In der Höhe feenhaftes Jauchzen | ABC-Z

Seit feststeht, dass Lahav Shani der neue Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wird, sind seine Auftritte keine bloßen Gastspiele mehr. Man schwingt sich schon einmal aufeinander ein.
Mit einem Blick in die jüngere Geschichte kann man einen interessanten Vergleich aufmachen: Auch, wenn es mit der Zeit viel besser wurde, musste das Orchester seinerzeit, vor gut zehn Jahren, erst lernen, mit Shanis Vorgänger Valery Gergiev zurechtzukommen, seiner eigenwilligen Klangvorstellung und Zeichengebung etwa oder seiner Art zu proben (oder Proben zu vermeiden).
Offiziell übernimmt Lahav Shani sein Amt erst in der übernächsten Spielzeit, aber schon jetzt frappiert, welche ungezwungene Vertrautheit auf der Bühne der Isarphilharmonie herrscht. In der Ouvertüre Nr. 2 von Louise Farrenc besticht die Balance zwischen dem attraktiven Klang der muskulösen tiefen Streicher und der Transparenz des Tuttis, das den Holzbläsern das Brillieren leicht macht. Shani geht auf den spezifischen Klang der Münchner Philharmoniker ein, was bei einem solchen frühromantischen Werk umso aussagekräftiger ist, als hier eine historisierende, sprich: Akzente übertreibende, Attitüde naheliegen könnte.
Ein geistesgegenwärtiger Begleiter
Statt auf Kostümierung setzt der in Tel Aviv geborene Dirigent jedoch auf sorgfältige Gestaltung der Phrasen, die allesamt auf den Punkt einsetzen – und auch wieder abgerundet werden. In einem Repertoirestück wie der Symphonie Nr. 5 e-moll von Peter Tschaikowsky fesselt Lahav Shani mit Detailreichtum (einsam verlöschende tiefe Klarinetten, sehnsüchtig singendes Hornsolo) und als Meister des Übergangs, der es wie wenige Kollegen schafft, das symphonische, nämlich sich entwickelnde Moment des Walzers zu entdecken.
Nicht zuletzt – diese Fähigkeit hatte auch Vorgänger Gergiev – erweist sich der soeben 36 Jahre alt gewordene Shani als geistesgegenwärtiger Begleiter, selbst bei reduzierter Probenzeit, die sich durch die Erkrankung Hilary Hahns ergab.
Clara-Jumi Kang springt ein, und sie macht das Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy vollends zu ihrem Eigentum: Eindringlich, ohne Nervosität zu verbreiten, versieht sie einfache Linien mit winzigen Schwellern und Abschattierungen, setzt sehnig gegriffene akkordische Passagen unter Spannung, breitet einen einzelnen Ton aus wie einen bunten Teppich. Mit einer Vielfalt von Stimmen: einer männlich rauen in der Tiefe, einer Mitte, die tönt wie ein widerspenstiges junges Mädchen, und feenhaftem Jauchzen in der Höhe, erzählt sie ganze Balladen. Die Münchner Philharmoniker hängen an ihren Lippen und fabulieren auf Schönste mit, reaktionsschnell angefeuert von Lahav Shani.