Geopolitik

Friedrich Merz in Moldau: Große Gesten für ein bedrohtes Land | ABC-Z

So hat man Friedrich Merz selten gesehen, als
Kanzler jedenfalls noch gar nicht. Er kommt aus dem Lächeln gar nicht heraus,
staunt offensichtlich über das, was sich hier gerade vor seinen Augen abspielt.
Merz steht auf einer Bühne, zu seinen Füßen haben sich Zehntausende versammelt,
gegen die Barrikaden vorn presst sich die Jugend der Hauptstadt Moldaus. Sie
winkt und jubelt Merz zu. Vor ihm trat eine der größten Stars des Landes auf,
die Popsängerin Irina Rimes.

Merz redet auf dem großen Nationalversammlungsplatz der Hauptstadt
Chişinău zum moldauischen Unabhängigkeitstag, die Krawatte hat er längst abgelegt, er
spricht auf Englisch und sagt: “Ihr gehört zur europäischen Familie.” Und:
“Unser gemeinsames Ziel ist Moldaus Beitritt zur Europäischen Union.” Es
ist eine kurze Rede, nach ihm spricht noch Emmanuel Macron, der gleich seine ganze Rede in der Landessprache Rumänisch hält, er bekommt noch viel mehr Jubel als Merz –
aber den Kanzler stört’s nicht, er saugt jeden Moment auf. So einen Wahlkampf
hat Merz noch nicht erlebt. Und ja, es ist tatsächlich Wahlkampf, der ihn
hierher gebracht hat.

Merz ist nicht alleine gekommen. An seiner Seite sind Macron und der polnische Ministerpräsident
Donald Tusk, zusammen erscheinen sie als Ehrengäste am Nationalfeiertag der Republik
Moldau: ein kleines Land, gegen das Russland ähnlich vorgehen könnte wie gegen
die Ukraine. Das ist zumindest die große Sorge, die die drei Besucher mit ihrer
Gastgeberin, Moldaus Präsidentin Maia Sandu, teilen. Sandu will ihr Land nach Europa führen, nur knapp hat sie im vergangenen Jahr
ein Referendum gewonnen, das das Ziel Europa in der Verfassung festschreibt –
gegen massive Einflussnahme aus Russland. Und in vier Wochen wählt Moldau ein
neues Parlament. Sandu nennt es die “letzte Schlacht”. Sollten sie und ihre
Partei verlieren, würde der Traum von der EU zerplatzen, dem Land stehe eine
düstere Zukunft bevor.

Besuch von hoher Symbolik

Kein Tag vergehe ohne russische Wahleinmischung,
sagt auch der Bundeskanzler. Und diese andauernden Einflussoperationen sind der
Grund für diese Art europäischer Kurzintervention. Sechs Stunden lang trommeln die
drei prominenten Wahlhelfer für die proeuropäische Führung Moldaus, und die hat
ihnen dafür in Chişinău, nur etwa 50 Kilometer von der Grenze zur Ukraine
entfernt, die größte Bühne bereitet. 

Es ist ein Besuch von hoher Symbolik angesichts
der Auseinandersetzung mit Wladimir Putins Russlands, die Merz’ Kanzlerschaft
bislang prägt. Genauer gesagt: Es ist wieder einmal starke Symbolik.
Erstmals ist das Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich und Polen auf
eine gemeinsame Dreierreise unter Merz aufgebrochen. Dieser hat das Dreierbündnis von
Anfang an zu einer Priorität gemacht, an Tag eins seiner Kanzlerschaft war er
sowohl in Paris als auch in Warschau, um, O-Ton Merz, die “Sprachlosigkeit
gegenüber Polen” zu beenden. Gemeinsam mit dem britischen Premier Keir Starmer
besuchten sie bereits Wolodymyr Selenskyj in Kiew. Damals versuchten sie, den
US-Präsidenten Donald Trump für ein Ultimatum an Russland zu gewinnen,
letztlich ohne Erfolg. Eine Frage allerdings begleitet all diese
Unternehmungen: Was sind die Solidaritätsadressen an jene, die unmittelbar im
Visier Russlands stehen, am Ende wirklich wert?

Klar ist, dass Merz und seine Verbündeten gewillt
sind, alles diplomatisch Mögliche zu tun, um einen zweiten Kriegsschauplatz im Osten
Europas zu verhindern. In der kleinen Republik Moldau mit rund drei Millionen
Einwohnern macht der Bundeskanzler zwei große Versprechen. “Wir stehen Ihnen bei, Ihre Freiheit und Souveränität zu bewahren”, sagt er beim gemeinsamen
Auftritt im goldverzierten Foyer des Präsidentenpalastes in Chişinău. Man werde bei der Abwehr russischer Destabilisierungsversuche unterstützen. Und er sagt
auch: “Die Tür in die EU ist offen. Sie sind uns in der Europäischen Union von
ganzem Herzen willkommen.” Aber sind diese beiden Versprechen wirklich zu halten?

Permanente Drohkulisse

Tatsächlich unterstützt Deutschland bereits das
spärliche Militär Moldaus beratend und finanziert die Energieversorgung mit, denn russisches Gas fließt
nicht mehr ins Land. Doch die Lage Moldaus bleibt prekär. Es gibt auffallend
viele Parallelen zur Entwicklung in der Ukraine, an die Moldau grenzt. Und von
dieser Grenze sind es wiederum nur 50 Kilometer bis zur wichtigen ukrainischen
Hafenstadt Odessa, die Russland immer wieder attackiert hat.

Moldau lebt unter dem Eindruck einer permanenten Drohkulisse. Die Provinz
Transnistrien ist seit Langem faktisch unter russischer Kontrolle. 2024 bat die
abtrünnige, international nicht anerkannte Republik Moskau um Schutz, was an
die Vorgänge im Donbass im unmittelbaren Vorfeld des Ukrainekrieges erinnert. Moskau lockt
weiterhin mit dem Versprechen billiger Energie, beim EU-Referendum kam es laut
Moldaus Regierung und Nichtregierungsorganisationen zu großflächigem
Stimmenkauf durch russische Akteure. Dass der Kreml den EU-Kurs des Landes
aufhalten will, ist also offenkundig. Und auch das erinnert nur allzu genau an
die Lage damals in der Ukraine, an den Einmarsch unmarkierter russischer
Truppen in den Donbass im Jahr 2014, nach den proeuropäischen Demonstrationen
auf dem Maidan in Kyjiw. Auch in Moldau verfängt die russische Erzählung, die
russische Sprache solle verboten werden, auch wenn sie nicht stimmt. Nur, das ist ein gewichtiger Unterschied zur Ukraine: Militärisch wäre die
Republik Moldau quasi wehrlos gegen eine russische Aggression.

Auch das EU-Versprechen ist zerbrechlich. In Chişinău loben Merz, Macron und Tusk beinahe überschwänglich Moldaus Weg nach
Europa, sie würdigen die Reformen und bringen Präsidentin Sandu tiefe Wertschätzung
entgegen. Besonders weit ging der polnische Premier in seinen Ausführungen: “Es
gibt keine sichere EU, kein sicheres Polen, Frankreich und Deutschland ohne ein
unabhängiges Moldau”, sagte Tusk. Und sie würdigen sich nebenbei auch gegenseitig
für ihren Besuch, der Friedrich, der Emmanuel, der Donald. Das Weimarer Dreieck
ist per Du.

“Putin will die Zeit zurückdrehen”

Sie warnen vor Putins Russland, allen voran Merz schlägt eindringliche Töne an. “Für Moskau ist der 27. August
kein Feiertag”, sagt Merz im Präsidentenpalast zum moldauischen
Unabhängigkeitstag, der auf das Jahr 1991 zurückgeht. Das Land hatte sich damals als
siebte Sowjetrepublik von der UdSSR losgelöst. “Putin will die Zeit
zurückdrehen. Auch Moldau will er zurückholen in die russische Einflusssphäre.” Merz zeigt sich entschlossen, das nicht zuzulassen. 

Doch der Weg in die EU ist lang. Das Beitrittsgesuch stellten die Moldauer im
März 2022, keine zwei Wochen nach der russischen Invasion im Nachbarland. In
Chişinău mögen die Bekundungen der drei Europäer so klingen, als ob der
Beitritt zum Greifen nahe sei. Doch das ist nicht der Fall, wie die
Bundesregierung abseits der öffentlichen Solidaritätsadressen selbst einräumt. Der
Aufnahmeprozess hat gerade erst begonnen und wird voraussichtlich noch viele
Jahre dauern. In Chişinău ging es also auch darum, im Angesicht der russischen Bedrohung
wenigstens die Hoffnung Moldaus auf einen baldigen Beitritt am Leben zu halten.

Für Merz, gerade wieder ganz der Außenkanzler, geht
das Reisen weiter. Seine gesamte Arbeitswoche hat er der Behauptung Europas gegen
die russische Aggression gewidmet. Vor dem Abflug nach Moldau versammelte er
das Kabinett in einem abhörsicheren Raum im Verteidigungsministerium. Es
folgten Briefings von führenden Militärs über die Bedrohungslage. Die neue
Wehrpflicht
 und ein Gesetz zum Militärischen Abschirmdienst wurden beschlossen.
Und von Moldau ist Merz nicht nach Berlin geflogen, sondern nach Rostock, wo
Donnerstagfrüh ein Besuch bei der Marine ansteht. Die Ostsee ist längst einer der zentralen Räume, in denen sich hybride Angriffe Russlands auf
den Westen abspielen.

Im Anschluss geht es nach Südfrankreich, zum deutsch-französischen Ministerrat.
Merz und Macron werden mit ihren Beratern Sicherheitsgarantien für die Ukraine
besprechen, wohl auch die stockende Kooperation bei Rüstungsprojekten. Macron
lädt den Kanzler zum Auftakt in seine Sommerresidenz Fort de Brégançon auf einer südfranzösischen Halbinsel ein. Ein Zeichen der besonderen Wertschätzung, heißt
es. Auch das also ein starkes Symbol. Dessen Fallhöhe deutlich niedriger ist als
die der Versprechen von Moldau.

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