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Im Wiener „Tatort: Messer“ stirbt ein Spitzenkoch | ABC-Z

Manche Beziehungen sind wie eine Leberkas-Semmel mit fein geschnittener Essiggurke – ein Geschenk des Himmels. Wobei Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) hier der Leberkas ist und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) die Essiggurke. Zusammen perfekt, so erklärt es Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz), als Fellner ihn im Gefängnis besucht, um sich eine Dosis alltagsphilosophischen Rat zu holen. Mit Eisner gibt es gerade bloß beredte Sprachlosigkeit. Sie will sich vielleicht versetzen lassen, Leiche auf Leiche, das zermürbt. Er hat Angst, sie zu verlieren, aber tut so, als käme ihm nichts gelegener als ihr Trennungswunsch.

Statt auf Verdruckstheit zu setzen, machen Neuhauser und Krassnitzer aus „ihren“ Szenen im neuen Wiener „Tatort: Messer“ freilich schauspielerische Kabinettstückchen (Drehbuch Sarah Wassermair, Regie Gerald Liegel). Ihnen sekundiert Schwarz’ unnachahmlicher Heinzi, der per mitgebrachter Semmel direkt in den kulinarischen Himmel zu fliegen gedenkt und die altertümliche Wachspapierumhüllung genussvoll glatt streicht. Wer braucht Hauben- oder Sterneküche, Fine-Dining-Statussymbole oder fanatische Vollendungsanstrengung, wenn das Produkt unverbesserlich perfekt ist? Essen ist sozialer Vollzug und kann bisweilen Reden ersetzen. Auch Fellner und Eisner ziehen andere Kulinarik vor als Schaum an Rauch auf überschaubarem Teller. Beim Gratismahl aus dem China-Imbiss, stilecht in der Schachtel serviert, diskutieren sie den Fall und vermeiden Persönliches. Dass Leberkas und Essiggurke ohneeinander nicht können mögen, das kommt dann schon auf den Tisch in „Messer“.

Schaum an Rauch auf überschaubarem Teller

Der nächste Fall, die nächste Leiche: Ein Spitzenkoch ist ermordet worden. André Brauer (Daniel Keberle), der das Wiener „Efeukron“ zum Gourmettempelstatus und seine Küchenbrigade wie ein egomanischer Feldwebel alter Sorte führte, hat jemand mit einem Profi-Küchenmesser erstochen. Die Autorin Wassermair lässt tief blicken in die Abgründe hinter dem Pass, wo Souschef und Ziehsohn Lars Eidmann (Simon Morzé) quasimilitärisch regiert wie sein Vorgesetzter und wo sich die Köche an ihren Posten behaupten wie an Verteidigungsstellungen, belauert von den eigenen Beiköchen, wo Frauen zur Patisserie abgeschoben werden, das Mise en Place heilig ist und 14-Stunden-Schichten zum Alltag gehören. Verbrennungen und Verletzungen werden radikal ignoriert. Ansonsten Prügeleien, sexualisierte Gewalt, Erniedrigung, Speichellecken und Katzbuckeln, alles für den Moment, in dem der Teller zum andächtig wartenden Gast geht.

Tatort-Trailer„Messer“

Die Kamera von Gero Lasnig inszeniert diese Profiküche als dunkle Hölle mit reflektierenden Oberflächen. Fast alle Mitarbeiter sind abseits der Servicezeiten zombiehaft. Eine Brigade aus Adrenalinjunkies, so sieht es „Ratte“ (Manuel Sef­ciuc), Eidmanns wegen Beschaffungskriminalität vorbestrafter Halbbruder. Zahlreich finden sich Motive. Demütigung, Belästigung, Betrug, Eifersucht. Alicia Brauer (Martina Ebm), Geschäftsführerin des rote Zahlen schreibenden „Efeukron“ und Ehefrau des Ermordeten, war längst zu Tode erschöpft und führte jeden Abend das Theater der charmanten Luxus-Gastgeberin auf.

Apropos Theater. Wie so oft, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein Bildungsplus behaupten will, geht es daneben. „Die Hölle kennt solchen Zorn nicht wie den von verschmähten Frauen“, das ist nicht von Shakespeare, wie hier gemeint, sondern aus William Congreves Spiel „Die trauernde Braut“ (1697).

Schwer bedient hat sich Autorin Wassermair in diesem „Tatort“, der vor allem Studie eines toxischen Milieus sein will, auch bei Anthony Bourdains angejahrten Schlüssellochbüchern „Geständnisse eines Küchenchefs“ (2000) und „Ein bisschen blutig. Neue Geständnisse“ (2010). Den Dauerdruck, die Unmenschlichkeit und das Suchtpotential der Arbeitsplätze in der sogenannten Spitzenküche fängt dieser „Tatort“ gut ein, aber er wirkt, abgesehen vom Menü der Missverständnisse zwischen Fellner und Eisner, doch arg abgehangen und deprimierend.

Gereon Wetzel, der einst einen wunderbar sinnlichen Film über den letzten Monat des legendären Restaurants „El Bulli“ vorgelegt hat, zeigt dagegen im aktuellen Film „She Chef“ (mit Melanie Liebheit, ARD-Mediathek) über die Lehr- und Wanderjahre der österreichischen Kochweltmeisterin Agnes Karrasch ein neues Bild der Spitzenköche. Auf den Färöerinseln, im schwer zu erreichenden Restaurant „Koks“ des Küchenchefs Poul Andrias Ziska, ist zu sehen, wie Respekt vor Mensch und Natur und Gleichberechtigung als Basis der Kochkunst Kreativität freisetzen können. Dieser „Tatort“ skandalisiert und kritisiert zwar wohl reale, aber dennoch altbackene Zustände.

Der Tatort: Messer läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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