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„Ich bin der Sohn und Enkel von Feministinnen“ | ABC-Z

Vielleicht stimmen einige Klischees über Kanada doch. Denis Villeneuve, gebürtiger Kanadier, beginnt das Gespräch auf jeden Fall mit einer ausführlichen Entschuldigung. Normalerweise trage er Anzug und Krawatte, wenn er sich mit Journalisten treffe, versichert er. Aber da er gerade erst mit dem Flugzeug in Berlin angekommen sei und der Jetlag ihm arg zu schaffen mache, habe er diesmal um Erlaubnis gebeten, etwas legerer auftreten zu dürfen.

Was er als seinen „Pyjama“-Stil bezeichnet, geht in Berlin als Streetchic durch: schwarze Hose, dunkler Hoodie, gepflegter Fünftagebart, dessen Spitzen silbern glänzen. Das und ein heller Hauch in den Haaren sind die einzigen Anzeichen für seine siebenundfünfzig Jahre, sonst sieht er, Jetlag hin oder her, sehr entspannt aus.

Die erste Frage muss von den Frauen handeln, denn sie spielen in Villeneuves Filmen meist erstaunlich komplexe Rollen. Amy Adams rettet in „Arrival“ als Sprachwissenschaftlerin die Welt, weil sie mit Aliens einen Weg der gemeinsamen Kommunikation findet, Emily Blunt deckt in „Sicario“ als FBI-Agentin das doppelte Spiel eines Kollegen auf, und Zendaya tritt in den neuen „Dune“-Filmen Timothée Chalamet als ebenbürtige Partnerin entgegen, die vor allen anderen erkennt, wie Machtgier den Helden verzehrt. Würde Villeneuve sich selbst als feministischen Filmemacher bezeichnen?

„Ehrlich gesagt, ja. Nicht weil das im Trend liegt, sondern weil mir das schon immer wichtig war. Bereits in meinem ersten Spielfilm, ‚Der 32. August auf Erden‘, ging es um eine junge Frau. Ich wollte eine Figur kreieren, die Distanz zu mir selbst bringt. Außerdem bin ich von sehr starken Frauen erzogen worden“, sagt er. Und dann erzählt er von seinen Großmüttern, mit denen er im kleinen kanadischen Dorf Gentilly in Quebec aufgewachsen ist. „Sie wohnten direkt nebeneinander und haben sich gehasst. Sie waren sehr unterschiedlich, hatten sehr eigenwillige, starke Charaktere.“

Denis Villeneuve bei der Premiere von „Dune 2“ in Londondpa

Kanada tickt in Sachen Gleichberechtigung anders als die USA

Die eine hatte ihre Kinder als geschiedene Frau allein aufgezogen („in den Sechzigerjahren war das eine große Sache“), die andere beschreibt er als „nie versiegende Inspirationsquelle“, eine Frau mit „leichtem Hang zum Drama“. Einer seiner Brüder drehte über sie Filme. Auch Villeneuves Mutter war Feministin, erzog ihre vier Kinder im Gedanken, „dass ein Mann nur stark sein kann, wenn er eine starke Frau an seiner Seite hat“. Dass Kanada in Sachen Gleichberechtigung anders tickt als die USA, entdeckte Villeneuve nach seinem Umzug ins Nachbarland. In Kanada hatte er als Filmemacher erste Erfolge gefeiert, sein Drama „Die Frau, die singt“ wurde 2010 als „Bester fremdsprachiger Film“ für den Oscar nominiert. 2012 versuchte er also, neu Fuß zu fassen, und entdeckte, dass „die Gesellschaft in den USA deutlich konservativer ist“.

Woran er das festmacht? Villeneuve gibt ein anekdotisches Beispiel: „Wenn ich in Montreal mit einer Frau im Restaurant bin und der Kellner bringt die Rechnung, dann fragt er uns beide, wer nun bezahlt. In den USA steht außer Frage, dass der Mann das übernimmt.“ Und während er diese Erfahrung erzählt, kommt wieder der höfliche Kanadier durch, der niemanden vor den Kopf stoßen möchte: „Ich bin natürlich kein Spezialist in der Sache“, sagt er fast schon entschuldigend. „Ich bin einfach der Sohn und Enkel von Feministinnen und glaube daran, dass Männer und Frauen die gleichen Rechte haben sollten.“

Er sagt das, als wäre alle Emotionalität hier fehl am Platz. So wie er überhaupt das Gespräch mit großer Ruhe und Offenheit führt, keine Spur von großem Ego, dass sich mancher schon mit weniger Erfolg zulegen würde. Villeneuve vereint das seltene Talent, mit Hollywood-Blockbustern kommerzielle Rekorde aufzustellen – allein „Dune 2“ spielte weltweit mehr als 700 Millionen Dollar ein – und zugleich von der Kritik für seine Arbeit anerkannt zu werden. Statt Selbstlob zeigt der Regisseur aber offen seine Zweifel, als er den ersten englischsprachigen Film in den USA mit den Hochkarätern Jake Gyllenhaal, Hugh Jackman und Viola Davis geschaffen hatte: „Ich war mir sicher, als ich angefangen habe, ‚Prisoners‘ zu drehen, dass mir nach drei Tagen jemand auf die Schulter tippen und sagen würde: ‚Du bist nett, und wir lieben deinen Akzent, aber du hast hier echt nichts verloren.‘“

Das passierte nicht, weder während des Drehs noch gab es Zurückweisungen als Villeneuve den Produzenten seine finale Schnittversion vorführte. „Ich habe mich als Künstler und als Regisseur so respektiert gefühlt“, sagt er. In seiner Heimat war das nicht immer der Fall: „Zuhause in Kanada kam ich mir manchmal eher wie ein Bettler vor, der Geld für seine Projekte von der Regierung leihen will. Man fühlt sich als Parasit. Und das ist völlig anders in den USA, Filmemachen ist dort eine wichtige sozioökonomische Tätigkeit – sie nehmen in Amerika das Kino sehr wichtig.“ Einen Film wie „Dune“ hätte er nirgends sonst machen können, fügt er hinzu.

Faszination für Natur in seiner Ästhetik

Wir führen das Gespräch, noch bevor Villeneuve im Dezember zwei Golden-Globes-Nominierungen für „Dune 2“, darunter als bester Film, verbuchen konnte. Vor dem Fenster des Hotelzimmers scheint die Sonne spätherbstlich auf den Tiergarten und lockt den Regisseur auf den Balkon, wo er seinen Blick über die Bäume schweifen lässt und sichtlich begeistert den Park bewundert. Die Faszination für die Natur findet sich auch in seiner Ästhetik wieder. Die meisten seiner Filme suchen irgendwann das Zusammenspiel von Mensch und Landschaft einzufangen. Kultur und Natur stehen dabei nicht im Gegensatz, sie gehören erzählerisch zusammen.

Wenn er für „Dune“ Frank Herberts Wüstenplaneten zum Leben erweckt, dann flirren die Sandhügel in solch kühler Schönheit über die Leinwand, dass man sich fragt, ob Hitze wirklich kalt sein kann? Wo andere Blockbuster-Franchises wie Marvels Superheldenkinokosmos oder die Harry-Potter-Verfilmungen ihre in großen Teilen am Computer entstandenen Welten in wärmsten Farben malen, setzt Villeneuve auf harten Realismus. „Die Marvel-Filme haben ihre eigenen visuellen Besonderheiten, die arbeiten viel auf der Bühne mit Greenscreen, müssen sich an sehr enge Vorgaben für die Charaktere halten. ‚Dune‘ ist da völlig anders, es setzt auf den Menschen. Wenn wir drehen, dann an echten Schauplätzen, in der Wüste“, sagt der Regisseur.

Einfach war es nicht, die Produzenten von diesen deutlich aufwendigeren Dreharbeiten zu überzeugen: „Zu Beginn hatte ich ein paar Meetings, bei denen ich das Gefühl hatte, die wären jetzt sehr froh, wenn ich ihnen sagen würde: ‚Ach ich habe meine Meinung geändert, wir machen’s im Studio.‘ Aber sie haben es dann verstanden, als ich sagte: ‚Den Weißen Hai haben sie auch nicht in einem Swimmingpool aufgenommen. Und wenn die Wüste eine Hauptrolle spielt, dann müssen wir dort auch drehen.‘“ Im Studio könne man die Einflüsse der Natur nicht nachstellen: „Wenn die Figuren durch die Wüste laufen und die Kräfte auf sie einwirken, dann kann ich das nicht in einem kleinen Sandkasten inszenieren, das ergibt keinen Sinn.“

Mensch und Landschaft: Amy Adams in „Arrival“
Mensch und Landschaft: Amy Adams in „Arrival“AP

Den Mut, Größeres zu wagen, mag er aus den europäischen Graphic Novels seiner Kindheit gezogen haben („Als ich Moebius und Bilal entdeckte, war das für mich ein großer ästhetischer Schock.“), die Faszination für Science-Fiction-Stoffe rührt daher. Als Kind verschlang er Romane von Arthur C. Clarke, Philip K. Dick und natürlich von Frank Herbert. Die Geschichte von „Dune“ ließ ihn nicht los: „Dass ein Junge seine Identität in einer anderen Kultur findet – diese Idee fand ich sehr schön. Statt vor etwas Fremden Angst zu haben, umarmt er es, und es macht ihn stärker. Außerdem habe ich mich sofort in die Beschreibungen des Ökosystems verliebt und wie Frank Herbert das Zusammenspiel von Menschen und Natur, von ihrer Kultur und Technologie, die Religionen und Gebräuche beschreibt, das hat mich als Kind völlig in seinen Bann geschlagen.“

Die erste „Dune“-Verfilmung durch David Lynch enttäuschte ihn; er vermisste Aspekte des Buches, die er für essenziell hielt. „Auch Frank Herbert war Feminist, die Schwesternschaft hatte er als Liebesbrief an seine Ehefrau geschrieben, die mächtigsten Figuren in seinen Büchern sind Frauen. Als der Autor Eric Roth sich an die Adaption des Drehbuchs setzte, fragte er mich, ob ich mit einem Wort zusammenfassen könne, was mir an diesem komplexen Werk als Wichtigstes erscheine. Ich antwortete: die Frauen. Ich sagte, wenn wir es schaffen, die Schwestern und Lady Jessica in den Vordergrund zu stellen, dann haben wir einen interessanten Ansatzpunkt.“

Gemeinsam mit Roth ging er sogar so weit, aus einer im Roman männlichen Figur eine Frau zu machen: „Es machte die Rolle interessanter und moderner.“ Sonst habe er Herbert jedoch treu sein wollen. „Er war mit dem ersten Film nicht sonderlich zufrieden, und auch wie einige Leser Paul Atreidis als ‚Helden‘ feierten, missfiel ihm. Also hat er ‚Dune Messiah‘ als Antwort darauf geschrieben – das spielt in meine Umsetzung hinein. Ich will, dass die Leute am Ende des Films Pauls Entscheidungen infrage stellen.“

Dafür baute er die Rolle von Chani, Pauls Geliebter aus dem Wüstenvolk, aus, gab dem immer mächtiger werdenden Helden einen starken weiblichen Gegenpart. Zendaya erhielt in „Dune 2“ so eine Hauptrolle; ihre Chani wird zur größten Kritikerin des Geliebten. Das ist wiederum eine Interpretation, die sich über die Romanvorlage hinauswagt, allerdings mit viel Respekt für die Haltung des Autors. So viel kanadische Höflichkeit behält Villeneuve auch nach mehr als zehn Jahren in den USA.

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