Holstein Kiel besiegt Borussia Mönchengladbach spektakulär | ABC-Z

Marcel Rapp lässt sich ungern in die Karten schauen. „Ich versuche, im Erfolg und im Misserfolg bei mir zu bleiben“, sagt der 46-Jährige. Selten bis nie ließ er sich an zurückliegenden 31 Spieltagen zu Aussagen hinreißen, die er später bereut hat. Das mag langweilig sein. Doch wirkt der Trainer von Holstein Kiel auch dadurch authentisch im üblichen Getöse der Fußball-Bundesliga.
Die Kieler Verantwortlichen haben Rapps Vertrag unlängst bis Ende Juni 2028 verlängert, obwohl Holstein dort steht, wo alle sie erwartet haben: auf einem Abstiegsplatz. Eines ist jedoch ausgeblieben: „Uns wurde gesagt, ihr holt euch eine Klatsche nach der nächsten“, sagte Rapp am Samstag nach dem begeisternden 4:3 gegen Borussia Mönchengladbach. „Das ist nicht passiert. Stattdessen haben wir häufig einen Verein und eine Mannschaft gesehen, die Spaß und Freude am Fußball haben.“
Da huschte ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. Wahrscheinlich auch deswegen, weil seine Mannschaft dank des fünften Saisonsieges weiterhin Chancen auf den Relegationsplatz hat; eine Aussicht, die ansteckende Zuversicht in die Mannschaft importierte: „Ich bin mir sicher, dass wir am 17.05. um 17.30 Uhr Sechzehnter sind und noch eine Woche später nachlegen“, sagte der starke Torwart Thomas Dähne.
Die Freude über den Sieg war greifbar. Hatte es die KSV in Mainz und Leipzig verpasst, sich zu belohnen, gelang es diesmal, weil Shūto Machino in der Nachspielzeit (90.+1 Minute) zum 4:3 traf. Holstein hatte bis zur Pause durch Tore von Machino (15.) und Alexander Bernhardsson (23.) 2:0 geführt, ehe in der zweiten Hälfte Tomáš Čvančara (60.) und Alassane Pléa (69.) für Gladbach trafen.
„Wir spielen am Limit“
Kiel ging dank Armin Gigović (76.) wieder in Führung, musste in der 86. Minute aber den nächsten Gegentreffer durch Franck Honorat hinnehmen – ein Punkt hätte die Moral erhöht, kaum das Konto. Machino, von Krämpfen geplagt, ließ jedoch zum vierten Mal an diesem Nachmittag die Tormelodie „Nellie, the Elephant“ ertönen. Glückliche Gesichter also bei den Fans auf dem Heimweg, und das Gefühl: Geht da vielleicht tatsächlich noch etwas?
Erst vergangene Woche war der Geschäftsführer Sport, Carsten Wehlmann, durch Olaf Rebbe ersetzt wurde. Wehlmann habe den Kader im Sommer unzureichend verstärkt, lautete der Vorwurf. Näher an der Wahrheit liegt, dass er aus begrenzten Möglichkeiten viel gemacht hat, aber die Führungsetage mit ihm über Kreuz lag.
Auch in dieser Causa hat sich der stets höfliche Rapp klug verhalten, lieber zu wenig als zu viel gesagt und wenn überhaupt Diplomatisches formuliert. Er hat stattdessen das beeinflusst, was er beeinflussen kann – in der Arbeit mit der Mannschaft. Rapp sagte: „Wir trainieren am Limit, wir spielen am Limit. Das ist der Holstein-Geist. Wir haben kein einziges einfaches Spiel gehabt, haben aber versucht, ohne Druck, ohne Angst zu spielen. Das Schlimmste wäre gewesen, wir verlieren unsere DNA, unsere Überzeugung.“
„Nicht aus Angst Bälle wegschießen“
In seiner Analyse vor der Saison hatte Rapp erkannt, dass Einmauern mit diesen Spielern kaum erfolgversprechend sein würde. Deswegen hat er seiner Mannschaft das Spiel nach vorn in einem klaren System beigebracht – so hat Holstein immerhin 45 Tore geschossen und die Fans gegen Augsburg, Dortmund und Gladbach begeistert. Zwar sind 74 Gegentreffer die Bilanz eines Absteigers, aber unter Rapp, seit 2021 an der Förde, würde Holstein auch in der zweiten Liga so mutig weitermachen. „Sollte es für uns nicht reichen, dann ist es so“, sagte er, „aber wir wollen hier nicht aus Angst die Bälle wegschießen.“
Vielleicht hatte das Heidenheimer 1:0 in Stuttgart am Freitagabend seinen Anteil an dieser unerwarteten Gala gehabt. Denn danach schien Kiels Situation aussichtslos. „Ich weiß nicht“, antwortete Kapitän Timo Becker, „jeder schreibt uns doch seit Saisonbeginn ab. Wir gucken gar nicht so auf die anderen. Das ist die Stimmung im ganzen Verein. Aber dass wir dem standgehalten haben und gegen eine Mannschaft wie Gladbach mit lauter Superspielern gewinnen, ist vielleicht ein game changer.“
Spät, aber womöglich nicht zu spät, sind bei der KSV fast alle Stammspieler zurück und auch die Ergänzungsspieler in guter Form. Dass das 30 Spieltage lang nie so war, darüber hat Rapp selten geklagt. Zumindest nicht öffentlich.