Hirnforschung: Social Media kann Teenager-Gehirne nachhaltig beeinflussen |ABC-Z
Jugendliche reagieren besonders empfindsam auf Zustimmung in sozialen Medien – und auf Ablehnung dort. Wie stark das ihr Verhalten beeinflusst, haben Forscher nun anhand von Instagram-Daten echter Nutzer untersucht. Sie machen einen radikalen Vorschlag für den Umgang mit „Likes“.
Zu den gefühlten Wahrheiten in der Kindererziehung zählt, dass soziale Medien in den Hirnen Heranwachsender ziemlich viel Schaden anrichten können. Gerade Teenager buhlen mit ihren Posts um Zugehörigkeit und Bestätigung; da erscheint es plausibel, dass die permanenten, messbaren Rückmeldungen in Form von hochgereckten Daumen (Likes) ihre Laune erheblich beeinflussen – und womöglich sogar einen Leidensdruck erzeugen. Nur stimmt diese elterliche Befürchtung auch?
Dieser Frage sind Forscher nun mittels Methoden-Mix nachgegangen. Das Team um die Psychologin Ana da Silva Pinho von der Universität Amsterdam kombinierte Computermodellierungen realer Verhaltensdaten von Instagram-Nutzern mit experimentellen Untersuchungen und MRT-Aufnahmen von Hirnarealen.
Der Grund dafür: Gängige Kriterien wie die Bildschirmzeit gäben kaum Aufschluss darüber, was Jugendliche online tun und erleben, schreiben die Autoren in „Science Advance“. Dabei brauche es angesichts der weitverbreiteten psychischen Probleme bei jungen Menschen ein besseres Verständnis dafür, wie diese „auf das Feedback in sozialen Medien reagieren und welche Auswirkungen dies auf ihre Stimmung hat“.
Um das herauszufinden, werteten die Forscher in einer ersten Untersuchung Instagram-Nutzerdaten von 7718 Jugendlichen und 8895 Erwachsenen aus, darunter die Anzahl ihrer Einträge, den Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Anzahl der Likes. Die mehr als 1,7 Millionen Einträge wurden in ein Machine-Learning-Modell eingespeist, um zu ermitteln, inwieweit die Nutzer ihr Posting-Verhalten von den Likes abhängig machen.
In einer zweiten Untersuchung führten die Forscher ein Verhaltensexperiment mit 92 Heranwachsenden und 102 Erwachsenen durch. Die Probanden hatten 14 Minuten lang Zeit, auf einer nachgebauten Plattform mehrfach vorgefertigte Einträge zu posten, für die sie sofort Feedback von 40 Fremden erhielten. Allerdings war die Plattform derart manipuliert, dass sie zuerst viele und dann nur noch wenig Likes einsammelten. Davor, dazwischen und danach wurde erhoben, in welcher Stimmung die Teilnehmer waren.
Das zentrale Ergebnis der Untersuchungen: Jugendliche im Alter von 13 bis 19 Jahren reagieren tatsächlich stärker auf soziales Feedback in Form von Likes als Erwachsene. Sie posten mehr, wenn sie viel Zuspruch erhalten, und ziehen sich schneller zurück, wenn der Erfolg ausbleibt. Auch schwankt ihr Gemütszustand, abhängig von den Reaktionen, stärker als bei 30- bis 39-Jährigen.
Mehr Sensibilität für soziales Feedback
Wohl deshalb, vermuten die Forscher, weil die Älteren „ein gefestigteres Selbstbild haben und widerstandsfähiger gegenüber solchen Social-Media-Metriken sind“. Und da Jugendliche sehr viel Zeit online verbringen, könnten die kleinen Likes unterm Strich großen Einfluss auf ihr alltägliches Befinden haben – und ihre langfristige psychische Gesundheit beeinträchtigen.
Anhand von MRT-Scans bei 96 jungen Erwachsenen stellten die Wissenschaftler zudem fest, dass eine erhöhte Sensibilität für soziales Feedback mit einem veränderten Volumen bestimmter Hirnareale einhergeht, etwa der Amygdala, die für die schnelle Verarbeitung von Emotionen zuständig ist.
„Es ist toll, dass in dem spärlichen Feld von Bildgebungsstudien zum Thema Social-Media-Nutzung und Gehirn neue Daten präsentiert werden“, lobt der Molekularpsychologe Christian Montag von der Universität Ulm, der an der Studie nicht beteiligt war. Allerdings seien nur statische Bilder analysiert worden, nicht die „funktionelle Aktivität“, also die Hirnareale bei der Arbeit.
Auch der Kognitionspsychologe Markus Huff von der Universität Tübingen warnt davor, die MRT-Bilder überzubewerten: „Es bleibt unklar, inwieweit diese neuronalen Unterschiede kausal für das Verhalten verantwortlich sind oder lediglich eine Korrelation darstellen“, sagt er dem Science Media Center (SMC). „Solche Erkenntnisse müssen immer im Kontext komplexer sozialer und psychologischer Faktoren gesehen werden.“
Dafür heben beide Experten eine Stärke der Studie hervor: Sie basiert zu einem großen Teil auf den „digitalen Fußabdrücken“ von Instagram, wie Montag es formuliert – also auf Daten, die über einen längeren Zeitraum hinweg einen realistischen Einblick in das Verhalten tausender Nutzer bieten. Das mache die Analyse besonders wertvoll, und zwar ungeachtet dessen, dass die Daten aus 2014 und 2015 stammen.
Allerdings gibt Huff zu bedenken, dass die Studie auch hier komplexere Zusammenhänge vereinfachen oder übersehen könnte: „Soziale Medien-Nutzung hängt von weit mehr als nur Likes ab.“
Das schmälert jedoch nicht deren Macht. „Die derzeitige Vorherrschaft der Likes fördert eine Kultur des Vergleichs und ein anerkennungsgetriebenes Verhalten“, resümieren die Studienautoren. Als Ausweg schlagen sie vor, die Likes zu verbergen – eine Funktion, die Instagram 2021 eingeführt hat.
Dieses Ausblenden, sagt der Kognitionspsychologe Huff, könnte den Druck auf Jugendliche verringern, sich über die – für alle deutlich sichtbaren – Rückmeldungen zu definieren. Doch das allein dürfte kaum genügen: „Solange soziale Medien auf Belohnungsmechanismen basieren, werden Jugendliche mutmaßlich andere Wege finden, sich zu vergleichen, zum Beispiel über Followerzahlen“, sagt er.
Das Team um Ana da Silva Pinho hat noch einen weiteren Vorschlag parat: Die Forscher empfehlen, jungen Menschen beizubringen, ihre Emotionen zu regulieren. Sie sollen lernen, mit dem permanenten Feedback und dem teils völlig willkürlichen Auf und Ab der algorithmusgesteuerten Anerkennung besser umzugehen.
Zwar regen die Forscher ebenso wie Markus Huff eine grundsätzliche Umgestaltung der Plattformen an – etwa, indem man „den Schwerpunkt weg von Likes hin zu einem sinnvolleren Engagement verlagert“. Doch man muss kein Social-Media-Spezialist sein, um dieser Idee wenig Erfolg zu prophezeien.
Denn in dem systemimmanenten Ansporn zur gegenseitigen Bewertung liegt eben nicht nur das Risiko der sozialen Medien – sondern auch ihr Reiz.
Céline Lauer ist Redakteurin im Ressort Wissen von WELT. Als Sozialanthropologin berichtet sie vor allem über gesellschaftliche, psychologische und neurowissenschaftliche Themen.