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Imane Khelif: Geschlechtstest und Niederschlag für das IOC – Sport | ABC-Z

Imane Khelif hat sich oft in Szene gesetzt seit dem Gewinn der Goldmedaille im olympischen Frauen-Boxturnier vor fast einem Jahr. Da war etwa ein Auftritt auf einer Mailänder Modeshow. Oder die Ablichtung auf dem Titelbild der arabischen Vogue. Es wirkte wie ein bewusster Kontrapunkt zur großen Geschlechterdebatte, in deren Zentrum Khelif während der Sommerspiele in Paris stand. Spekulationen um künftige sportliche Pläne gab es zwischendurch auch: Mal war von einem möglichen Wechsel ins Profilager die Rede, mal von dem Plan, in Los Angeles 2028 den Gold-Triumph von Paris zu wiederholen.

Wirklich weg war der Fall Khelif nie. Aber jetzt kehrt er mit ganzer Wucht zurück und erzeugt in der Sportwelt ein neues Beben, vor allem rund um das Internationale Olympische Komitee (IOC).

An diesem Donnerstag beginnt der Eindhoven Box Cup, ein Turnier, das der Verband World Boxing ausrichtet; also die Föderation, die seit einiger Zeit der vom IOC anerkannte Boxverband in der olympischen Welt ist. Und der hat kurz vor dem Eindhoven-Cup Khelifs algerischem Nationalverband einen Brief geschrieben und den Inhalt öffentlich gemacht. Der Kern: Khelif darf weder in Eindhoven noch bei künftigen Turnieren an den Start gehen – bis sie sich „einem genetischen Geschlechtstest gemäß den Regeln und Testverfahren von World Boxing unterzogen hat“.

Ein Startverbot für Imane Khelif? Das Ende von Imane Khelifs Zeit im Frauenboxen? Das ist die Eskalation des Themas, das wie kein anderes die Spiele von Paris geprägt hat. Fast zwei Wochen lang ging es im Sommer 2024 um die Frage, ob Khelif (und Lin Yu-ting aus Taiwan) überhaupt im Frauen-Boxturnier hätten starten dürfen. Oder ob sie nicht hätten ausgeschlossen werden müssen, weil bei ihnen eine seltene Variante der Geschlechtsentwicklung (Fachbegriff: DSD) vorliegt – vergleichbar mit der Mittelstrecklerin Caster Semenya, bei der Tests vor Jahren den männlichen Chromosomensatz XY und ein erhöhtes Testosteronlevel nachwiesen.

Die Iba schloss Khelif und Lin 2023 aus. Fürs IOC spielte das keine Rolle

Das IOC ließ die beiden trotz begründeter Zweifel ohne nähere Prüfung zum Turnier zu und erzeugte so einen gigantischen Aufruhr, unter dem alle zu leiden hatten: Khelif und Lin, die sich über die Zweifel und den Umgang mit ihnen empörten – und alle ihre Gegnerinnen, die sich um ihren olympischen Traum gebracht sahen. Doch nun erfolgt so etwas wie der Niederschlag fürs IOC.

Die ganze Geschichte begann schon in den beiden Jahren vor den Pariser Spielen. Damals war noch die International Boxing Association (Iba) der international maßgebliche Box-Verband. Dessen Vertreter stellten bei Khelif und Lin Auffälligkeiten fest. Sie unterzogen das Duo einem Test, den sie bei einem angesehenen Labor auswerten ließen, und schlossen das Duo aus, weil es laut den Ergebnissen gegen die neuen Zulassungskriterien für Frauenturniere verstieß: Nach denen dürfen da nur Sportlerinnen mit dem weiblichen Chromosomensatz XX antreten.

Allerdings war die Iba nach diversen Skandalen und einem Krach mit dem IOC nicht mehr fürs olympische Boxturnier zuständig; das übernahm das IOC selbst. Die Iba übermittelte dem IOC Informationen über den Ausschluss des Duos, doch das IOC tat – nichts. Dabei gab es weit über die Iba-Hinweise hinaus bemerkenswerte Aspekte: So strengte Khelif vor dem Sportgerichtshof Cas eine Beschwerde gegen die Iba an, ließ diese dann aber verfallen, und Lin ging diesen Weg erst gar nicht.

Thomas Bachs ist seit 2015 und bis Juni 2025 Präsident des IOC.
Thomas Bachs ist seit 2015 und bis Juni 2025 Präsident des IOC. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Stattdessen verstieg sich das IOC zu der Haltung, die es dann auch bei den Olympischen Spielen kundtat und durchzog. Es habe „nie einen Zweifel“ daran gegeben, dass die beiden Frauen seien. „Sie wurde als Frau geboren, ist als Frau aufgewachsen, hat einen Pass als Frau und hat als Frau Wettbewerbe bestritten“, sagte der demnächst scheidende IOC-Präsident Thomas Bach. Und, so das IOC: „Willkürlich“ angeordnete Tests seien unangebracht.

Jedenfalls führte das IOC keine eigenen Tests durch, um die Sache im Sinne aller – von Khelif/Lin wie auch den Gegnerinnen – zu klären. Das IOC ließ Khelif starten und ermöglichte Algerien somit eine ersehnte Goldmedaille – und damit just dem Land, in dem in Person von Mustapha Berraf ein enger IOC-Verbündeter Bachs die sportpolitisch entscheidende Figur ist. Der Mann, der unter anderem den Vorredner gab, als es um die Idee ging, Bach entgegen der olympischen Charta eine weitere Amtszeit als IOC-Chef zu ermöglichen (wozu es dann nicht kam).

Nicht nur Gegnerinnen von Khelif/Lin waren verstört. Sogar die UN-Sonderberichterstatterin zum Themenkreis „Gewalt gegen Frauen und Mädchen, deren Ursachen und Konsequenzen“ rügte das IOC für dessen Haltung: Das Vorgehen verstoße gegen alle Prinzipien von Fairness und Sicherheit im Sport – gerade hier müssten im Zweifel Tests möglich sein, zumal es dafür heutzutage einfache und die Würde wahrende Verfahren gebe. Gerade im Boxen ist diese Klärung besonders wichtig: Da geht es ja nicht nur um unfaire körperliche Vorteile im Wettkampf, sondern auch um die Gesundheit der Sportlerinnen.

Alle Boxerinnen müssen sich bald Geschlechtstest unterziehen. Aber Khelif muss es sofort tun

Und nun folgt also die nächste Stufe: Denn jetzt fordert auch World Boxing einen Geschlechtstest. Also der Verband, der sich bei seiner Gründung 2023 als Gegenpol zu Iba verstand – und den sich das IOC ausgeguckt hat, die Iba abzulösen. World Boxing will dem IOC gefallen, weil die Föderation die Boxkämpfe bei Olympischen Spielen organisieren möchte. Aber zugleich steht sie auch unter dem Druck der Athleten und der eigenen Mitgliedsverbände, denen es ein großes Anliegen ist, die Sache zu klären.

Entsprechend versucht sich der Verband an einer Lösung. Er erarbeitet gerade generell ein neues Regelwerk. Geschlechtstests sollen demnächst für alle erwachsenen Sportlerinnen verpflichtend sein, und zwar ab dem 1. Juli. Aber eine explizite Ausnahme hat World Boxing nach den Vorfällen von Paris gemacht: Khelif muss  schon bis zum nächsten Wettkampf – also dem Turnier in Eindhoven – den Test vorlegen, hieß es in einer Pressemitteilung. Wobei sich in den Fußnoten ein bemerkenswertes Detail verbirgt: Denn zuständig für den Test ist zunächst der nationale Verband. Das heißt: Das heißt: Khelifs algerische Föderation könnte sich ein Labor zwischen Algier und Constantine für die Analyse aussuchen. Aber in einem zweiten Schritt könnte World Boxing dann noch einmal einen eigenen Test in Auftrag geben.

Zu welchem Druck das Thema offenkundig führt, zeigt eine Aussage von World-Boxing-Präsident Boris van der Vorst zwei Tage vor dem Turnier. Da entschuldigte er sich nämlich bei Khelif; es sei falsch gewesen, Khelifs Namen in der Pressemitteilung zu veröffentlichen. Nichts geändert wurde allerdings daran, dass die Geschlechtstests kommen – und Khelif einen solchen einreichen muss.

Bei den Spielen in Los Angeles sieht die Sache eh anders aus

Auf eine bereits am Montag gestellte SZ-Anfrage, ob sich Khelif einem Test unterzieht, reagierten weder der Anwalt, der Khelif nach den Spielen von Paris vertrat, noch der algerische Verband. Lin wurde von ihrem Verband bereits im November von einem World-Boxing-Wettkampf in Großbritannien abgezogen, um weiteren „Schaden“ abzuwenden. Und das IOC? Das sagt, es habe „immer klargestellt, dass die Zulassungskriterien in der Verantwortung des jeweiligen internationalen Verbandes liegen“, heißt es auf Anfrage: „Die Faktoren, die für die sportliche Leistung ausschlaggebend sind, sind für jede Sportart, Disziplin und/oder Veranstaltung einzigartig. Wir warten auf die vollständigen Details, wie Geschlechtstests auf sichere, faire und rechtlich durchsetzbare Weise umgesetzt werden sollen.“

Das IOC ist in dieser Frage nicht nur wegen des angeordneten Geschlechtstests bei Khelif in der Bredouille. Auch politische Realitäten zwingen es zu einer anderen Positionierung. Die nächsten Olympischen Spiele sind schließlich in Los Angeles. Und US-Präsident Donald Trump macht seine Haltung zum Geschlechterthema seit seinem Amtsantritt klar – auch für den Sportbereich. Mit den in Paris gelebten Reisepass-Definitionen wird das IOC beim neuen Partner eher nicht durchkommen.

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