Hochwasser in Bayern: Das Leiden der Staubinger – Bayern | ABC-Z

Anfang Juni 2024, vielerorts in Bayern kämpfen die Menschen gegen eine Hochwasserkatastrophe, wie sie noch nie da gewesen ist. So auch an der Donau bei Kelheim in der Ortschaft Staubing. Da setzt Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger (FW) einen Post ab in den sozialen Medien. „Hochwasser der Donau bei Staubing/Kelheim steigt“, schreibt er: „Abhilfe würde ein 700m langer Hochwasserdamm bringen, der aber vom Landesbund für Vogelschutz seit Jahren beklagt wird, weil dann eine Kiesbank im Wasser verlagert werden könnte. (…) Der Damm könnte längst gebaut sein. (…) Vielleicht sollten diejenigen, die gegen den Damm klagen, beim Ausräumen und dann beim Schlammrausschaufeln helfen.“
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Beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) sind sie sofort auf 180. Verbandschef Norbert Schäffer spricht von einem „billigen Ablenkungsmanöver“ und wirft Aiwanger vor, selbst über Jahre hinweg „Hochwasser- und Klimaschutz in vielen Bereichen behindert“ zu haben. Der LBV fordere seit Langem immer wieder einen nachhaltigen Hochwasserschutz in Bayern und fühle in diesen Tagen mit den Opfern der Katastrophe. Wenn Aiwanger jetzt den Naturschützern „den Schwarzen Peter zuschieben will, ist das einfach nur unanständig“, schimpft Schäffer und nennt den Post ein „durchsichtiges politisches Manöver“.
Nun ist der Hochwasserschutz für Staubing wieder Thema. An diesem Dienstag verhandelt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München über die Klage des LBV gegen das Schutzbauwerk für das Dorf mit seinen etwa 350 Einwohnern. Es liegt gut zwei Kilometer Luftlinie donauaufwärts von der berühmten Benediktinerabtei Kloster Weltenburg, direkt an der Donau. Es ist bereits die zweite Klage. Beobachtern zufolge ist es gut möglich, dass Bayerns höchste Verwaltungsrichter nun den Weg endgültig frei machen für den umstrittenen, gut 650 Meter langen und fünf Meter hohen Deich, der die Anlieger davor bewahren soll, dass ihre Anwesen bei jedem größeren Donauhochwasser geflutet werden.

Denn in seinem ersten Urteil 2021 hat der VGH die Baugenehmigung für den Hochwasserschutz von 2018 nur deshalb für nichtig erklärt, weil es die Behörden versäumt hatten, das Projekt daraufhin zu überprüfen, ob es mit den Vorgaben für das europäische Naturschutzgebiet in der Region verträglich ist. Dabei geht es um eine weitläufige Kiesbank in der Donau, die aus Sicht des LBV und weiterer Naturschutzorganisationen einzigartig ist. Diese Prüfung wurde nun nachgeholt. Das Ergebnis des Gutachtens: Die Vorgaben werden alle eingehalten.
Am Landratsamt Kelheim, bei der Stadt Kelheim, zu der Staubing gehört, und bei den Wasserwirtschaftsbehörden sind sie zuversichtlich, dass der VGH das Gutachten akzeptiert. Sollte es tatsächlich so kommen, könnte das Projekt nach jahrelangem Stillstand endlich zügig vorankommen. Schon nächstes Jahr sollen dann die Bauarbeiten für das Sieben-Millionen-Euro-Projekt anlaufen, als Bauzeit werden zwei bis drei Jahre veranschlagt. So erklärt es ein Sprecher des Umweltministeriums, das für den Hochwasserschutz in Bayern zuständig ist.
Eduard Buchner, Jahrgang 1962, wünscht sich nur eins: einen wirksamen Schutz vor den Fluten der Donau. Buchner ist in den Achtzigerjahren zu seiner späteren Frau Ingeburg nach Staubing gezogen. Er lebt seither dort in einem Anwesen direkt an der Donauseite. Die Junikatastrophe 2024 war nur das letzte Hochwasser in einer ganzen Reihe von Überschwemmungen, die die Familie zusammen mit anderen Staubingern durchgemacht hat. Buchner, seine Frau und die Schwiegermutter, die mit im Haus lebt, sind auch ein gutes Jahr nach der Katastrophe nicht mit den Aufräumarbeiten fertig.

„Hinten am Gartenzaun hängt noch das ganze Stroh drin, das im Hochwasser war“, sagt Buchner am Telefon. „Womöglich lass’ ich es einfach drin, denn wenn wieder ein Hochwasser kommt, war die Mühe mit dem Rausholen ja umsonst.“ Bis zu 1,60 Meter hoch standen die braunen Fluten im Juni 2024 in Staubing, in Buchners Haus reichten sie bis zu den Fensterbrettern, und in der Küche hat das Hochwasser mit einem Knall den Estrich um einen Meter nach oben gedrückt. Buchner ist das Warten auf den Hochwasserschutz schon lange leid.
LBV-Chef Schäffer hat nicht nur während der Junikatastrophe 2024 sein volles Verständnis für die Staubinger Hochwasseropfer bekundet. Sondern er tut das auch heute. Zugleich geht er scharf mit dem Freistaat und seinen Plänen für das Dorf ins Gericht. Und zwar gleich in mehreren Punkten. „Moderner Hochwasserschutz gibt den Flüssen wieder mehr Platz, damit sie sich ausbreiten können“, sagt Schäffer. „Der Deich, so wie er für Staubing geplant ist, tut genau das Gegenteil. Er engt die Donau ein, und zwar an einer besonders sensiblen Stelle.“ Deshalb brauche es ein neues Konzept.
Denn da ist die Kiesbank bei Staubing. Sie ist laut LBV die größte in der deutschen Donau und seit gut zweihundert Jahren an dieser Stelle nachgewiesen. „Diese Kiesbank ist von unschätzbarem Wert für Nasen, Barben und andere Fischarten der Donau, die im Flusskies laichen“, sagt Schäffer. Den Schrätzer, den Zingel und den Streber zum Beispiel. Aber auch Vogelarten wie der hierzulande seltene Flussregenpfeifer fühlen sich auf ihr und in ihrer Umgebung wohl. Für Schäffer sind das gewichtige Gründe, warum die Kiesbank erhalten werden muss.

Und deshalb ist der LBV weiter gegen den Bau des Hochwasserdeichs. Seiner Überzeugung nach engt das geplante Schutzbauwerk das Flussbett der Donau so ein, dass der Fortbestand der Kiesbank akut gefährdet ist. Würde der Deich errichtet, würde sie bei einem neuerlichen Hochwasser von den Fluten abgeschwemmt, so die Befürchtung des LBV. Darin bestätigt fühlt sich die Organisation von einem neuen Gutachten von Helmut Habersack.
Habersack ist Chef des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung an der Wiener Universität für Bodenkultur und gilt als sehr renommierter Experte für Wasserwirtschaft. Der Professor hat das Gutachten eigens für die Gerichtsverhandlung am Dienstag angefertigt. Sein Ergebnis: Die Aussagen des bayerischen Behördengutachtens, dass die Kiesbank durch den Deich nicht gefährdet werde, seien nicht haltbar. Und zwar schon wegen methodischer Mängel.
Beim LBV setzen sie deshalb sehr darauf, dass der Freistaat seine Planung für den Hochwasserdeich doch noch zurücknimmt und ein neues Schutzkonzept entwickelt. Und zwar sogar dann, wenn der VGH die neue Klage des Verbands abschmettern sollte. „Denn es ist ja nicht so, dass es keine Alternativen gäbe“, sagt Schäffer.

Die eine und zugleich beste aus Sicht des LBV ist die Absiedlung der am stärksten bedrohten Haushalte von Staubing. Das sind die 18 Anwesen in der ersten und zweiten Siedlungsreihe an der Donauseite des Ortes. „Natürlich gegen einen angemessenen Ausgleich für die Bewohner“, sagt Schäffer. „So wie das andernorts ja auch schon gemacht wurde.“ Außerdem müsse man dafür sorgen, dass sie in Staubing bleiben können und einen hochwassersicheren Baugrund bekommen.
Die andere, zweitbeste Alternative ist aus Sicht des LBV eine Hochwasserschutzwand – und zwar möglichst nah an den besonders gefährdeten Häusern der Donauseite. „Damit hätte die Donau viel mehr Platz als bei dem geplanten Deich“, sagt Schäffer, „das Risiko für die Kiesbank wäre sehr viel geringer, bei einem vergleichbaren guten Schutz für die Anwohner wie bei dem Deich.“
Das Hochwasseropfer Buchner sieht beide Vorschläge mit großer Skepsis. Zwar hat er schon intensiv mit den LBV-Leuten über sie gesprochen. Aber die Zweifel an ihrer Realisierbarkeit sind groß. Und zwar auch bei den Behördenmitarbeitern und Lokalpolitikern, mit denen der LBV über seine Ideen geredet hat. „Uns Hochwasseropfern hier kommt es vor allem darauf an, dass es jetzt schnell geht“, sagt Buchner.
Letzteres ist inzwischen auch in den Behörden angekommen. Das Wasserwirtschaftsamt Landshut, das für die Errichtung des Hochwasserschutzdeichs zuständig ist, hat schon vor gut einem halben Jahr den Sofortvollzug der Baugenehmigung beantragt – nachdem sich Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) persönlich dafür ausgesprochen hatte. Der Antrag wurde bisher nicht entschieden, weil man die Verhandlung vor dem VGH abwarten will. Zugleich wird er allseits als Zeichen verstanden, dass es dem Freistaat jetzt wirklich ernst ist mit dem Hochwasserschutz für Staubing.