Höhepunkte der Formel 1 in Singapur: Max Verstappen kokettiert mit Rücktritt – Sport | ABC-Z
Die Angst vor dem Nacht-Grand-Prix hat Max Verstappen besiegt, dafür reicht auch ein zweiter Platz. Auf der Rennstrecke konnte er seinen Kumpel und Rivalen Lando Norris nicht unter Druck setzen, dazu war ihm der McLaren zu schnell entwischt, aber auch beim Gegner ist angekommen, dass Red Bull dabei ist, die Verhältnisse wieder umzudrehen. In vier Wochen kommt ein neuer Unterboden für den RB20, McLaren wird der flexible Heckflügel verboten.
Der Niederländer befindet sich aber nicht nur in einem Machtkampf, er geriert sich auch als Freiheitskämpfer. Nach seinen bewusst stillen Protesten in den Medienrunden gegen den Maulkorberlass kokettiert er mit einem baldigen Rücktritt: „Ich bin jetzt in einer Phase meiner Karriere, in der man sich nicht ständig mit albernen Dingen herumschlagen will. Das ist wirklich anstrengend. Und für mich ist das keine Art, den Sport weiter auszuüben, soviel ist sicher.“
Der 26-Jährige, der zum vierten Mal in Serie Weltmeister werden kann, hat schon immer betont, nicht ewig fahren zu wollen, nur um Rekorde zu brechen. Die Ereignisse von Singapur haben auch jenseits der hochgekochten Emotionen offenbar Spuren hinterlassen: „Wenn es genug ist, ist es genug. Die Formel 1 wird auch ohne mich weitergehen, damit habe ich kein Problem.“ Das klingt bedrohlich, ist aber ein gezielter Hinweis an die Funktionäre und an das Formel-1-Management, den Fahrern wieder mehr Freiheit zu lassen. Das Jahrtausendtalent Verstappen weiß genau um seine Stellung.
Mohammed Ben Sulayem
Respekt, das ist alles, was der Präsident des Automobilweltverbandes Fia will. Vor allem von den Formel-1-Piloten. Pech für den 62-Jährigen, dass die aktuelle Fahrergeneration mehrheitlich nicht so stromlinienförmig ist wie viele der vorangegangenen. Denn die will sich nicht den Mund verbieten lassen, schon gar nicht im Eifer des Gefechts über den Boxenfunk. Der Emirati Mohammed Ben Sulayem möchte, dass die Berufskraftfahrer nicht mehr so oft fluchen, sie seien doch keine Rapper. Als Max Verstappen in einer offiziellen Medienrunde nur über seinen eigenen Rennwagen schimpfte, rutschte ihm das F-Wort heraus. Sofort bekam er Sozialstunden aufgebrummt, weil er mit seiner Wortwahl angeblich das Ansehen des Motorsports beschädigt habe.
Der Titelverteidiger verweigerte daraufhin in den weiteren Pressekonferenzen praktisch die Aussage. Er müsse seine Stimme schonen, außerdem wolle er nicht wieder eine Strafe riskieren.
Die meisten seiner Kollegen zeigten sich beim Maulkorberlass solidarisch mit dem Weltmeister, Lewis Hamilton sprach von einem „Witz“ und empfahl Verstappen, die Strafe nicht abzuleisten: „Ich würde es gewiss nicht tun.“ Die Sprachpolizei müsste ohnehin zuerst bei den TV-Sendern vorsprechen, die manchmal zur Information, häufig aber zur besseren Unterhaltung die Mitschnitte aus dem Boxenfunk ausstrahlen – dort werden Kraftausdrücke ohnehin überpiept. Die Jugendgefährdung hält sich daher in Grenzen, zumal die Formel 1 noch nie als politisch überkorrekt gelten wollte. Damit und davon können alle auch ganz gut leben. Verstappens Kollege Sergio Perez zieht einen Vergleich: „Stellt euch mal vor, ein Fußballerspieler, dem ans Bein getreten wird, hätte auch immer ein Mikrofon vor dem Mund…“
Lando Norris
Lando Norris war nah dran am perfekten Wochenende, wenn da nicht zum Schluss die schnellste Runde verloren gegangen wäre. Bei McLaren finden sie das Zusammenspiel von Red Bull und Racing Bulls zwar grundsätzlich unfair, aber Norris wollte sich darüber nicht aufregen – er kenne es nicht anders. Mit noch 52 aufzuholenden Punkten in sechs Rennen hat er es trotz eines grandios überlegenen Autos auch nicht einfach. Die Frage nach seiner weiteren Strategie hält er für „dumm“. Er tue schon alles, was er könne: „Aber ich habe es mit den härtesten Gegnern zu tun, die es jemals gab in diesem Sport.“
Der 24-Jährige wirkt wie ein Nervenbündel, gleich dreimal hätte er bei seiner Alleinfahrt an der Spitze unkonzentriert fast das papayafarbene Auto weggeworfen. „Ich hab’s nicht übertrieben, manchmal ist man einfach zu entspannt“, lautete seine Erklärung. Oder doch zu nervös? Solche Flüchtigkeitsfehler darf sich ein angehender Champion jedenfalls nicht oft leisten. Der höchst selbstkritische Brite beginnt nach seinem dritten Formel-1-Sieg schon wieder aufzurechnen, wo er in dieser Saison überall Punkte verschenkt hat: „Den Preis dafür bezahle ich jetzt.“
Lewis Hamilton
Eine Nacht nur lag zwischen der Freude beim Rekordweltmeister, endlich mal wieder eine ordentliche Qualifikation hingelegt zu haben und dem Absturz im Rennen: Als Dritter gestartet, als Sechster im Ziel. Mercedes-Teamkollege George Russell ging es etwas besser. Vierter am Start und im Ziel. Die Launenhaftigkeit von Auto und Reifen wirft die Silberpfeil-Fraktion immer wieder zurück. Kein wirklicher Trost, dass es Ferrari ähnlich ergeht. „Schadensbegrenzung“ urteilte Russell über die tropische Nacht. Hamilton und er sagten anschließend alle Interviews ab, „sie sind überhitzt“, entschuldigte Teamchef Toto Wolff.
Der Österreicher ist bekannt für seine schonungslosen Analysen, er hakt die falsche Pneu-Strategie ab: „Wir haben das Rennen falsch gelesen.“ Tatsächlich gab es diesmal an der Marina Bay nicht die auch in Monaco so gefürchtete Prozession durch den Stadtverkehr, es war mehr ein Einzelzeitfahren. Hamilton mit seiner weichen Reifenmischung war früh verloren. Fast anderthalb Minuten hinter dem Sieger ins Ziel zu kommen, das ist nichts für einen siebenmaligen Champion: „Nach so einem schwierigen Rennen ist es schwer, die Bandbreite meiner Emotionen zu beschreiben“, gestand der 39-Jährige. „Dieses Jahr ist eine ziemliche Herausforderung für uns alle.“ Ab ins Eisbad.
Nico Hülkenberg
Niemand ist in dieser Saison so oft an Punkten vorbeigeschrammt wie der Emmericher, sieben Mal wurde er Elfter. So wie beim Rennen in Baku, als er im Unfallchaos kurz vor Schluss die sichere Beute noch verlor. In Singapur sollte ihm das nicht passieren, sein sechster Startplatz mit dem Kunden-Ferrari, weit vor dem Werksteam aus Maranello, war schon herausragend. Im Rennen ging es für Haas bislang oft weit rückwärts, doch der Trend konnte am Sonntag gestoppt werden: Neunter Platz hinter Fernando Alonso, noch vor dem Red Bull von Sergio Perez. Mit diesen zwei Zählern schafft Nico Hülkenberg es in die Top Ten der Fahrerwertung und Haas, vor der Saison noch krasser Außenseiter, ist auf dem Sprung zu Platz sechs in der Gesamtwertung.
Zu Beginn des Rennens konnte es Hülkenberg sogar mit dem McLaren von Oscar Piastri aufnehmen, musste später aber die erstarkten Ferrari vorbeiziehen lassen. „Ich bin trotzdem glücklich, das ist eine Wiedergutmachung für Baku“, sagte Hülkenberg: „Sauberer Start, sauberes Rennen.“
Daniel Ricciardo
Er geht mit jenem breiten Lachen, das sein Markenzeichen ist. Dass es so breit wie während all der 256 Formel-1-Rennen zuvor war, hängt auch mit seinem wohl allerletzten Umlauf auf einer Grand-Prix-Piste zusammen. Da sicherte sich Daniel Ricciardo im Racing Bull auf ganz frischen Reifen noch die schnellste Runde, und nahm Lando Norris den Extrapunkt weg. Schützenhilfe für den großen Bruder Red Bull, Max Verstappen bedankte sich öffentlich: „Danke, Daniel!“ Dem Australier liefen nach den Grand Prix fast die Tränen herunter, er weiß wohl schon seit einer Woche, dass er beim nächsten Rennen in Austin schon durch den Neuseeländer Liam Lawson ersetzt werden wird.
Der 22-Jährige passt vom Alter her auch besser in einen Nachwuchsrennstall als der inzwischen 35 Jahre alte Ricciardo, der zum Schluss von einer Formkrise gebeutelt wurde. Eine Klausel im Vertrag des Talents zwang das Red-Bull-Management, jetzt handeln zu müssen. Schade um Ricciardo, einen echten, kernigen Typen. Doch der Mann, der Sebastian Vettel bei Red Bull 2014 im direkten Duell besiegen konnte, geht mit hoch erhobenem Kopf: „Das Märchen eines Comebacks ist nicht wahr geworden. Aber ich bin stolz auf meine 13 Jahre.“ Sollte sein Rundenrekord von Singapur Verstappen zum Titel verhelfen, freut sich Ricciardo „auf ein Extra-Weihnachtsgeschenk.“ Der Niederländer verspricht bereits: „Du kannst Dir wünschen, was Du willst.“
Valtteri Bottas
Dafür, dass Valteri Bottas Letzter der Fahrerwertung in der Formel 1 ist – mit null Punkten – ist sein Selbstvertrauen noch ziemlich intakt. Vor der neuerlichen Nullnummer in Singapur behauptete der Finne sogar, dass er besser unterwegs sei als zu seiner Mercedes-Zeit. Aus der Silberpfeil-Ära stammen seine zehn Grand-Prix-Siege. Seit er beim Sauber-Rennstall ist, fährt er hinterher, fällt nur durch seine exzentrische Frisur oder sein exzessives Gravelbikefahren auf. Trotzdem hat er offenbar wieder gute Chancen auf eine Vertragsverlängerung, was die ganze Branche überrascht. In der Schweiz höhnen sie bereits über ein „Seniorenheim“ im kommenden Jahr, wenn der 35-Jährige tatsächlich Partner des 37-jährigen Nico Hülkenberg werden würde.
Dabei geht der Trend zu den Nachwuchsfahrern. Der 21 Jahre alte Argentinier Franco Colapinto (aktuell Williams) wäre frei, das brasilianische Formel-2-Talent Gabriel Bartoleto könnte ausgeliehen werden. Einer der beiden könnte 2025 als dritter Mann in die Lehre gehen, vielleicht auch Bottas unter Druck setzen. Richtig konsequent und mutig erscheint das nicht. Beim künftigen Audi-Werksrennstall bastelt der neue Boss Mattia Binotto weiter an der Zukunft. Da gibt es einiges nachzuholen. Auf Nummer sicher zu gehen, spräche für Bottas. Er ist ja auch einfach ein netter Kerl.