Im großen Sparer-Schlamassel versucht Habeck es mit einem fragwürdigen Ausweg | ABC-Z

Robert Habecks nächster Vorstoß: Jetzt sollen Bürgerräte ihm bei der „Gerechtigkeit“ helfen. Das ist keine gute Idee.
Es ist grundsätzlich nicht verboten, auch nicht einem Kanzlerkandidaten, einer schlechten Idee eine weitere schlechte hinterher zu werfen. Es erhöht nur kaum die Erfolgschancen. Weder für die Idee selbst noch für den die Idee tragenden Kandidaten.
Diese Erfahrung macht gerade Robert Habeck. Die sachliche Kritik an seinem Vorschlag, Geldanleger an der Finanzierung der – leider unter der Ampelregierung – unrepariert gebliebenen Sozialsysteme zu beteiligen, wechselt sich inzwischen mit Spott darüber ab.
Zu retten ist sie nicht, die Idee, das „Handelsblatt“ braucht für sein Urteil ganze fünf Buchstaben – „Murks“. Und Wolfgang Kubicki (FDP) konfrontierte an diesem Mittwoch die Grüne Kollegin Katrin Göring-Eckardt aus dem Bundestagspräsidium mit der Anleger-Perspektive auf die Idee ihres Parteifreundes: „Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Leute das Ding dann wirklich kaufen.“ Das „Ding“ ist eine Staatsanleihe der Bundesrepublik Deutschland, „dann“ benennt die Idee, auf den Ertrag den Sozialversicherungsbeitrag von rund 20 Prozent zusätzlich zu erheben.
Katrin Göring-Eckardt, zuletzt wieder in den Schlagzeilen als „Sachverständige“ in Migrationsfragen, beschied den Liberalen, Zahlen wolle sie gerade zur Sozialversicherungsidee Habecks nicht nennen.
Mehr Details der Grünen würden Unangenehmes enthüllen
Kunststück – sie würden auch Unangenehmes zutage fördern. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat die Folgen davon ausgerechnet. Und deren Präsident Michael Hüther fasst es so zusammen: Der „Staat würde einen großen Teil der Rendite kassieren“. Und damit einen Großteil der Anstrengungen der heutigen Rentnergeneration und der Jungen, die wissen, dass die gesetzliche Rente eines Tages nicht reichen dürfte, durchkreuzen.
Hüthers Leute machen auf einen weiteren, sehr grundlegenden Umstand aufmerksam, den Habeck augenscheinlich nicht auf der Rechnung hat, denn: Unter dem Strich würden „rund 38 Prozent der Kapitalmarktrendite dem Staat zufallen, obwohl er nicht das Investitionsrisiko trägt“. Kurz: Der Staat profitiert von Gewinnen, für die Privatleute mit ihrer Geldanlage ins Risiko gehen. Erleiden die Anleger Verluste, interessiert sich der Staat nicht dafür: Pech gehabt. Einmal abgesehen davon, dass angelegtes Geld schon einmal versteuert wurde.
Den „Murks“ fasst das IW aus Köln so zusammen: Es „stellt sich die Frage, wo dann (bei höheren Freibeträgen) die Mehreinnahmen herkommen sollen, weil vermögende Anleger in der Regel oberhalb der Beitragsbemessungsgrundlage liegen oder nicht gesetzlich versichert sind. Und was wäre mit den Beamten, die ja nicht gesetzlich versichert sind?“
Am Ende stünde nicht der in Sonntagsreden beschworene Bürokratie-Abbau, sondern ein großer Bürokratie-Aufbau. Und: „Habecks Vorschlag konterkariert jeden Anreiz, für das Alter privat vorzusorgen.“
Habeck verspricht viel, ohne zu erklären, wer das bezahlt
Seit Tagen reitet Habeck auf seiner Idee durch die Wahlkampf-Öffentlichkeit, ohne seinem erschrockenen Publikum erzählen zu können, wer in Zukunft wann was und wie bezahlen soll, um mehr „Gerechtigkeit“ in den Sozialsystemen herzustellen.
Habeck stellt die „Systemfrage“, er hat sich angewöhnt, es darunter nicht zu machen. Ständig muss bei ihm, wenn auch sanft und verständnisvoll, irgendetwas und irgendwer gerettet werden. Nun der Sozialstaat.
Habeck ist privilegiert. Unsereiner muss noch selbst recherchieren, der grüne Wirtschaftsminister hat ein Heer von Untergebenen, das durchaus in der Lage ist, ihm konkrete Vorschläge auszuarbeiten und daraus Gesetzentwürfe zu machen.
Habeck ist der Herr über 2187 Bedienstete, weshalb haben die ihm noch kein Modell und keine der sonst bei ihm so beliebten Grafiken entwickelt und aufgemalt, mit denen er das Volk von der Sinnhaftigkeit seiner Vorstellungen überzeugen könnte?
Das Rechnen sollen jetzt andere für den Minister und die Ministerialbeamten übernehmen – Sie, meine Damen und Herren!
Die unsägliche Idee der Bürgerräte
Denn hier kommt Habecks nächster Vorschlag, damit seine Idee in Realität transformiert werden kann: „Ein geeignetes Forum wäre beispielsweise ein Bürgerrat, wo die Menschen im Land darüber diskutieren: was ist eigentlich gerecht?“ Aber, sicher ist sicher und doppelt genäht hält vielleicht auch besser: „Begleitet vielleicht von einer Expertenkommission, die dann Vorschläge und Berechnungen unterbreitet und so finden wir dann gemeinsam eine neue Lösung.“
„Vielleicht“ eine Expertenkommission? Eine „gemeinsame Lösung“ finden? Und ein Bürgerrat, der herausfindet: „was ist eigentlich gerecht?“ Habecks kommunikative Verschlimmbesserung erinnert an die alte Politikerweisheit, „Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis!“
Gewiss: So ein Bürgerrat könnte sich auch damit beschäftigen, was an der gegenwärtigen Migrationspraxis „gerecht“ ist. Oder am Bürgergeld. Und so weiter. Man könnte auch gleich alles an Bürgerräte delegieren, immer wenn es wichtig wird oder schwierig oder beides. Im Russischen kennt man solche Institutionen schon und hat dort systemstabilisierende Erfahrungen gemacht. Sie hießen dort viele Jahre lang: „Sowjets“.
Habeck-Idee: Klingt gut, hat aber Tücken
Bürgerräte wurden überhaupt erst erfunden, weil das System der repräsentativen Demokratie unter Druck geraten war, überall in Europa geschah das, von Spanien bis Irland. Die Idee damit war: Wenn die Bürger der Politik immer mehr misstrauen, dann sollen sie doch bitte selbst einmal mehr mitmachen.
Klingt gut, hat aber Tücken: Wer sucht die Themen aus? Aktuell Robert Habeck. Wer formuliert die Fragen dann? Aktuell Herr Habeck: der Grüne will „Gerechtigkeit“ – auf der Suche nach Umverteilung von den „Millionären“ – herausfinden lassen.
Man könnte stattdessen auch „Effizienz“ herausfinden wollen. Oder aus Gerechtigkeitsgründen Bürgerräte ermitteln lassen, ob es gerecht ist, Beamte gegenüber Angestellten zu bevorzugen in den Sozialsystemen. Davon hat Habeck bislang nicht gesprochen – aus Gründen der Klientelpflege?
Aus Lust wird Frust
Um einem Vorurteil gleich zu begegnen: Das Problem mit den Bürgerräten ist weniger – wer sucht die aus? Das macht nicht Habeck, sondern das Los. Aber offen ist, was mit den Ergebnissen passiert – darüber soll der Bundestag debattieren, gewiss. Um sie danach zu archivieren?
Wer mehr Bürgerbeteiligung in der repräsentativen Demokratie wirklich will, sollte die Resultate und Vorschläge der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen. Wenn allerdings Volksabstimmungen auf Bundesebene in Zukunft eine Möglichkeit soll sollen, dann könnte man auf die Bürgerräte auch gleich verzichten.
Wie man es auch dreht: Entweder haben Bürgerräte in Wahrheit nichts zu entscheiden – dann wird aus des Bürgers Lust an der politischen Mitgestaltung schnell Bürgerfrust.
Bindet man andererseits Bürgerräte an Volksabstimmungen, macht sie also zu wirklichen Mitentscheidern, entmachtet man das Parlament. Und die Regierungen.
Manche Länder machen das, weil sie es aus ihrer Geschichte ableiten – die Schweiz etwa. Dort sind dann auch Wahlergebnisse nicht mehr so wichtig – am Ende entscheidet wesentliche Dinge das Volk.
Habeck hatte jedenfalls schon einmal einen besseren Lauf
Ob das sinnvoll ist, darüber lässt sich diskutieren. Gerade in dieser Zeit würde allerdings die Bevölkerung wohl das Gegenteil von dem entscheiden, was die Ampel beschlossen hat. In Umfragen steht die Migrationspolitik gerade auf Platz Eins, weil die Bürger unzufrieden sind nicht nur mit der unkontrollierten Migration. Sondern auch mit der mangelnden Bereitschaft der zwei größeren Ampelparteien, daran etwas Grundsätzliches zu ändern. Von Teilen der Bevölkerung wird dafür die Union in Mithaftung genommen – der Merkel-Jahre wegen.
Diese Unzufriedenheit hat über die Jahre dazu geführt, dass der Abstand zwischen „der“ Politik und „der“ Bevölkerung gewachsen ist. Bei der Migration und dem Klimaschutz – gestiegene Energiepreise – sind die Grünen genau dafür mitverantwortlich, auch Habeck.
Gegen den Frust, den sie selbst mitproduziert haben, rufen sie jetzt nach Bürgerräten. Die sollen aufkehren, was erstere angerichtet haben.
Habeck fiel es erst ein, nach Bürgerräten zu rufen, als er selbst nicht mehr weiterwusste. Man kann den Versuch, die Bevölkerung vor den eigenen parteipolitischen Karren zu spannen, allerdings auch als einen Missbrauch der Bürger verstehen. Habeck hatte jedenfalls schon einmal einen besseren Lauf.