem Kinn geknotet, tatsächlich aber im Nacken gebunden, die Enden unter dem Stoff verborgen.

Diese „italienische Art“, wie sie auf Instagram und Tiktok genannt wird, erklären Social-Media-Nutzerinnen in Videoanleitungen, die viele Klicks gene­rieren. Denn das klassisch gebundene Kopftuch ist in diesem Sommer wieder beliebter denn je. Lange umwehte es ein Retro-Charme, verband man es doch vor allem mit Stilikonen der Fünfziger- und Sechzigerjahre wie Sophia Loren, Jackie Kennedy, Grace Kelly und natürlich Audrey Hepburn. Sie alle trugen Tücher auf den wohlfrisierten Köpfen, nicht nur, aber auch, wenn sie in Cabriolets durch die Gegend brausten oder auf Yachten weilten.

Es mutet glamourös an und ist zugleich praktisch: Die Frisur hält auch dem Wind stand, Wasserspritzer oder Hitze können dem verhüllten Haar nichts anhaben. An einem bad hair day kann man es unter dem Tuch verstecken, sogar Lockenwickler darunter verschwinden oder Haarkuren einwirken lassen – und dabei auch noch gut aus­sehen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



All dieser Möglichkeiten scheinen sich auch die Schauspielerinnen Jenna Ortega und Pamela Anderson – oder deren Stylisten – wieder bewusst zu werden. Sie wurden in den vergangenen Monaten mit klassisch um den Hals geschlungenem Kopftuch gesichtet. Auch auf den Straßen von Berlin bis Baden-Baden schützt es generationenübergreifend Kopf und Haare vor Sonne, besonders mondän in Kombination mit großer Sonnenbrille wie bei Lauren Sánchez Bezos. In der Cruise-Kollektion 2025 von Jacquemus, die vergangenes Jahr präsentiert wurde, spielte es eine zentrale Rolle auf dem Laufsteg. In einem buttergelben Entwurf samt Kopftuch des französischen Designers posierte auch die damals noch schwangere Hailey Bieber.

Eine andere Variante ist die im Nacken geknotete. Bilder aus der 1992 in der amerikanischen „Vogue“ erschienenen Modestrecke „Postcard from Portofino“, in der Christy Turlington mediterranes Urlaubsgefühl versprüht und ein im Nacken gebundenes Tuch auf dem Kopf trägt, werden derzeit massenhaft auf Instagram und Tiktok geteilt. Sah man diese Art des Tuches lange nur auf Köpfen von Strand- und Musikfestival-Besucherinnen, ist es jetzt auch wieder auf Straßen, Bühnen und Laufstegen präsent: Musikerin Gracie Abrams stand beim Glastonbury Festival Ende Juni mit leuchtend rotem Tuch auf dem Kopf auf der Bühne. Diane Kruger wählte ein blau-weiß gestreiftes Kopftuch für ihren Besuch bei der Patou-Schau auf der Pariser Modewoche im Juli. Bei Maison Margiela trugen gleich mehrere Gäste im Nacken gebundene Kopftücher. Ein solches war auch auf dem Kopf von Schauspielerin Amber Anderson bei ihrem Wimbledon-Besuch zu sehen.

Auch Männern steht ein Kopftuch

Längst haben auch Männer das Kopftuch für sich entdeckt. Das gilt nicht nur für Models auf dem Jacquemus-Laufsteg: Zu seiner Schau auf der jüngsten Pariser Modewoche erschien ein Gast mit un­term Kinn gebundenen Kopftuch. Und auf der Mailänder Modewoche zeigte sich der NBA-Basketballprofi Josh Okogie mit ähnlich klassisch gebundenem Tuch auf dem Kopf. Der Rapper Asap Rocky machte schon vor sechs Jahren vor, dass das Kopftuch keineswegs nur Frauensache ist.

In Paris: Modewochen-Gast  im Juni mit Baseball-Kappe und Kopftuch
In Paris: Modewochen-Gast im Juni mit Baseball-Kappe und KopftuchGetty

Eine weitere, bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebte Variante ist noch jung: Hier wird das Kopftuch über einer Baseball-Mütze getragen. Diese Kombination avancierte laut dem Lifestyle-Magazin „Nylon“ 2024 auf dem Coachella Festival zum Trend. Den prägte auch Hailey Bieber mit einem Tuch mit Leoparden-Muster über einer roten Fila-Kappe – inspiriert von Popstar, Unternehmerin und Trendsetterin Rihanna, die sich schon 2017 mit dieser Kombination auf dem Kopf zeigte. In diesem Juni sah man auch bei der Fashion Week in Paris viele Tücher über Kappen; Gucci holte sie für die aktuelle Winterkollektion auf den Laufsteg.

In New York: Pamela Anderson im Retro-Look im Mai
In New York: Pamela Anderson im Retro-Look im MaiGetty

Ein kluger Schachzug, der hoffentlich Nachahmer inspirieren und das Kopftuch vom Ruf des reinen Sommer-Accessoires befreien wird. Denn sein praktischer Nutzen bewährt sich in jeder Jahreszeit: Natürlich schützt es vor Sonne, Sand und Hitze, aber eben auch vor Nässe, Wind, durch die Luft wirbelnde Blätter, Kälte und Regen – Letzteres erst recht in Kombination mit einer Schirmmütze. Auf die verzichtete Audrey Hepburn zwar, aber viele Fotos zeigen die Stilikone auch mit Kopftuch zu herbstlichen Outfits. Auch Königin Elisabeth spazierte häufig gut betucht durch verregnete Landschaften. Burberry zeigte auf der Londoner Modewoche dann auch in seiner neuen Winterkollektion Kopftücher zu Wollmänteln, -pullovern und -röcken.

Besser Seide als Baumwolle

Wer Sorge hat, dass allzu starker Sommer- oder Herbstwind ihm oder ihr das Tuch vom Kopf weht, kann sich von Schauspielerin Zazie Beetz inspirieren lassen, die im Juni in New York ihr Kopftuch mit farblich passenden Haarspangen fixierte. Grundsätzlich, so zitierte gerade erst die „Vogue“ eine Friseurin, könnten Tücher aus Baumwolle dem Haar eher Feuchtigkeit entziehen, während Seide tendenziell Feuchtigkeit spende. Auch Haarbruch soll mit Seide in Schach gehalten werden, nicht umsonst sind Schlafhauben aus diesem Material so beliebt. Passenderweise bestand auch das Tuch, das im westlichen Kulturkreis aus dem praktischen Stück Stoff einst ein glamouröses Accessoire und Statussymbol machte, aus Seide: 1937 brachte Hermès das erste seiner berühmten Carrés heraus, mit dem Motiv „Jeu des Omnibus et Dames Blanches“.

Cecile Pesce, Kreativdirektorin für Damenseide bei Hermès, zeigte sich im Mai in der malaysischen Ausgabe von „Harper’s Bazaar“ begeistert über neue Tragevarianten des Tuchs wie jene über der Baseball-Kappe. Wer das kostbare Material lieber nicht Wind und Wetter aussetzen möchte, kann das Kopftuch natürlich auch unter der Mütze tragen – oder auf einen anderen derzeit beliebten Trend ausweichen: Beim „scarf-belting“ wird das Tuch wie ein Gürtel um die Hüfte gebunden. Es ist und bleibt eben eines der vielseitigsten Accessoires. In jeder Jahreszeit.

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