„Ich sehe aus wie Grinch, aber in Fashion und geil!“ | ABC-Z

Obwohl die zwanzig bisherigen Staffeln „Germany’s Next Topmodel“, abgesehen von einer halb quarantänisierten Saison während des Corona-Lockdowns, traditionell hauptsächlich in Los Angeles stattfanden, war der GNTM-Tross dem echten Hollywood nie so nah wie diese Woche. Das zum Topmodel-Quälinventar gehörende Höhenshooting findet dieses Jahr nämlich am Empire Columbia Building im Theatre District der Stadt der Engel statt, in dem zahlreiche Filmstars und -sternchen leben. Johnny Depp gehörten dort sogar mal fünf Penthäuser gleichzeitig, die er allerdings 2017 nach seiner Scheidung von Amber Heard in einer Art Immobilien-Panikattacke in Rekordzeit abgestoßen hat.
Statt Johnny Depp erwartet das von Heidi Klum handverlesen orchestrierte Modelensemble heute daher nur Fotograf Max Montgomery. Aber auch mit Max Montgomery, dem bekanntesten Übungsleiter mit Alliterationshintergrund seit Thomas Tuchel, weht ein Hauch Hollywood-Glamour durch die ansonsten von fliederpinken GNTM-Bademänteln beherrschte Shooting-Szenerie. Sein Assistent nämlich, das scheint zumindest phänotypisch eindeutig, müsste Tom Cruise sein.
Ebenfalls Tom-Cruise-Aura versprüht der Designer Kevin Germanier, der vor einigen Wochen, während der Initialcastings in München, auch schon als philanthropischer Kleiderspender fungierte. Zumindest die des zwölfjährigen Tom Cruise. Wenn man nämlich Kevin Germanier begegnet, dem Schweizer, der mit deutschen GNTM-Models seit Jahren stets konsequent in stark französisch akzentuiertem Englisch redet, denkt man immer automatisch so was wie: „Warum ist der hier? Ist Lehrerausflug in der Grundschule?“
Ein Shooting in 70 Metern Höhe
Germanier hat wie immer einige modeexzentrische Einzelstücke dabei, in denen die GNTM-Kandidaten aussehen, als hätte man ihnen zunächst den gesamten Körper mit Tapetenkleister eingerieben und anschließend in einen Wühltisch mit buntem Lametta geworfen. Dennoch hat Germanier standesgemäß hohe Ansprüche an den GNTM-Kader: „Sie müssen die Kleider zum Leben erwecken!“ Offenbar sind seine Werke in der Serienausstattung erst mal scheintot. Voller Euphorie wirft sich Daniela, der blonde Engel des 2025er Jahrgangs, in die Aufgabe, denn: „Er ist mein Lieblingsdesigner!“ Natürlich. Welche Zwanzigjährige aus Ostfildern würde nicht Kevin Germanier als favorisierten Designer nennen? Danielas Lieblingssänger ist übrigens Lars Lüdenscheid. Nie gehört? Na ja, denken Sie mal darüber nach.
Passend zu den Lametta-Unikaten, die in echter Germanier-Manier ihre Körper umschmeicheln wie Dreadlocks den Kopf von Lenny Kravitz, zaubert das umstylingerprobte Hair-Team den Kandidaten eine Frisur mit wild vom Kopf abstehenden Silberapplikationen, mit denen sie etwa 6300 TV-Sender empfangen können, darunter zahlreiche extraterrestrische. Gegen Höhenangst hilft eine eigene Empfangsstation auf dem Kopf allerdings nicht, und Masochismus-Modelmama Heidi Klum schickt ihre Protagonisten schonungslos auf einen in 70 Metern Höhe an einem Kran hängenden Balken. Ein konfuses, bizarres und sinnbefreites Konzept.
70 Meter, das kurz zur Veranschaulichung, das ist etwa 46-mal Ariana Grande stehend übereinandergestapelt. Grande, die 2020 beim GNTM-Finale zugegen war, ist nämlich umgekehrt proportional zu ihrem Nachnamen nur 1,53 Meter groß. Eine Herausforderung also. Vor allem weil der Hängebalken seine Tücken hat. Startmodel Canel berichtet ernüchternd: „Der sieht breiter aus, als er ist!“ Ein Satz wie aus dem Schwarzbuch der Fashionbranche. Breiter aussehen, als man ist. Im Prinzip die größte Angst eines Models nach Einzelcastings mit Philipp Plein.
Daniela bekämpft ihre Höhenangst mit einer ausgeklügelten Verdrängungstaktik: „Ich habe einfach die Augen zugemacht und wollte nicht sehen, was unter mir ist!“ Ein bisschen wie Friedrich Merz, wenn es um Bürgergeldempfänger geht. Die skurrile Shooting-Methodik beschert zwar wenig Fashionrelevantes, dafür aber wenigstens einige Momente popkultureller Memorabilien. Pierre beispielsweise sieht mit seiner exaltierten Irokesenfrisur aus wie Sascha Lobo, der an Karneval als 1986er Elton John geht.
Magdalena hat am meisten Höhenangst
Am hemmungslosesten trifft die Höhenangst heute Magdalena. Von Weinkräften geschüttelt bricht sie das Shooting zunächst ab: „Das war der Beginn einer Panikattacke!“ Empathiewunder Heidi Klum findet wie immer einfühlsamste Worte dafür: „Kein Foto, keine neue Woche!“ Zum Glück für die Wiener Titelhoffnung beteuert sie nach überstandenem Erstschock, es sofort nochmals zu versuchen, erhält vom für die Sicherheit verantwortlichen Fire Marshal des LA Fire Departments aber ein Höhenverbot. Um sich nicht dem Jähzorn des gesamten Kleinstaates Österreichs auszusetzen, entscheidet Klum, Magda dürfe unter diesen Umständen ausnahmsweise in nur drei statt 70 Metern Höhe shooten.
Vor lauter Dankbarkeit gewinnt die exitverschonte Magdalena am Folgetag souverän das Casting für den japanischen Bikini-Designer Kalzedo Nya. Darauf hatte sich auch Daniela Hoffnungen gemacht, weil sie „über 40 Bikinis hat“! Wow. Sie könnte sechs Wochen Strandurlaub machen und dabei täglich ein anderes Modell tragen. Das ist ja, als wäre man bei einem Casting für Tesla und würde sich mit der Empfehlung „Ich habe 428 Punkte in Flensburg“ in den Fokus rücken. So richtig punktet sie bei der Challenge-Leiterin von Kalzedo Nya damit erwartungsgemäß nicht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie die Casting-Anforderungen insgesamt nicht vollumfänglich durchschaut hat: „Die Aufgabe war, einen Laufsteg zu machen!“ Das wäre jedoch nur zutreffend, wenn Kalzedo Nya eine Tischlerei wäre.
„Lieber einmal weniger überlegen, als den Eindruck zu hinterlassen, man würde über alles nachdenken!“
Traurig muss sie darüber nicht sein. Die von Kalzedo Nya entsandte GNTM-Statthalterin offenbart nämlich ein schwer problematisches Verhältnis zu starken, selbstbewussten jungen Frauen mit eigener Meinung und rät den angehenden Profimodels: „Lieber einmal weniger überlegen, als den Eindruck zu hinterlassen, man würde über alles nachdenken!“ Ja klar. Warum nachdenken, wenn man auch einfach den Mund halten und gut aussehen kann? So wird auch im inzwischen sehr diversitybemühten GNTM-Kosmos fleißig an der Legende vom denkunfähigen Kleiderständermodel weitergestrickt.
Zur Abschlussprüfung der Woche ruft Heidi Klum dann mal wieder zu einem Final Walk, der sich im Absurditätenkabinett der GNTM-Historie haarscharf hinter dem legendären Laufstegfiasko einreiht. Da mussten die Models im 90-Grad-Winkel vertikal in der Luft hängend eine Hochhausfassade runterrennen. Ausgerüstet werden die Kandidaten auch dafür wieder von Kevin Germanier, der wohl eine Wette gegen Heidi Klum gewonnen hat, die ihn nun flächendeckend in ihr Casting-Lebenswerk einbinden muss. Kevin Germanier halt, oder wie Kandidat Pierre sagt: „Gewwin Cher Manjeh!“
„GNTM ist Kindergarten, denn die wahre Modelwelt ist sehr viel härter!“
Gewwin Cher Manjeh verteilt zur Einführung erstmal tonnenschwere Kopfbedeckungen an die Männer und erläutert: „Warum sollen immer nur die Mädchen strugglen?“ Das wäre allerdings erst dann konsequent, wenn auch die Boys in 20-Zentimeter-Absätzen laufen müssten. Zoe beurteilt derweil bereits ihr heutiges Catwalk-Dress: „Ich sehe aus wie Grinch, aber in Fashion und geil!“ Geil jetzt im Hinblick auf ihr Outfit, nicht ihrer sexuellen Verfügbarkeit. Gewwin Cher Manjeh ist da bereits einen Schritt weiter und gibt sein unbezahlbares Fashion-Industrie-Insiderwissen an die staunende Kandidatenmenge weiter: „GNTM ist Kindergarten, denn die wahre Modelwelt ist sehr viel härter!“ Damit ihm als Resultat des Final-Walk-Tages keine Klagewelle der Kita-Gruppe droht, baut der weitsichtige Lamettakönig schon mal vor: „Wenn ich etwas sage, was euch verletzt, dann ist das nicht gegen euch als Persönlichkeit, sondern ich sage das als jemand, der euch casten möchte!“ Eine Rückversicherung, formaljuristisch so hieb- und stichfest wie ein formschönes: „Wenn ich euch in den Ausschnitt greife, dann ist das nicht, weil ich euch sexuell belästige, sondern ich mache das als jemand, dem es wichtig ist, wie das Dekolleté aussieht!“
Als die Walks endlich starten, lautet die erste Erkenntnis: Die 17 verbliebenen Competition-Models kennen 32 verschiedene Arten, wie man den Namen von Gastjurorin Coco Rocha ausspricht. Von „Gogo Rotscha“ bis „Kokoh Rösch“ ist alles dabei. Der letzte Teil des von Coco Rocha inspizierten, fallendurchsetzen Hindernis-Catwalks mündet in einem Pool aus Duplosteinen. Ein Heimspiel für mich. Diesen Part hätte man kostengünstiger im Kinderzimmer meines Sohnes Luca produzieren können. Das sieht 24/7 so aus wie ein Pool aus Duplosteinen. Ein teurer Kulissenbau wäre nicht notwendig gewesen. Außerdem hätte Luca den ganzen Tag am Rand gesessen und „Nee, nee, nee“ gesagt. So wäre er trotz seiner erst 16 Monate ein interessanterer Gastjuror gewesen als beispielsweise Kevin Germanier.
Der hat im Verlauf des Abends dann plötzlich überraschende Probleme mit Ex-Favoritin Daniela. Germanier möchte Daniela nämlich ehelichen. Jedenfalls hat er ihr einen Traum in Weiß auf den Leib geschneidert, in dem sie ein bisschen aussieht, als hätte sie oben Keira Knightleys Korsett aus „Fluch der Karibik“ geklaut, während ihr untenrum ein vier Meter breites Q-Tipp explodiert ist. „Das Kleid ist superschön, aber ungünstig. Man sieht seine Füße nicht und weiß nicht, auf was man tritt!“ Und das sind in Danielas Fall vor allem die Gefühle von Kevin Germanier. Als sie aus Angst vor Verletzungen auf dem Stolperfallen-Runway darüber nachdenkt, „lieber nicht zu walken, und dann ist die Reise eben vorbei!“ ist Germanier schockiert. Von der zweitbekanntesten Frau Ostfilderns nach Alena Gerber hätte er mehr erwartet. Auch Coco Rocha zeigt sich entsetzt: „Das ist respektlos! Es ist eine Ehre, wenn ein Designer dir ein Hochzeitskleid gibt!“
Sichtlich betroffen verliert Kevin Germanier kurz seine Kinderstube aus den Augen und beschimpft den nachfolgenden Samuel mit: „Du sahst aus wie eine Schildkröte!“ Am Ende stehen dann Schildkröte Samuel und Fastverweigerin Daniela als Letzte vor Hedi Klum. Dem Mann mit mehr Tattoos als Sophia Thomalla sieht man da bereits an, dass er ahnt, was kommen wird: Gegen Daniela kann man nicht gewinnen. Und so ist es auch. Daniela rettet sich unter die Top 16, Samuel muss den Wettbewerb verlassen. Ob Kevin Germanier als Wiedergutmachung für seine Enttäuschungen auch kommende Woche wieder dabei sein darf, vielleicht um Daniela dann rachelüstern sein katastrophalstes Kleid anzuziehen, ist noch unklar. Auf jeden Fall dabei ist aber Marina Hoermanseder. Es wird also mit Sicherheit nicht weniger streng als diese Woche. Bis dann!