Holzhauser Musiktage: Klassik Festival in Münsing – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Wer wissen will, wie Alfred Brendel in den Ohrenbackensessel über Mairs altem Kuhstall gekommen ist, der könnte bei Rumba beginnen. Rumba ist ein bildhübsches Exemplar des Allgäuer Braunviehs. Sie hat graubraunes Fell, glänzende Augen und zur Krönung: prächtige weiße Hörner mit schwarzen Spitzen, die wie lackiert aussehen. An diesem Morgen kommt sie neugierig über die Weide geschritten, um Christine und Klaus Mair zu begrüßen. Ein feuchter Schnauber hier, warme Worte da. Die Mairs sind Bio-Pioniere in Münsing und die vermutlich bodenständigsten Gastgeber eines Klassik-Festivals in Bayern. Auch in diesem Juli haben sie den Lothhof wieder für die Holzhauser Musiktage geöffnet, ein renommiertes Klassik-Festival am Starnberger See.
Hinter Rumba grasen 44 weitere Milchkühe unter einem blauen Sommerhimmel – ein Bild, das in Bayern selten geworden ist. So selten wie Hörner an Kuhköpfen. Die Mairs haben ihren Betrieb Anfang der Neunzigerjahre auf eine biologisch-dynamische Wirtschaftsweise umgestellt. Milch, Fleisch und Eier erzeugen sie nach Demeter-Richtlinien. Und so dürfen bei ihnen die Hörner wachsen, wie sie wollen. „Sie sind fast bis zur Spitze durchblutet“, sagt Christine Mair. „Ein Horn ist ein Organ“, ergänzt ihr Mann.
Gefährlich werden Hörner in zu kleinen Ställen oder im Straßenverkehr. Die Zeiten, in denen man eine Herde schlendernder Mutterkühe morgens und abends über die Dorfstraße treiben konnte, sind auch in Münsing vorbei. 2006 baute das Paar daher einen Außenklimastall, 800 Meter von ihrem Zuhause entfernt. Dort haben Kühe und Kälber das ganze Jahr über Licht, Luft und Bewegung und können direkt auf die Weide wechseln. Der Nebeneffekt: Im Lothhof in der Dorfmitte ist ein Freiraum entstanden, vor allem in der riesigen Tenne, wo bislang das Heu gelagert war.

Was macht man mit 300 Quadratmetern unter dem Dachstuhl? Dass die Tenne eine „gute Location“ wäre, hätten zuerst die Münsinger Burschen entdeckt, erzählt Klaus Mair. 2016, als der Gemeindesaal mit Asylsuchenden belegt war, hätten sie ein Ausweichquartier für ihre Theatervorführungen gesucht. Und dann seien sie angerückt, mit jeder Menge Energie und einem großen Sauger. „30, 40 Leute haben da oben sauber gemacht“, erzählt er. „Heu, Staub und Spinnweben“, ergänzt seine Frau.
Den Feinschliff haben sie der Tenne ein Jahr später verpasst, als ihr Neffe, der Eishockey-Profi Konrad Abeltshauser, heiratete und im Lothhof feierte. Und dann kamen die Holzhauser Musiktage und mit ihnen Musikerinnen und Musiker aus aller Welt.
Seither ist höchste Konzentration für Klaus Mair nicht erst dann angesagt, wenn Isabelle Faust zur Geige oder Nikolai Luganski in die Tasten greift. Sein Einsatz ist schon gefragt, wenn der Konzertflügel geliefert wird. „Ein Dreiviertel-Flügel“, sagt er, „einen größeren bringen wir nicht rein.“ Zuerst muss er neben der Tennentür die Holzverschalung abschrauben. Der Flügel wird mit Watte gepolstert. Und dann schwingt sich der 60-Jährige auf seinen Traktor und beweist Feingefühl. Statt eines Futterballens dirigiert er mit dem Frontlader ein Instrument im Wert von 100 000 Euro zentimetergenau in die obere Etage. Präzisionsarbeit. „Die ersten Male hatte ich schon Herzklopfen“, gesteht er.

Für ihre Gäste haben die Mairs einen neuen Boden in der Tenne verlegt und Toiletten einbauen lassen. Auch eine Brandschutztreppe war nötig. Der Lohn für ihre Mühen, das merkt man, wenn man ihnen zuhört, lässt sich nicht in Geld bemessen. Eher geht es um Freude, um Gemeinschaft und ein wenig auch um den Stolz, Teil dieses Festivals sein zu dürfen, das der Geiger Dénes Zsigmondy und die Pianisten Anneliese Nissen und Wilhelm Kempff 1978 ins Leben gerufen haben.
Seit jeher gehören neben öffentlichen Konzerten auch internationale Meisterkurse zum Programm, die heuer wieder Susanne Kelling (Mezzosopran), Ingolf Turban (Geige), Tomoko Sawallisch und Johannes Umbreit (beide Klavier) leiten. Musik zieht daher schon Tage vor den Konzertabenden in den Lothhof ein, wenn junge internationale Musikerinnen und Musiker in der Tenne proben und an Feinheiten ihrer Programme feilen. Für Klaus Mair, der im Traktor BR-Klassik hört, sind dies Tage, in denen er etwas länger unter dem Apfelbaum in seinem Garten sitzt, während die Fenster zur Tenne weit offenstehen.


Seine Frau genießt es, mit Künstlerinnen und Künstlern einen Kaffee zu trinken, die sie ansonsten im Radio hört. „Vor den Konzerten sind sie oft unnahbar, weil sie sich ganz auf den Auftritt fokussieren“, erzählt sie. „Aber danach sind sie gelöst und herzlich. Viele nehmen auch Salami und Eier mit.“
Die größte Aufregung herrsche im Haus stets vor dem Abschlussabend, den traditionsgemäß die jungen Talente gestalten. Dann verwandelten sich Wohnzimmer und Büro in eine quirlige Garderobe. „Überall hängen dann die schönen Kleider“, sagt Christine Mair. „In jedem Zimmer ist irgendwer“, ergänzt ihr Mann. Dass sie gerne im Duett antworten, mag daran liegen, dass sie seit ihrer Jugend ein Paar sind. Im Lothhof haben sie fünf Kinder großgezogen. Mittlerweile gibt es auch drei Enkel.

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Und der Ohrenbackensessel? Den haben sie 2021 für Alfred Brendel in die Tenne hochgeschleppt. „Wir sind ja leider nicht barrierefrei“, sagt Christine Mair. Und der vor kurzem gestorbene Star-Pianist, damals 90 Jahre alt, sei nicht mehr gut zu Fuß gewesen. An jenem Juliabend habe er das Eliot Quartett mit klugen Worten begleitet. Ein halbes Jahr später, zu Weihnachten, habe er noch eine Karte geschickt, ergänzt Klaus Mair. „Ich glaube, er war sehr dankbar für den Sessel.“
Die Konzerte der Holzhauser Musiktage finden heuer von 12. bis 19. Juli in der Lothhof-Tenne in Münsing statt, alle Informationen unter holzhauser-musiktage.de