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Hörbuch „Die Schlacht von Maldon und Die Heimkehr von Beorhtnoth“ von Tolkien – Kultur | ABC-Z

„Tot und ohne Kopf nach Hause zu kommen (wie Beorhtnoth) ist nicht sehr erfreulich.“ Wer möchte J.R.R. Tolkien in diesem Punkt widersprechen? Der Autor hat diese Bemerkung in einem Brief an seinen Verlag notiert. Es geht in dem Schreiben um das Missverständnis seines Textes „Die Heimkehr von Beorhtnoth Beorhthelms Sohn“ durch den ersten schwedischen Übersetzer Tolkiens, über das der Autor sich ärgert, vor allem aber mokiert. Was Tolkien in dem Brief nur streift, was seine Wortwahl jedoch offensichtlich macht, ist der (nicht erkannte) Humor in „Die Heimkehr“, so die Kurzfassung des Titels.

Der Gegenstand dieses Versdramas ist tatsächlich keineswegs komisch: Es geht um eine Schlacht in England, die am Ausgang des 10. Jahrhunderts die angelsächsischen Verteidiger von Essex gegen ein Wikingerheer ausgefochten haben – mit dem entschieden schlechteren Ausgang für die Einheimischen, deren Anführer Beorthnoth dabei seinen Kopf und damit sein Leben verloren hat. Im Moment, in dem Tolkien seine Geschichte beginnen lässt, ist das Gemetzel jedoch bereits beendet. Ein junger Bursche und ein alter Bauer, die selbst nicht an dem Kampf teilgenommen haben, sind beauftragt, den Leichnam Beorhtnoths zu finden und nach Hause zu bringen. Sie taumeln durch die Szenerie, die Nacht bricht herein, den Jungen packt der Grusel. Schließlich stoßen sie auf Leichenfledderer. Inzwischen haben sie das Schwert des gesuchten Heerführers gefunden, eine edle Waffe. Mit ihr vollbringen die beiden jedoch keine ruhmreichen Heldentaten, sondern strecken lediglich zwei Strauchdiebe nieder.

Tolkiens Schilderungen muss man hören, dann entfalten sie ihre volle Wirkung

„Die Heimkehr“ ist tatsächlich näher an einer Posse als am Kriegsdrama. Rund sieben Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung des Originals ist der Text nun Teil einer deutschsprachigen Neuauflage, die der Hörverlag dankenswerterweise auch als Hörbuch veröffentlicht. Denn „Die Schlacht von Maldon und Die Heimkehr von Beorhtnoth“ zu hören, worin es viel um Lautverschiebungen, Metriken und Sprachrhythmen geht, um die Aussprache des Altenglischen, ist ein deutlicher Gewinn gegenüber dem Selbstlesen. Dabei ist diese Hörbuch-Veröffentlichung keine Selbstverständlichkeit, trotz des Bestseller-Potenzials des Autors Tolkien.

Denn „Die Schlacht von Maldon und Die Heimkehr von Beorhtnoth“ fällt aus dem Rahmen dessen, für das der Fantasy-Autor berühmt und beliebt ist. Tolkien hatte seit 1925 eine Professur für englische Sprachwissenschaft am Pembroke College der Universität Oxford inne und befasste sich vor allem mit dem Altenglischen. Ende der Zwanzigerjahre hat Tolkien zu dem altenglischen Gedicht „The Battle of Maldon“ geforscht, das die historisch verbürgte Schlacht zum Gegenstand hat, in der Beorthnoth – ob aus Edel- oder Hochmut – einen schweren strategischen Fehler beging und schließlich fiel. Dieses Gedicht ist mutmaßlich anfangs nur mündlich überliefert worden, erhalten ist ein Fragment einer im westangelsächsichen Dialekt abgefasste Abschrift, wahrscheinlich aus dem späten 11. Jahrhundert. Tolkiens „Die Heimkehr“ ist eine freie Nachdichtung.

J.R.R. Tolkien: Die Schlacht von Maldon und Die Heimkehr von Beorhtnoth. Herausgegeben von Peter Grybauskas. Aus dem Englischen von Helmut W. Pesch. Mit Gert Heidenreich, Timmo Niesner, Johannes Steck. 1 CD, 8 Stunden 37 Minuten. Der Hörverlag, München 2024. 26 Euro. (Foto: Hörverlag)

Das Hörbuch nun ermöglicht einen Einblick in das akademische Forschen und Schreiben Tolkiens; und außerdem ist es spannend, an jener Schnittstelle entlangzuflanieren, an der sich dieses wissenschaftliche Schreiben mit dem fiktionalen verschränkt. Herausgegeben hat diese Edition Peter Grybauskas. Sie beginnt mit Tolkiens „Die Heimkehr von Beorhtnoth Beorhthelms Sohn“, fügt dessen Neuübersetzung des historischen Textes „Die Schlacht von Maldon“ an, jeweils mit Einleitungen und Kommentierungen versehen. In einem dritten Teil geht es dann, streng linguistisch, um die Tradition der Versbildung im Altenglischen. Den Abschluss bilden Überlegungen Grybauskas’ dazu, wie Tolkien „Belange und Themen“ aus „Die Heimkehr“ in seinen fantastischen literarischen Werken über die Welt in Mittelerde aufgegriffen hat. Zwischen der Veröffentlichung von „Die Heimkehr“ und „Der Herr der Ringe“ liegen gerade einmal neun Monate.

Vor allem auf das Motiv der Heimkehr geht Grybauskas ein, das im Mittelerde-Kosmos eine große Rolle spielt. Für den Zwerg Thorin Eichenschild ist die Heimkehr-Thematik sogar verbunden mit einer alten Prophezeiung, deren Erfüllung ihm persönlich allerdings verwehrt bleibt, weil er in der Schlacht der Fünf Heere fällt. Sowohl Bilbo als auch sein Neffe Frodo Beutlin kehren letztlich ins heimische Auenland zurück, das beiden jedoch fremd geworden ist.

Die Welt von Mittelerde ist ohne das englische Mittelalter undenkbar

In dieser Passage ist die Anschlussfähigkeit des Hörbuchs für Tolkien-Leser gewiss am größten. Es ist jedoch auch – nach einem gewissen Hineinhören – vergnüglich, von den Sprechern Gert Heidenreich, Timmo Niesner und Johannes Steck mit der Passion Tolkiens etwas erzählt zu bekommen von den Hebungen in der zweiten Halbzeile eines Stabreimes und der punktuellen Verletzung dieser Grundregel altenglischer Dichtung in dem erhaltenen Fragment über „Die Schlacht von Maldon“. Und da, wo es um Laute, um Lautverschiebungen und um in der normalen, also nichtliterarischen Sprache längst aufgegebene Laute aus dem Altenglischen geht, ist der Höreindruck natürlich extrem hilfreich zur Veranschaulichung der Tolkien’schen Ausführungen.

Auch von dort ist im Übrigen der Weg nach Mittelerde nicht weit. „Der Hobbit“, „Der Herr der Ringe“, das „Silmarillion“ sind schließlich nicht nur Abenteuererzählungen aus einer irgendwie fantastischen Welt. Sondern dieser Kosmos hat kulturelle, sprachliche, soziale Wurzeln, die ihre Nährstoffe aus dem saugen, womit Tolkien sich wissenschaftlich befasst hat.

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