Im Panzer zur Hölle verkehren: Dennis Gansels Film „Der Tiger“ | ABC-Z

Ein Tiger-Panzer, fünf Mann Besatzung, an der deutschen Ostfront, Herbst 1943. Geheimauftrag, Einsatz hinter den russischen Linien. Irrfahrt im Niemandsland. Minenräumung. Tauchgang mit Flussdurchquerung. Panzerduell. Tod des MG-Schützen. Blick auf ein brennendes Dorf. Massaker an Zivilisten. Ankunft im Totenwald. Finaler Weltenbrand.
Das ist der erste deutsche Kriegsfilm über den Zweiten Weltkrieg seit Joseph Vilsmaiers „Stalingrad“ von 1993 (wenn man den Fernsehdreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ nicht mitrechnet). Also ein Nachzügler – oder ein Vorreiter, je nachdem, was man für die Zukunft erwartet. Nach Dennis Gansels „Der Tiger“ möchte man lieber nichts mehr erwarten. Dieser Film zeigt, dass es nicht geht. So nicht. Und vielleicht überhaupt nicht.
Gleichzeitigkeit von Kesselschlacht und Massenmord
Das Problem liegt in der Sache selbst. Der Feldzug gegen die Sowjetunion war ein Vernichtungskrieg. Ihn nur als Fronteinsatz zu zeigen, wäre Ideologie. Aber für die Totalität des Geschehens, die Gleichzeitigkeit von Kesselschlacht und Massenmord, gibt es keine – fiktionale – filmische Form. Deshalb wählten alle, die sich bisher an dem Stoff versucht haben, den Ausschnitt als Ersatz für das Ganze: das millionenfache Sterben als Miniatur. Die Traditionslinie reicht von Frank Wisbars „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ über Sam Peckinpahs „Steiner“ bis zu Vilsmaier. Dennis Gansel – seine eigene filmische Linie führt von Schulmädchen („Mädchen, Mädchen!“) über Hitlerjungen („Napola“), Gymnasiasten („Die Welle“) und Vampirinnen („Wir sind die Nacht“) zu U-Boot-Fahrern („Das Boot“) – glaubt, dass er sie bruchlos fortsetzen kann. Das ist sein erster Irrtum. Der zweite wiegt schwerer.
Gansel hat sein Tiger-Team mit repräsentativen, grob skizzenhaften Lebensläufen ausgestattet: Der eine, ein Österreicher, ist Winzer, der andere war Lateinlehrer mit linken Neigungen, der dritte hat Frau und Kind im Bombenhagel verloren, der vierte ist mit der Schwester des fünften verlobt. Ein Nazi, wie bei Panzerbesatzungen damals durchaus üblich, ist nicht dabei. Aber alle zusammen haben etwas auf dem Kerbholz. Das wird immer klarer, je näher ihr Tiger seinem Ziel kommt. Das Verbrechen ist in Flammenschrift in ihre Köpfe geschrieben, aber sie müssen erst von Neuem ins Feuer schauen, damit es sich enthüllt. Insofern hat der Film einen Punkt: Im Krieg geht das Trauma in Serie. Jedenfalls bei den Tätern.
Das ist die eine, erzählerische Seite der Geschichte. Die andere ist das Genre mit seinen Stereotypen. Hier will Gansel Gefechtskompetenz beweisen. Den Tiger 131 aus Bovington, das einzige noch fahrtüchtige Exemplar des Typs, hat er zwar nicht bekommen, dafür aber einen Nachbau auf russischem Fahrgestell. Mit ihm spielt er Standardsituationen des Kriegskinos durch, beginnend mit der Sprengung einer Brücke, die sein Heldenquintett scheinbar knapp überlebt. Die unwahrscheinlichste Szene ist das Abtauchen mit Turmschnorchel vor einer Horde sowjetischer Verfolger. Sie zeigt zugleich, woran der Film krankt, denn die Gefahr, entdeckt und abgeschossen zu werden, wird nie real. Es gluckert, aber es kracht nicht.

Was dem Film den Hals bricht, ist sein Verhältnis zu der Realität, die er zeigt. Die fünf Männer fahren durch einen bösen Traum, und am Ende erfahren wir, dass es wirklich ein Traum war. Aber im Kino ist Symbolik mit Ansage der sicherste Weg, die Symbolkraft der Bilder zu hintertreiben. Dass die Kämpfer der Ostfront Tote auf Urlaub waren und ihr Weg in die Hölle führte, ist klar, man muss nicht noch ein Teufelchen dazu malen. Genau das tut Gansel: Er wirft seine Geschichte in den Ofen und ihre Moral hinterher. Das Grauen, das wir sahen, stand im Konjunktiv, der Film hat mit dem Feuer nur gespielt.
Vielleicht liegt aber gerade darin der Clou dieser Amazon-Produktion. Nach dem Kinostart taucht „Der Tiger“ noch vor Weihnachten in die Tiefen der Streamingwelt ab. Hier muss er sich mit Panzerdramen russischen („White Tiger“) und amerikanischen Fabrikats („Fury“) messen. Dabei geht es weniger um innere Wahrhaftigkeit als um spektakulären Waffengebrauch. Jetzt haben auch die Deutschen ihren Panzerfilm. Leider.





















