Historische Erfolge: Es läuft überall im deutschen Schach – außer beim Schachbund | ABC-Z

Bronze für die Frauen bei der EM, Matthias Blübaum im Kandidatenturnier und Vincent Keymer könnte es auch noch schaffen. Es läuft im deutschen Schach – wäre da nicht der weiter desolate Umgang im Schachbund.
Sie hatte vor dem Turnier kaum jemand auf dem Zettel – und trotzdem schrieben die deutschen Frauen bei der Schach-EM Geschichte. Erstmals seit 47 Jahren holten sie Bronze bei einem internationalen Mannschaftswettbewerb.
„Ein toller Erfolg, 47 Jahre nach Buenos Aires!“, lobte Großmeisterin Barbara Hund, die 1978 beim letzten Medaillengewinn dabei war. Auch der neue Frauenbundestrainer Zahar Efimenko freute sich über „ein super Niveau, eine super Qualität und Stabilität“. Vor allem Hanna Marie Klek überragte und sicherte den großen Erfolg – bei dem mit der schwangeren Elisabeth Paetz die vermeintlich stärkste deutsche Frau gar nicht mitgespielt hatte.
Anders die Gefühlslage bei den deutschen Herren: Sie waren an Position eins gesetzt ins Turnier gestartet, wurden letztlich aber nur Vierter. Eine frühe Niederlage gegen Dänemark beendete schnell die Goldhoffnungen, letztlich reichte auch ein starker Endspurt nicht für das Treppchen. Einen „versöhnlichen Abschluss, mehr aber auch nicht“, nannte Bundestrainer Jan Gustafsson den Schlusssieg gegen die Niederlande.
Erster Deutscher seit 1991 beim Kandidatenturnier
Trotzdem: Es läuft im deutschen Schach. Vor wenigen Wochen qualifizierte sich der Lemgoer Matthias Blübaum sensationell für das Schach-Kandidatenturnier im Frühjahr 2026. Für ihn geht es dann darum, gegen sieben andere Spieler zu ermitteln, wer den Inder Gukesh bei der Weltmeisterschaft herausfordern darf.
Blübaum war zwar schon zweimal Europameister, trotzdem kam sein zweiter Platz beim Grand Swiss und der damit verbundene Kandidatenturnier-Platz überraschend – auch für ihn selbst. „Eine riesige Überraschung, ich habe damit nicht gerechnet“, sagte er gegenüber der Welt am Sonntag. Blübaum ist erst der dritte Deutsche, der sich für das Kandidatenturnier qualifiziert, letztlich war das Robert Hübner 1991 gelungen. „Historisch“ nannte der Deutsche Schachbund seine Leistung.
Blübaum kommt zwar aus einer Schachfamilie, beendete 2022 aber trotzdem lieber sein Mathematik-Studium in Bielefeld, um sich abzusichern. Nun konzentriert er sich vorerst auf die Schachkarriere, wird sich für das Kandidatenturnier auch einen Trainer und ein professionelles Umfeld suchen müssen.
Mit dem Erfolg rückte Blübaum in die Top 50 der Welt vor – für einen Platz im Kandidatenturnier hatten viele eher die weiter höher stehenden Inder favorisiert. Oder Vincent Keymer, das deutsche Toptalent, das in diesem Jahr eine beachtliche Entwicklung hin zu einem endgültigen Weltklassespieler genommen hat.
Keymer auf Platz sechs der Live-Weltrangliste
Beim Grand Swiss stand Blübaum knapp vor einer Niederlage gegen Keymer, was dann wohl dazu geführt hätte, dass sich Keymer und nicht er für das Kandidatenturnier qualifiziert hätte. Aber: Keymer patzte in einer Stellung, die für einen Weltklassemann wie ihn eigentlich leicht zu durchschauen ist und fiel auf einen Trick Blübaums herein. „Da bin ich auferstanden von den Toten“, sagte Blübaum danach in seiner gewohnt kritischen und selbstironischen Art.
Keymer hätte sich über die womöglich einmalige, verpasste Chance wochenlang ärgern können. Doch er scheint den Frust schnell verdaut zu haben. Bei der Team-EM war er der mit Abstand stärkste Deutsche, liegt nun auf Platz sechs der Live-Weltrangliste (und damit übrigens deutlich vor dem aktuellen Weltmeister Gukesh, der seit seinem WM-Sieg aus den Top 10 gerutscht ist).
Keymer ist vor einiger Zeit nach Wien gezogen. Am Brett sitzt er immer öfter in schicker Weste, trägt schon mal einen ausgefallenen Ring am Finger. In Interviews gibt er sich offener als früher, eloquent und selbstbewusst war der immer noch erst 20 Jahre alte Rheinland-Pfälzer schon immer.
Vincent Keymer bei einem Schachturnier in Las Vegas
FIDE World Cup in Goa eröffnet Keymer neue Chance
Vor allem im Endspiel ist Keymer inzwischen wahnsinnig stark, holt aus vermeintlich ausgeglichenen Stellungen oft dann doch noch einen entscheidenden Vorteil heraus. Früh wurde er hier mit Magnus Carlsen verglichen, inzwischen scheinen die Vergleiche angebracht zu sein. In knapp zwei Wochen startet im indischen Goa an der Westküste der FIDE World Cup. Ein K.o.-Turnier, bei dem sich die ersten drei Plätze ebenfalls für das Kandidatenturnier qualifizieren. Keymer, der in diesem Jahr schon ein Turnier in Indien souverän gewonnen hat, darf sich berechtigte Chancen machen, sich dort doch noch zu qualifizieren.
Und dann gibt es ja auch auf Verbandsebene im deutschen Schach erstmal noch gute Nachrichten. Nach einer schweren finanziellen Krise erwirtschaftete der Verband im ersten Halbjahr 2025 einen Überschuss von 300.000 Euro. Die Mitgliederzahlen steigen, liegen nur noch knapp unter der Schallmauer von 100.000.
Geschäftsführerin wehrt sich gegen Kündigung
Trotzdem schafft es der Schachbund, auch diese Erfolgswelle mit schlechten Nachrichten zu durchbrechen. Der Pressechef des Verbandes reiste von der Team-EM verärgert ab, angeblich hat er sich mit Herren-Bundestrainer Gustafsson überworfen. Und: Geschäftsführerin Anja Gering wurde vor kurzem nach 19 Jahren im Verband freigestellt, setzt sich nun juristisch gegen die Kündigung zur Wehr. Manche werfen dem Verband und Präsidentin Ingrid Lauterbach vor, die Trennung von langer Hand vorbereitet zu haben.
Die Stimmung in der Geschäftsstelle des Schachbundes soll schon länger frostig sein. Lauterbach, die das Abwenden der finanziellen Krise auch für sich proklamieren kann, wird sich in wenigen Monaten nun bei einem Sonder-Hauptausschuss zur Neuwahl stellen müssen, mehrere Landesverbände hatten diesen einberufen. Bei allen sportlich positiven Schlagzeilen im deutschen Schach bleibt der zwischenmenschliche Umgang anscheinend weiter ausbaufähig.





















