Roms Bürgermeister Gualtieri hat Erfolg in den sozialen Medien | ABC-Z

Ein Klassiker der politischen Kommunikation ist der sogenannte Helmtermin. Politiker lassen sich auf Baustellen fotografieren, um zu vermitteln: Hier bewegt sich was! Wir packen an! Ein Meister des Helmtermins ist der römische Bürgermeister Roberto Gualtieri vom Partito Democratico. Ständig ist er auf Baustellen unterwegs, mit orangener Warnweste und – natürlich – mit Helm. Man kann ihm auf Instagram und Tiktok dabei zuschauen, wie er zeigt und erklärt, hier wird dies gebaut, hier jenes renoviert, Straßen, Brücken, U-Bahn-Stationen und öffentliche Gebäude. Wollte man es stereotyp ausdrücken, so könnte man sagen: Gualtieris Social-Media-Präsenz ist ein Traum für Jungs mit Baggerleidenschaft.
Zu seinen Followern zählen aber nicht nur die. 179.000 hat er auf Instagram, mehr als jeder andere europäische Bürgermeister, und 6 Millionen Likes auf Tiktok. Das ist in mehrfacher Hinsicht erstaunlich. Zum einen, weil Gualtieri zu Beginn seiner Amtszeit in Rom, bevor er den Social-Media-Berater Daniele Cinà einstellte, als nahezu unsichtbar galt, als „fantasma“. Und zum anderen, weil der Content, den er zeigt, einen solchen Erfolg nicht direkt vermuten ließe: Gualtieri spricht über Infrastrukturprojekte. Nicht nur über die Renovierung spektakulärer Plätze und Bauten, die es in Rom ja genug gibt (darüber spricht er auch), sondern über zurückgeschnittene Bäume an der Umgehungsstraße, über neue Bänke und Mülleimer in der Vorstadt.
Rom glich in den vergangenen Monaten einer riesigen Baustelle: Die Stadt sollte fit werden für das Heilige Jahr und die dazugehörigen Touristenströme. Auf der Piazza Venezia, einem der zentralen Plätze der Stadt, wo eine neue Haltestelle der Metro C entstehen soll, standen monatelang riesige grüne Silos, die den Blick verstellten. Im alltäglichen Leben sind solche Langzeitprojekte lästig. Und so gilt es, den Anwohnern Lärm und andere Belastungen gut zu verkaufen. Baustellen, so vermittelt es also Gualtieri auf seinen Accounts, sind etwas Positives, Baustellen bedeuten Verbesserung.
Eine positive Geschichte
Social-Media-Auftritte von Politikern sind nicht dazu da, neutral zu sein. Erfolge werden geteilt, Misserfolge eher nicht, und so ist das Bild, das entsteht, grundsätzlich verzerrt. Es wird eine Geschichte erzählt, die stimmig sein und zur Person und Ausrichtung des jeweiligen Politikers passen muss. Der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini, ein anderer Politiker, der zu seinen erfolgreichsten Zeiten als Innenminister für seine Social-Media-Strategie berühmt wurde, hat sich von seinem gut gelaunten Image als schlemmender Klischeeitaliener inzwischen abgewandt. Sein Feed gleicht einer Horrorshow: Wer das Haus verlässt, so entsteht der Eindruck, dem rammt ein Migrant bald ein Messer in den Rücken.
Das entspricht natürlich nicht der Realität. Genauso wenig können Gualtieris Videos darüber hinwegtäuschen, dass Rom, trotz Veränderungen, noch immer keine ganz saubere Stadt ist, dass man auf Busse wartet und auf die Fertigstellung der Metro C. Dass es Bürger gibt, die trotz all der fröhlichen Videos mit der Arbeit des Bürgermeisters unzufrieden sind. Aber Gualtieri und sein Social-Media-Team vermitteln eine optimistischere und zukunftsgerichtete Weltsicht als etwa Salvini. Rom erscheint in ihren Videos nicht wie die zwar wunderschöne, aber oft eben auch träge alte Stadt, in der sich nichts verändert, sondern wie eine moderne Metropole mit Fahrradwegen. Eine Strategie, die nicht das Angstzentrum anspricht oder andere starke Emotionen hervorruft, sondern auf Schrulligkeit und zur Schau getragene Kompetenz setzt.
Gualtieris Erklärungen neuer Maßnahmen sind manchmal geradezu absurd detailreich und technisch, es fallen Begriffe wie Sandstrahlen, Reifenheber, Bolzen oder wasserabweisendes Imprägnieröl. Der Bürgermeister selbst, ehemals Professor für Geschichte an der römischen Universität La Sapienza, dann Finanzminister unter Ministerpräsident Giuseppe Conte, versucht in seinen Videos nicht, jung und hip zu sein. Er ist ein mittelalter Mann, der meist Anzug oder eben Warnweste trägt, ein durchschnittlicher Politiker, könnte man sagen. Doch sein Berater Cinà hat ihm eine wiedererkennbare Internetpersona auf den Leib geschnitten: die des tatkräftigen, sympathischen Boomers. Auf Italienisch gibt es ein Wort für ältere Herren, die, oft leicht vorgebeugt und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, Baustellen betrachten – „umarell“. Gualtieri ist ein jüngerer Umarell.
Mut zur Normalität
Seine Eigenschaft, es immer ganz genau zu nehmen, wird in seinen Videos selbstironisch aufgegriffen: Einmal tritt darin der milanesische Comedian Vittorio Pettinato auf, der Gualtieri zuvor parodiert hatte. In einem Clip soll er dessen Rolle übernehmen, macht aber ständig Fehler: Nein, korrigiert Gualtieri seine Ankündigung neuer Stadtmülleimer, es seien keine 15.000, sondern 18.060, außerdem zeige man nicht mit dem Daumen, sondern mit dem Zeigefinger.
Oft entschuldigen Parteien der politischen Mitte ihren geringen Erfolg in den sozialen Medien damit, dass Populisten es mit ihren simplen Botschaften und extremen Positionen einfacher hätten, weil komplexe Phänomene sich nicht auf ein paar Schlagwörter runterbrechen ließen. Gualtieris Beispiel widerlegt diese These. In einem Interview Anfang des Monats sagte sein Stratege Cinà, sie hätten sich bewusst dazu entschlossen, das Alltägliche in den Mittelpunkt zu stellen, die kleinen Veränderungen in der Stadt. Das bedeute auch, Videos zu veröffentlichen, von denen man schon wisse, dass sie nicht viral gehen werden.
Ob nicht nur Gualtieris Videos, sondern auch seine Politik gut ankommt, wird sich bei den nächsten Wahlen in Rom zeigen, bei denen Gualtieri möglicherweise gegen Arianna Meloni, die Schwester der Ministerpräsidentin, antreten wird. Doch abgesehen davon, ist der Beweis, dass es offenbar keine Hetze braucht, um online zu punkten, ja schon einmal ein Erfolg.